Grätzl-Führungen
Sie lädt zu "erotischen Spaziergängen" durch Wien ein
Die Wiener sind so neugierig auf ihre Stadt, dass Annemarie ihren Job aufgab, um durch Grätzel zu führen. Für ihre Arbeit geht und forscht sie viel.
Wo befindet sich das älteste Bordell Wiens? Wo waren die "leichten Damen" früher unterwegs? Was passierte am Graben bei der Pestsäule? "Für die einen war das Leben früher pure Lust, für die anderen in Wien bedeutete es nur Frust", so Stadtführerin Anne Geiger (54) über das Leben in Wien in den vergangenen Jahrhunderten.
Annemarie Geiger zeigt Wienern und Touristen ihre Stadt. Inzwischen bietet sie 17 Touren an. Und es werden noch mehr. "Bei diesem Spaziergang durch die Wiener Innenstadt widmen wir uns den erotischen Geschichten und ehemals verruchten Orten. Es ist ein Ausflug in die 2.000jährige Sittengeschichte Wiens, amüsant-pikant", verspricht sie über ihre Tour "Lust und Frust". Das älteste Bordell übrigens befand sich schon in der Römerzeit am Michaelerplatz (Innere Stadt).
In 17 Touren Wien neu entdecken
Geiger kann von ihren Stadtführungen gut leben. "Ich hatte bis 2019 noch einen Teilzeitjob, den ich aufgrund der großen Nachfrage als Guide aufgegeben habe." Nun betreibt sie ihre Stadtwanderungen hauptberuflich. Bei den Touren geht es beispielsweise um "Wiener Sagen", "Wiener Geheimnisse", "Wiener Adel", "Wiener Innenhöfe", "Wiener Durchhäuser" oder die "Wiener Kaiserin".
Begonnen hat die ausgebildete Fremdenführerin 2017. Seit 2020 setzt sie ihren Fokus auf Grätzeltouren. "Glücklicherweise interessieren sich die Einheimischen sehr für Wien und seine vielen Grätzel", sagt sie im Gespräch mit "Heute". Eine Tour kostet 24 Euro.
Einheimische lieben die versteckten Winkel Wiens
"Wien - das bedeutet für mich Musik und Oper, eine Melange mit Sachertorte, der Wienerwald und die Weingärten, imperiales Flair, Kunst und Kultur, zweitausend Jahre Geschichte, sowie multikulturelles Zusammenleben und Internationalität", erklärt Geiger.
Bei ihrer Recherche für Touren lässt sie keinen Stein auf dem anderen und sucht überall nach Informationen. Ihr Wissen eignet sich die Wienerin auch in den Bezirksmuseen an. Die seien "immer eine erste, tolle Anlaufstelle. Dort bekommt man Literatur und Information. Das Internet dient mir auch zur Recherche." Dabei achtet sie immer auf seriöse Quellen.
Als Grund für ihren besonderen Job gibt Geiger Neugier an: "Weil ich selbst gerne etwas Neues kennenlerne und meinen Gästen zeigen möchte. Mit den internationalen Gästen bin ich nach wie vor meist in der Innenstadt, in der Hofburg und in Schönbrunn unterwegs. Mit den deutschsprachigen Gästen aber an den versteckten Orten."
Bis zu 12 Touren pro Woche und im Winter in den Süden
Ihre persönliche Lieblingstour ist auf dem Zentralfriedhof. "Ich mache ein bis zwei Touren pro Tag bei einer Dauer von jeweils rund zwei bis drei Stunden. Somit komme ich auf rund zehn bis 12 Touren pro Woche. Einen Tag versuche ich mir komplett freizuhalten." Die Fremdenführerin arbeitet das ganze Jahr hindurch, manchmal selbst in den eisigen Monaten wie Jänner und Februar. Da dann aber weniger Nachfrage herrsche, habe sie sich angewöhnt, in dieser Zeit in warme Länder zu reisen.
Es gibt inzwischen sogar "Wiederholungsteilnehmer", freut sich Geiger. "Mittlerweile habe ich schon viele Stammkunden, die immer wieder auf Touren mitkommen – manche kennen sich dadurch schon und da spaziert dann als "große Familie" durch ein neues Grätzel. Seit heuer bekommt man nach sieben Touren die achte Tour gratis als Dankeschön." Maximal sind 25 Teilnehmer möglich.
Grätzel-Experte wird man nur mit Ausbildung
In Österreich ist der selbständige gewerbliche Beruf des Austria Guide/staatlich geprüften Fremdenführers ein reglementiertes Gewerbe. Es ist eine Ausbildung von zwei bis drei Semestern an einer anerkannten Bildungsinstitution erforderlich, gefolgt von drei Befähigungsprüfungen (mündlich, praktisch und eine schriftliche Unternehmerprüfung) der Wirtschaftskammer. Voraussetzung ist das Interesse an Geschichte, Kultur- und Kunstgeschichte, gute Allgemeinbildung, ein gutes Organisationstalent und eine Fremdsprache, erklärt Geiger.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Annemarie Geiger bietet in Wien Stadtwandertouren an und hat inzwischen 17 Touren im Angebot, mit dem Schwerpunkt auf Grätzeltouren
- Sie hat ihren Teilzeitjob aufgegeben, um sich hauptberuflich als Guide zu betätigen und führt bis zu 12 Touren pro Woche durch
- Sie genießt es, den Einheimischen und Touristen ihre Stadt zu zeigen und hat sogar Stammkunden, die regelmäßig an ihren Touren teilnehmen
- Um Grätzlexperte zu werden, ist in Österreich eine spezielle Ausbildung erforderlich