Schwuler Arzt aus Katar: "Sie würden mich töten"

Morgens arbeitet er als Arzt, nachmittags als Menschenrechtsaktivist: Seit Dr. Nas Mohamed aus Katar ins US-amerikanische San Francisco geflüchtet ist, um im Mai 2022 sein Coming-out zu haben, wurde er zu einem gewichtigen Vertreter der globalen LGBTIQ-Community. Das Hauptziel des 35-Jährigen ist es, den unterdrückten Homosexuellen Katars eine Stimme zu geben. 20 Minuten hat man mit ihm im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in seinem ehemaligen Heimatland ein langes Gespräch geführt.

Dr. Nas Mohamed, was würde passieren, wenn Sie morgen nach Katar zurückkehren würden?

Ich würde attackiert werden. Mir wurden nach meinem Coming-out direkte Morddrohungen ausgesprochen. Wenn ich wieder einen Fuß auf katarischen Boden setzen würde, würden sie mich töten, hieß es. Doch das ist vonseiten der zivilen Bevölkerung.

Und vonseiten der Behörden?

Sich im Internet negativ über das Regime zu äußern, gilt als «Cyber Crime», wofür man mit einer längeren Gefängnisstrafe rechnen muss.

Sind Sie in Kontakt mit Familienmitgliedern?

Nein, ich habe keinen Kontakt zur Familie. Viele Verwandte und Bekannte mussten den Kontakt abbrechen, um sich selbst zu schützen. Ich kommuniziere allerdings oft mit Mitgliedern der LGBTIQ-Community Katars.

Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die WM dem Land Fortschritt bringen könnte und deshalb etwas Gutes ist.

Das ist wie ein Rattenexperiment. (lacht) Schauen wir zum Beispiel in den Iran: Eine 22-Jährige musste zunächst zu Tode geprügelt werden, bis es nun wohl zum Fortschritt kommt. Heißt das nun, dass es eine gute Sache war, die junge Frau totzuprügeln?

Aber die WM könnte positive Prozesse auslösen?

Klar könnten Vorkommnisse während der WM eine Entwicklung auslösen. Aber Fortschritt passiert nicht einfach so. Fortschritt erreicht man nur durch den bewussten Einsatz von Ressourcen. Ich versuche momentan mit aller Macht, diese Ressourcen zu sammeln und zu bündeln. Auch ich habe lange dagesessen und auf Hilfe für uns gewartet.

Bis wann?

Bis ich realisiert habe, dass ich vielleicht eine dieser Ressourcen sein muss. Dieser destabilisierende Moment, als mir bewusst wurde, dass ich mein Coming-out haben und laut werden muss. Damit wir leben und sicher sein können, musste etwas passieren. Mir war klar geworden, dass wir für eine sehr lange Zeit in jenem Loch vergraben werden könnten, das Katar für uns darstellt.

Waren Sie von der öffentlichen Reaktion auf Ihr Coming-out enttäuscht?

Es wird nun über den kulturellen, sozialen oder ökonomischen Einfluss der WM diskutiert. Aber schauen Sie, es ist nun ein kontroverses politisches Thema, ob wir es nun verdient hätten, sicher zu sein. Wie lächerlich ist das denn?

Was nervt Sie besonders daran?

Katar nutzt die Plattform, die es von der Fifa erhalten hat, um das eigene, homophobe Regime zu legitimieren. Westliche Länder zugleich fordern, die Missstände als kulturelle Unterschiede zu Katar zu respektieren. Das spielt Katar total in die Karten.

Würden sich homosexuelle Fans in Katar öffentlich küssen, würde ihnen nichts zustossen?

Katar ist momentan im Krisen-Management-Modus. Sie müssen im Auge der globalen Öffentlichkeit gut aussehen. Daher gehe ich davon aus, dass man die Strafverfolgung diesbezüglich aussetzen wird. Allerdings ist es dann die größte Aufgabe der Behörden, die gewalttätigen Homophoben des Landes in Schach zu halten. Es ist das Interesse Katars, dass nichts passiert.

Was bedeutet das für die lokale LGBTIQ-Community?

Die katarischen Behörden sind bereit, während der WM beispielsweise fremde Homosexuelle zu akzeptieren. Aber niemals die einheimischen. Niemals. Außerdem befürchte ich, dass provokante Aktionen während der WM später an der lokalen LGBTIQ-Community vergolten werden.

Welche Aktionen planen Sie während der WM?

Einerseits haben wir am Montag die Kampagne «Proud Maroons» lanciert, angelehnt an den Spitznamen des katarischen Nationalteams «Maroons». Dabei handelt es sich um den ersten LGBTIQ-Fanclub Katars – und den einzigen weltweit, der im eigenen Land keine Fans haben kann, weil ihre sexuelle Orientierung sogar die Todesstrafe nach sich ziehen kann. Wir werden während der WM täglich schockierende Geschichten von katarischen LGBTIQ-Menschen publizieren.

Was ging Ihnen bei der Aussage von Khaled Salman, Homosexualität sei ein geistiger Schaden, durch den Kopf?

Es hat mich alles andere als schockiert. Allerdings bin ich fasziniert von den globalen Medien und wie sie funktionieren. Ich hatte über lange Zeit erfolglos versucht, mittels einer wissenschaftlichen Dokumentation zu belegen, dass sich Homosexuelle in Katar einer staatlich durchgeführten Konversionstherapie unterziehen müssen. Dann kommt eine einzige Aussage eines WM-Botschafters und plötzlich geht das Thema viral.

Ist Khaled Salman speziell rückständig in seinen Ansichten oder ist das Standard in Katar?

Das ist absoluter Konsens in Katar. Und bei weitem nicht die extremste Haltung. Viele glauben, Schwule seien Kriminelle, die geschlagen und gefoltert werden sollten.

Wie steht Katar im Vergleich zu anderen Ländern in der Golf-Region da, wenn es um die Haltung gegenüber Homosexuellen geht?

In der Golf-Region würde ich Katar zu den Top-3-Ländern zählen, wenn es um die schlechte Behandlung von Schwulen geht – wahrscheinlich ist das Land zusammen mit Saudiarabien am schlimmsten.

Wird man in einigen Jahren auf die WM zurückschauen und feststellen, dass sich 2022 die Situation für die LGBTIQ-Community zu verbessern begann?

Ja. Es wird für die Welt so bizarr sein, dass tatsächlich ein Wandel losgetreten werden könnte. Dennoch: Die WM hätte niemals an Katar vergeben werden dürfen. Wenn sie jetzt aber schon da ist, versuchen wir, etwas zu ändern.

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