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"Schicksalswahl" – bleibt Erdogan weiter an der Macht?

Präsident Recep Tayyip Erdogan fürchtet zum ersten Mal seit 20 Jahren um seine Wiederwahl. Für Regierung und Opposition ist es eine "Schicksalswahl".

Recep Tayyip Erdogan geht zum ersten Mal seit 20 Jahren nicht als Favorit ins Rennen und bangt um seine Wiederwahl.
Recep Tayyip Erdogan geht zum ersten Mal seit 20 Jahren nicht als Favorit ins Rennen und bangt um seine Wiederwahl.
IMAGO/APAimages

Am 14. Mai stimmen rund 61 Millionen stimmberechtigte Menschen in der Türkei und rund 3,4 Millionen Türkinnen und Türken im Ausland über das Präsidentenamt und ein neues Parlament ab. 100 Jahre nach der Republikgründung steht das Land vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:

Warum ist die Wahl wichtig?

Recep Tayyip Erdogan hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 so viel Macht wie noch nie und kann weitestgehend am Parlament vorbei regieren. Kritiker fürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte er erneut gewinnen. Die Opposition will zurück zum parlamentarischen System. Bestimmendes Thema im türkischen Wahlkampf ist vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Für Europa spielt die Türkei in der Migrationspolitik eine große Rolle: Das Land beherbergt 3,5 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien.

Worüber wird abgestimmt?

Die Wähler haben am 14. Mai zwei Stimmen: eine für den Präsidenten und eine für das Parlament. Gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan (69) tritt als aussichtsreichster Kandidat Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (74) für ein Bündnis aus sechs Parteien an. Zudem gehen zwei weitere Kandidaten ins Rennen: Sinan Ogan (55) und Muharrem Ince (59) – sie haben keine Chancen auf einen Sieg, machen aber eine Stichwahl zwischen Kilicdaroglu und Erdogan wahrscheinlicher. Für das Parlament treten viele Parteien in Allianzen an.

Was hat es mit den Allianzen auf sich?

Die Bündnisse erleichtern es kleineren Parteien, die Hürde von sieben Prozent zu überwinden. Überschreiten die gültigen Gesamtstimmen aller Parteien einer Allianz diese Hürde, ist die Mindestvoraussetzung für den Einzug ins Parlament erfüllt. Erdogans islamisch-konservative AKP bildet ein Bündnis mit der ultranationalistischen MHP sowie mit kleineren rechten und islamistischen Parteien. Kilicdaroglus sozialdemokratische Partei CHP tritt mit der nationalistischen Iyi-Partei und vier kleineren Parteien unterschiedlicher Lager an. Darunter sind auch ehemalige Erdogan-Anhänger. Die prokurdische HDP tritt wegen eines drohenden Parteiverbots unter dem Banner der Grünen Linkspartei an. Sie bildet mit kleineren linken Parteien ein Bündnis, das seine Wähler dazu aufgerufen hat, für Kilicdaroglu zu stimmen.

Wie stehen die Chancen der Opposition?

So gut wie nie. Kilicdaroglu liegt in den meisten Umfragen vorne, es zeichnet sich jedoch ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Gewinnt keiner der Kandidaten in der ersten Runde das absolute Mehr, kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl – voraussichtlich zwischen Kilicdaroglu und Erdogan. Wer die Mehrheit im Parlament mit seinen 600 Abgeordneten erringen wird, ist noch nicht absehbar. Die Partei, die das Parlament gewinnt, hätte in einer Stichwahl einen psychologischen Vorteil.

Wird die Wahl fair und frei?

Nach Ansicht von Beobachtern ist der Wahlkampf unfair – unter anderem wegen der Medienübermacht der Regierung. Erdogan nutzt zudem staatliche Ressourcen. Hunderttausende Beobachter von Regierung und Opposition sollen die Urnen in der Wahlnacht absichern. Das macht Betrug zumindest schwieriger. Zu Problemen kann es trotzdem kommen.

Gibt es Einmischung von außen?

Es sieht ganz danach aus, dass Russland die Wahlen zu beeinflussen versucht. So zeigen geleakte Dokumente aus dem Sicherheitsapparat des Kreml, dass russische Geheimdienste Demonstrationen in westlichen Großstädten inszenieren oder unterwandern. Demnach simulieren kleine Gruppen zum Beispiel antitürkische Kundgebungen, geben sich dabei als Ukrainer aus und agitieren gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, um Propagandamaterial für Internetplattformen zu erzeugen. In einem Papier, das der Pariser Zeitung "Le Monde" vorliegt, setzte sich der russische Geheimdienst etwa zum Ziel, "die undankbare und provokante Reaktion der Ukraine" auf die Erdbeben-Tragödie in der Türkei anzuprangern. Auch sollen die Spannungen zwischen der Türkei und Schweden verschärft werden, damit Ankara an seinem Veto gegen die Nato-Aufnahme Stockholms festhält.

Würde Erdogan nach einer Niederlage freiwillig gehen?

Beobachter gehen davon aus, dass es keine Probleme geben dürfte, sollte die Opposition mit Abstand gewinnen. Knifflig könnte es werden, falls der Wahlausgang knapp ist. Dann könnte Erdogan versuchen, das Ergebnis anzufechten.

Wann beginnt die Wahl – und wann gibt es das Ergebnis?

Rund 61 Millionen Menschen sind in der Türkei stimmberechtigt. Im Ausland läuft die Abstimmung noch bis heute, Dienstag. Die Wahllokale in der Türkei öffnen um sieben Uhr und schließen um 16 Uhr. Der Sieger steht in der Regel in der Nacht fest.

Wie wirkt sich die Wahl auf Europa aus?

Das Verhältnis zur EU gilt als angespannt. Die Verhandlungen über einen EU-Beitritt liegen auf Eis. Das will die Opposition ändern. Kilicdaroglu will möglichst schnell die Visafreiheit für seine Staatsbürger erreichen und dazu alle nötigen Reformen angehen. Einen Konflikt könnte es beim sogenannten Flüchtlingspakt mit der EU geben, den Kilicdaroglu neu verhandeln will. Er verspricht zudem, Syrer auf freiwilliger Basis in das Bürgerkriegsland zurückzuschicken. Er will dazu mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad reden. Auch Erdogan will sich Assad wieder annähern. Weil das Land dringend Investitionen benötigt, auch aus der EU, wird Erdogan zumindest vorerst versuchen, Spannungen zu vermeiden.

Und für den Rest der Welt?

Das Oppositionsbündnis bekennt sich zur Nato und will weiter enge Beziehungen zu Russland pflegen. Politologin Hürcan Asli Aksoy sieht zwei entscheidende Unterschiede in der Außenpolitik von Regierung und Opposition. Zum einen werde sich die Rhetorik ändern und es keine Anfeindungen mehr Richtung Westen geben, sagt sie. Die Opposition wolle die Außenpolitik zudem institutionalisieren. Politik werde damit nicht mehr im Präsidialbüro gemacht, sondern in den Ministerien.

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