"Republik treu gedient": Bierleins steile Karriere

Brigitte Bierlein legte eine wahre Ausnahmekarriere hin. Ihr Jus-Studium in Wien schloss die Tochter eines Beamten und einer Künstlerin in Mindestzeit mit der Promotion ab. Nach der Richterausbildung begann sie eine Laufbahn als Staatsanwältin, die sie von der Staatsanwaltschaft Wien über die Oberstaatsanwaltschaft Wien und das Bundesministerium für Justiz zur Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof führte, wo sie ab 1990 bis zu ihrem Eintritt in den Verfassungsgerichtshof Generalanwältin war – die erste Frau in dieser Position in Österreich.

Diese Pionierleistungen ziehen sich durch Bierleins Karriere. Die Spitzenjuristin war von 2003 bis 2018 Vizepräsidentin und von Februar 2018 bis zu ihrer Ernennung zur Bundeskanzlerin am 3. Juni 2019 Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Sie war in all diesen Ämtern die erste Frau, die das in Österreich erreichte.

Der Tod von Brigitte Bierlein, die mit knapp 75 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit am Montag verstorben ist, schockiert das ganze Land. "Sie hat in vielen Funktionen der Regierung treu gedient. Als Hüterin unserer Verfassung und auch als erste Bundeskanzlerin", schreibt Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf X.

"Der Verfassungsgerichtshof verliert eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats", so VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter in einer Aussendung.

Neben ihren beruflichen Aufgaben war Brigitte Bierlein jahrzehntelang in der staatsanwaltlichen Standesvertretung, in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt sowie als Vorsitzende des Aufsichtsrats der Bundestheater-Holding und des Kuratoriums der Stiftung Forum Verfassung tätig. Sie verfasste zahlreiche wissenschaftliche Beiträge in den Bereichen des Strafrechts und des öffentlichen Rechts.

Brigitte Bierlein wurde auch als erste Frau Bundeskanzlerin in Österreich. Die parteilose Topjuristin stand vor ziemlich genau fünf Jahren der Experten-Regierung vor, die infolge der Ibiza-Affäre gebildet wurde. Bierlein war exakt 218 Tage im Amt, ehe Sebastian Kurz im Jänner 2020 wieder die Geschicke am Ballhausplatz übernahm. Bierlein erhielt in ihrer Karriere zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. So war sie unter anderem Trägerin des Großen Goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich und des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland.

Bierleins langjähriger Lebensgefährte war der Richter Ernest Maurer, der im März 2021 mit 77 Jahren starb.