Straftäter als Präsident?
"Trump könnte jemanden erschießen": Fans wie eine Sekte
Mit dem Schuldspruch Trumps im Schweigegeld-Prozess ist es erstmals ein realistisches Szenario, dass ein Verurteilter US-Präsident werden könnte.
Kann ein verurteilter Straftäter tatsächlich US-Präsident werden? Mit Donald Trump ein realistisches Szenario. Trotz seiner Verurteilung im Prozess um die Verschleierung von Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin scheint er bei seinen Anhängerinnen und Anhängern nicht an Beliebtheit einzubüßen. Wie konnte es so weit kommen? Manfred Elsig, Professor für Internationale Beziehungen an der Uni Bern, und Thomas Jäger, Politologe an der Uni Köln, beantworten die wichtigsten Fragen:
Wie kann es sein, dass ein verurteilter Straftäter gute Chancen hat, US-Präsident zu werden?
"Trump hat seine Anhänger über Jahre so beeinflusst, dass seine Bewegung einer Sekte gleicht", so Jäger. "Wenn ihr Anführer angegriffen wird, scharen sie sich um ihn." Es sei darum sicher, dass er der Kandidat der Republikaner werde. "Da es den Republikanern nur noch um Macht und Machterhalt geht, bleibt die Moral auf der Strecke", ergänzt Elsig.
Darf ein verurteilter Straftäter US-Präsident werden?
Die US-Verfassung stellt relativ wenige Anforderungen an die Wählbarkeit von Präsidentschaftskandidaten: Sie müssen mindestens 35 Jahre alt sein, gebürtige Staatsbürger der USA sein und ihren Wohnsitz seit mindestens 14 Jahren in den USA haben. Vorschriften, die Kandidaten mit Vorstrafen ausschließen, gibt es keine.
Warum glaubt fast niemand, dass die Verurteilung Trump schadet?
"Zum einen stehen seine Anhänger fest zu ihm, zum anderen haben ihm verlorene Prozesse in der Vergangenheit nicht geschadet", sagt Jäger. Trump sei bereits in zwei Zivilprozessen zu über 500 Millionen Dollar Strafe verurteilt worden. Dass er nun in einem Strafverfahren schuldig gesprochen wurde, ändere nichts an der Unterstützung seiner Anhänger.
Was sagt das über die USA und die amerikanische Gesellschaft aus?
Die amerikanische Gesellschaft sei tief gespalten, so Jäger. "Trump geht es nur darum, eine Hälfte der Gesellschaft zu mobilisieren. Die anderen werden als Feinde bezeichnet." Ausser dem Militär vertraue die Bevölkerung keiner Institution mehr. Elsig spricht sogar von einem Tiefpunkt für das Land – politisch wie auch gesellschaftlich. "Die republikanische Partei ist massiv nach rechts gerückt und die Demokratie ist in ihrem Fundament in Gefahr."
In der Vergangenheit beendeten Skandale wie die Watergate-Affäre eine Präsidentschaft. Trump hingegen kann sich alles erlauben. Wie kam es dazu?
Laut Elsig hat zum einen die Verbreitung von "Fake News" massiv zugenommen – nicht nur über die sozialen Medien, sondern auch in klassischen Medien wie Fernsehen und Radio. "Viele sind überfordert mit der Flut an gegensätzlichen Informationen, was dazu geführt hat, dass viele die Nase voll haben von der Politik." Zum anderen fehle es an einem moralischen Kompass. "Trump hat die Standards so stark nach unten getrieben, dass Dinge heute akzeptabel sind, die früher ein No-go waren."
Wo ist die Grenze? Könnte Trump wirklich, wie er einst gesagt hat, jemanden erschiessen und würde noch immer keine Wähler verlieren?
"Ja, Trump rief ja schon zu Gewalt auf und seine Anhänger folgten ihm", sagt Jäger. In gewissen Kreisen werde nun sogar schon diskutiert, ob auf das Urteil nicht mit Gewalt reagiert werden müsse.
Während verurteilte Straftäter in einigen Staaten nicht einmal wählen dürfen, scheint es bei Trump kein Hindernis zu sein, Präsident zu werden. Ist das nicht willkürlich?
"Es ist tatsächlich paradox, dass für Wählende strengere Voraussetzungen gelten als für Präsidentschaftskandidaten", so Elsig. Das hänge auch damit zusammen, dass das Wahlrecht von Straftätern von parteipolitischen Interessen geleitet werde. Es seien vor allem republikanisch geprägte Staaten, in denen verurteilte Straftäter das Wahlrecht auf Lebenszeit verlieren würden. "Diese Regeln treffen besonders Minderheiten wie Afroamerikaner. Die Republikaner versuchen mit allen Mitteln, diese Bevölkerungsgruppen vom Wählen abzuhalten." In demokratisch regierten Staaten seien die Hürden für Straftäter, um zu wählen, kleiner. "Da Trump Berufung einlegen kann und noch nicht abschließend verurteilt ist, muss man aber abwarten, was eine Verurteilung für ihn für Konsequenzen hätte."
Wieso schaffen die Demokraten es nicht, aus Trumps Skandalen Kapital zu schlagen?
"In einer funktionierenden Demokratie würde das Anti-Trump-Lager von den Misstritten massiv profitieren", sagt Elsig. Obwohl Biden sich um die echten Probleme des Landes – etwa um Jobs, das Gesundheitssystem oder die Infrastruktur – kümmere, schaffe er es nicht, die Massen zu begeistern. Auch, weil sein fortgeschrittenes Alter immer sichtbarer werde. Jäger ergänzt: "Trump stellt die Demokraten als unamerikanische Kommunisten dar. Viele im Land nehmen ihm das ab."
Historisches Urteil! Trump in allen Punkten schuldig
Wie hat das Urteil Trumps Wahlchance verändert?
"Die Wahlchance ist weiterhin 50-50", so Elsig. Er rechnet damit, dass Trumps Verurteilung auf beiden Seiten die Mobilisierung erhöht. "Trumps Anhänger glauben, dass es eine Hexenjagd gegen ihn gibt." Bei den Demokraten steige die Angst, dass das Land von einem Kriminellen regiert werden könnte. "Entscheidend wird sein, wie die unabhängigen Wähler auf das Urteil reagieren", so Jäger.