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Strahlenangriff in Genf – steckt Putin dahinter?
In Genf sind im US-Konsulat drei Fälle des "Havanna-Syndroms" aufgetreten. Der Verdacht: Angriff mit gerichteter, gepulster Radiofrequenz-Energie.
"Stehen US-Diplomaten unter heimlicher Attacke?", fragen sich US-Medien. Zu Recht. Seit 2016 sind bis dato weltweit mindestens 200 Fälle des "Havanna-Syndroms" aufgetreten - fast ausschließlich bei Vertretenden und Mitarbeitenden der amerikanischen Diplomatie, der CIA, des Außenministeriums und des Pentagons.
Erst letzten August musste die Reise von US-Vizepräsidentin Kamala Harris nach Vietnam verschoben werden, nachdem zwei Beamte der US-Botschaft in Hanoi erkrankt waren. In Serbien, Österreich und Indien tauchten im letzten Jahr ebenfalls Fälle auf.
Jetzt ist auch die Schweiz betroffen. So sind in Genf mindestens drei US-Staatsbürger im Konsulat der Vereinigten Staaten Opfer der mysteriösen Krankheit geworden. Auch in Paris meldet die US-Botschaft einen Fall.
"Gerichtete, gepulste Radiofrequenz-Energie"
Das State Department bestätigte den "anormalen Gesundheitsvorfall" gegenüber "20 Minuten" und verwies auf ein Statement von Außenminister Antony Blinken vom letzten November: "Die Regierung fokussiert unverwandt darauf, diesen Vorfällen auf den Grund zu gehen, seit sie vor mehr als fünf Jahren erstmals von Diplomaten in der US-Botschaft in Havanna gemeldet wurden und die zu schweren körperlichen und physiologischen Schäden führen."
Der wahrscheinlichste Verursacher dieser "Schäden" – sie reichen von Kopfschmerzen über Hör- und Gleichgewichtsverlust bis zu Hirnschäden – sind Strahlen einer "gerichteten, gepulsten Radiofrequenz (RF)-Energie". Zu diesem Schluss kam zuletzt ein vom US-Außenministerium beauftragtes Gremium im Dezember. Bereits 2018 war eine andere Untersuchung zu einem ähnlichen Schluss gekommen.
Datenklau: Mit Mikrowellen-Geräten gegen US-Einrichtungen?
Dabei kann "gerichtete Energie" nicht allein als Waffe verwendet werden - obgleich das schon mehrere Länder getestet haben und einige Unternehmen Waffensysteme mit gerichteter Energie verkaufen, um Drohnen ausschalten.
Beim "Havanna-Syndrom" gehen die Ermittler in den USA vielmehr davon aus, dass ein ausländischer Geheimdienst Mikrowellen-Geräte auf ausländische US-Einrichtungen richtet, um an Daten von Computern und Handys zu kommen. Die damit einhergehenden gesundheitlichen Probleme der Amerikaner dürften in dem Fall ein willkommener Nebeneffekt sein.
Bin-Laden-Jäger hat übernommen
Die Taskforce, die Antworten auf die unerklärlichen gesundheitlichen Probleme finden soll, leitet mittlerweile ein CIA-Veteran, der bereits bei der Jagd nach Al-Qaida-Terrorfürst Osama bin Laden dabei war.
Doch weder seine Taskforce noch die US-Geheimdienste wissen mit Sicherheit, wie die Angriffe praktisch durchgeführt werden und wer wirklich dahinter steckt. "Wir haben interessante Hinweise, aber nichts Handfestes", so ein hochrangiger CIA-Beamter zum "Wall Street Journal".
Wiener Übereinkommen
Die Schweiz hat als Empfangsstaat laut dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen und dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen die Sicherheit ausländischer Vertretungen in der Schweiz sowie deren Personal zu gewährleisten. Allerdings wollten sich weder die Schweizer Behörden zum Fall in Genf äußern (weder das Fedpol, das Justizdepartement, der Nachrichtendienst des Bundes), noch das Außendepartement wollten Stellung nehmen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Ermittlungen in der Sache laufen.
Russland als Nummer-1-Verdächtiger
Ganz oben auf der Liste der Verdächtigen steht neben China der russische Militärgeheimdienst GRU. Immerhin setzte bereits die Sowjetunion unter Josef Stalin Mikrowellen gegen die USA ein, um Geheimdienstoperationen zu stören. "Auch heute wird im Zusammenhang mit dem Havanna-Syndrom keine neuartige Technologie eingesetzt", sagt Marc Polymeropoulos, ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter und Anti-Terrorexperte.
Für Russland spreche auch der Umstand, dass der US-Geheimdienst Handydaten von russischen Militärgeheimdienstlern besitze, die sich zur gleichen Zeit in der Nähe der Amerikaner aufhielten, als diese 2016 auf Kuba erkrankt waren. "Viele dieser Offiziere hatten zuvor an anderen russischen Operationen teilgenommen", so Polymeropoulos.
"Kaum zuzuordnen, extrem störend, nicht zu verschleiern"
Die Strahlen-Anschläge würden darüber hinaus zur Vorliebe der russischen Regierung für ausgefallene aggressive Akte auf fremdem Boden passen, sagt Paul Kolbe vom auf Sicherheitspolitik spezialisierten "Belfer Center" - seien es Vergiftungen mit radioaktiven Isotopen oder militärischen Nervenkampfstoffen wie in Großbritannien oder Exekutionen am helllichten Tag wie in Berlin.
"Die Elemente der Angriffe entsprechen allen Parametern der hybriden Kriegsführung: Sie sind zutiefst asymmetrisch, nicht oder nur sehr schwer zuzuordnen, extrem störend und nicht zu verbergen", so Kolbe. "Das ist eine Vorgehensweise, wie sie unter anderem die Russen bevorzugen."