Steigerung um 57 %

Therapeuten warnen: Suizid-Rate von Jugendlichen steigt

Nach fünf Jahren sinkender Zahlen in Österreich, wurde 2022 bei Kindern und Teenagern ein Anstieg von 57 % verzeichnet. Die Ursachen sind vielfältig.

Christine Ziechert
Therapeuten warnen: Suizid-Rate von Jugendlichen steigt
Laut ÖBVP-Präsidentin Barbara Haid steigen die Belastungen für Kinder und Jugendliche enorm (Symbolbild).
Getty Images/iStockphoto, Picturedesk

Die Zahlen sind alarmierend: Im Jahr 2022 begingen 36 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 20 Jahren Suizid. Laut Statistik Austria entspricht dies einer Steigerung von rund 57 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021. "Zum ersten Mal gibt es seit Jahren wieder einen Anstieg", warnte Peter Stippl, Vize-Präsident des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP), im Rahmen einer Pressekonferenz.

Zudem melden Kinder- und Jugendpsychiatrien eine Verdreifachung von Suizidgedanken. Der ÖBVP nahm dies für eine Studie über die aktuellen psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen zum Anlass, 100 Psychotherapeut/Innen wurden zwischen August und September schriftlich und mündlich dazu befragt.

Höhere Belastung als noch vor einem Jahr

"Bei 71 Prozent der über 1.000 behandelten Kinder und Jugendlichen wurde eine höhere Belastung als noch vor einem Jahr festgestellt. Mehr als die Hälfte der jungen Patienten gab zudem selbst an, derzeit unter starken Belastungen zu leiden", erklärte der wissenschaftliche Leiter der Studie, Psychotherapeut Markus Böckle. Bei über einem Drittel der Behandelten bestand überdies Sorge um die Suizidalität bzw. wurden Gedanken über Suizid-Versuche in der Therapie besprochen. Bei jedem zwölften Patienten erfuhren die Therapeuten sogar von einem Suizid-Versuch.

Die Gründe für die erhöhten psychischen Belastungen sind laut Studie vielfältig. Neben der Pandemie (42,2 %) spielten schulische Probleme (41,4 %), die Zunahme psychischer Erkrankungen (40,4 %), familiäre Probleme (36,4 %) sowie (Cyber-)Mobbing (28,3 %) und die mangelnde Versorgung psychischer Probleme (26,3 %) eine große Rolle.

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    SPAR/ Peakmedia Dominik Zwerger
    Es ist die Summe der Belastungen, die die Kinder stresst und zur Verzweiflung treibt. Das alles hat das Selbstvertrauen und die Fähigkeit zur Problemlösung reduziert
    Peter Stippl
    ÖBVP-Vizepräsident

    "Auch die hohe Inflation, die Kriege in der Ukraine und in Israel, die Sorge um die Umwelt und Zukunftsängste machen den Jungen Sorgen. Es ist die Summe der Belastungen, die die Kinder stresst und zur Verzweiflung treibt. Das alles hat das Selbstvertrauen und die Fähigkeit zur Problemlösung reduziert", meinte Stippl. "Viele wissen nicht, wie es weitergehen soll und verlieren sich dann in negativen Gedanken", ergänzte Böckle.

    Für viele Kinder ist die Schule der letzte Ort, wo noch Strukturen vorhanden sind. Und viele engagierte Lehrer da draußen kümmern sich wirklich
    Roland Bernhard
    Professor für Schulentwicklung, Leadership & Führungskultur, KPH

    Laut den Experten fehlt es vor allem an der Stärke, Rückschläge auszuhalten und ein Ziel vor Augen zu haben: "Diese Bewältigungskraft werden wir alle in den nächsten Jahren dringend brauchen", so Stippl. In einer Kooperation zwischen ÖBVP und der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH) werden daher Konzepte für Schuldirektoren und Lehrpersonal erarbeitet, die das Selbstvertrauen und Erfolge durch Selbstbewältigung von Problemen stärken sollen.

    "Für viele Kinder ist die Schule der letzte Ort, wo noch Strukturen vorhanden sind. Und viele engagierte Lehrer da draußen kümmern sich wirklich um die Kinder", erklärte Roland Bernhard, Professor für Schulentwicklung, Leadership & Führungskultur an der KPH.

    Derzeit fehlen 75.000 bis 80.000 Therapieplätze für Kinder und Jugendliche, nur etwa ein Viertel aller Betroffenen ist derzeit in Behandlung
    Barbara Haid
    ÖBVP-Präsidentin

    "Zusätzlich bräuchte es auch ein Angebot für Familien und Angehörige", forderte ÖBVP-Präsidentin Barbara Haid. Laut Haid werden von den Gesundheitskassen bis zu 100 Millionen Euro für Psychotherapien ausgegeben – darin sind auch Kosten für Wahl-Therapeuten enthalten: "Wir würden aber das Dreifache, also rund 300 Millionen Euro, benötigen. Derzeit fehlen auch etwa 75.000 bis 80.000 Therapieplätze für Kinder und Jugendliche, nur etwa ein Viertel aller Betroffenen ist derzeit in Behandlung", kritisierte Haid.

    Immerhin erhielten aufgrund der Initiative "Gesund aus der Krise" 8.000 Kinder und Jugendliche eine 15-stündige Gratis-Therapie. In der zweiten Phase, die derzeit in Umsetzung ist, sind nun 10.000 Plätze geplant: "Für 85 % der Patienten haben die 15 Stunden gereicht, für 15 % allerdings nicht", so Haid abschließend.

    Ansprechstellen für Betroffene
    Telefonseelsorge Österreich: 142
    Kriseninterventionszentrum Wien: 01/40 69 595
    Rat auf Draht: 147
    Weisser Ring - Verbrechensopferhilfe: 0800 / 112 112

    cz
    Akt.