Amnesty über Armutsbekämpfung
Sozialhilfe: Hohe Anforderungen & Scham für Betroffene
Die NGO Amnesty Österreich sieht die Sozialhilfe in Österreich als ein löchriges System, für Betroffene sei es ein schamvoller Hürdenlauf.
Die Inflation steigt hierzulande deutlich über dem Durchschnitt des Euro-Raums. Mit steigenden Ausgaben gewinnt Armutsbekämpfung auch an Bedeutung, zumindest sollte sie es. Laut Amnesty Österreich gibt es diesbezüglich einige Baustellen in der Alpenrepublik.
"Wir haben einen gut ausgebauten Sozialstaat. Aber das letzte soziale Auffangnetz, die Sozialhilfe, ist löchrig und schließt manche Menschen aus", sagt Ronya Alev, Forscherin bei der NGO. Mit "Als würdest du zum Feind gehen" betitelt die NGO den zweiten Bericht zum Thema Armut und Sozialhilfe in Österreich.
Anträge schwer einreichbar
Schwierigkeiten gebe es bereits bei der Antragstellung für Sozialleistungen. Bei dieser müssten "eine immense Vielzahl" an Dokumenten und Nachweisen vorlegen. Diese sei einerseits sprachlich kompliziert und überfordere teils sogar Sozialarbeiter beim Ausfüllen. Andererseits würde die Beschaffung auch Kosten und somit eine weitere Belastung bedeuten.
"Das Recht auf soziale Sicherheit heißt, dass alle Menschen einen tatsächlichen, effektiven Zugang zur Sozialhilfe haben müssen. Das bedeutet auch, dass das Antragsverfahren für alle zu bewältigen sein muss", betont Alev. Auch in den Ämtern sieht Alev Verbesserungsbedarf. "Derzeit ist es vom Zufall abhängig, ob ich am Amt jemanden antreffe, der mich in meinem Antrag unterstützt oder mich als Bittsteller*in behandelt“.
Bei der Antragsstellung muss auch die Einkommens- und Vermögenssituation nachgewiesen werden. Der Antragssteller muss nicht nur seine Finanzen offen legen, sondern auch jene der Familienmitglieder. Dies könne laut Amnesty zu Abhängigkeiten und Spannungen in einer ohnehin belasteten Situation führen.
Für Sozialleistungen die Familie verklagen
Eine weitere Hürde für manche Personen verursacht die Anforderung zunächst alle offenen Unterhaltsansprüche einzufordern. Dies wirke sich auch besonders negativ für Menschen mit Behinderung aus. Wer als nicht selbsterhaltungsfähig eingestuft wird, muss Unterhaltsansprüche gegenüber ihren Eltern oder auch ihren Kindern verfolgen, heißt es. Laut Alev, die mit Betroffenen und Experten gesprochen hat, verzichten Menschen regelmäßig auf Sozialhilfe. Da sie dafür ihre Unterhaltsansprüche rechtlich verfolgen müssen und im Extremfall die Familie verklagen müssten.
„Für Frauen, die sich aus gewaltvollen Beziehungen gelöst haben, ist es zum Teil unmöglich, mit ihrem Ex-Partner in Verbindung zu treten und Geld einzufordern, selbst wenn es ihnen rechtlich zusteht“
Frauen, die keine Versorgung für ihre Kinder haben, müssen dennoch Jobangebote annehmen, da ihnen unter Umständen die Sozialhilfe gekürzt wird. Migranten hingegen müssen den Besuch von Deutschkursen nachweisen, was zum Teil aufgrund der ihrer Betreuungspflichten schwierig bis unmöglich sei.
Politische Verantwortung
Sozialleistungen werden laut der Menschenrechtsorganisation von vielen als "Almosen" angesehen. Dies hänge auch mit den Entscheidungsträgern zusammen. "Politiker*innen erwecken in ihren Aussagen oft – durchaus bewusst – den Eindruck, dass es am*an der Einzelnen liegt, Armut zu überwinden. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass sie der Meinung sind, dass Armut die Verantwortung, wenn nicht sogar Schuld, der*des Einzelnen ist." Hinter Armut stecken laut Amnesty meist Versäumnisse des Staats.
Die NGO fordert im Vorfeld der Nationalratswahlen "Armut in Österreich als menschenrechtliches Problem anzuerkennen, das zu lösen gilt". Es sei die Aufgabe Österreichs, Armut zu bekämpfen und allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Konkret soll das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz überarbeitet und die genannten Hürden beseitigt werden.