Großes ORF-Interview
"Rechtsextrem, radikal" – Nehammer rechnet mit Kickl ab
Welche Koalition würde Bundeskanzler Karl Nehammer nach der Wahl favorisieren? Die FPÖ schließt er trotz einer harten Abrechnung nicht aus.
Mit dem "Österreichplan" hat Bundeskanzler Karl Nehammer am Freitag den Wahlkampf eingeläutet. In Wels präsentierte der ÖVP-Vorsitzende sein Vorhaben für die Zukunft. Also: Mit welchem politischen Programm es nach Vorstellung der Volkspartei in Österreich weitergehen soll. Zu einzelnen Aspekten des Plans äußerte sich der Kanzler am Sonntagvormittag in der "ORF-Pressestunde".
Nehammer zu vorgezogenen Neuwahlen
Die Gerüchte über vorgezogene Neuwahlen, etwa eine Doppelwahl am 9. Juni (EU-Wahlen und Nationalratswahl), wollte der Kanzler nicht befeuern. Der Plan sehe vor, bis September die Regierungsgeschäfte zu führen, erklärte er. Schließlich habe man noch einiges abzuarbeiten. Dem Einwand, dass man Pläne auch ändern könne, wich er aus. "Wenn ich es allein entscheide, weiß ich, dass wir bis September weiterarbeiten", sagte Nehammer. Endgültig ausschließen wollte er Neuwahlen aber nicht.
Nehammer zu seinem Konzept gegen die Teuerungen
Obwohl Teuerungen und Inflation die größten Sorgen der Menschen in Österreich sind, kommen die Begriffe in Nehammers Konzept quasi nicht vor. Dennoch will der Kanzler die "Wettbewerbsfähigkeit Österreichs verbessern". Dazu habe man etwa den Stromkostendeckel und die Zufallsgewinnsteuer für Energiekonzerne verlängert. Neue Maßnahmen plane die Regierung derzeit nicht. Stattdessen forderte der Kanzler weniger staatliche Maßnahmen. "Wir müssen Weg von der Subventionitis der letzten Jahre," sagte er.
So will der Kanzler den Österreich-Plan finanzieren
Experten wie der Fiskalratschef Christoph Badelt kritisierten, dass die ÖVP im Österreichplan nicht erklärt, wie sie ihre Vorhaben finanzieren wolle. "Als jemand, der die Staatsfinanzen im Auge hat, frage ich mich: Wie soll das gehen?", erklärte der Wirtschaftswissenschafter am Samstag. Laut Berechnungen der Arbeiterkammer kostet das Vorhaben pro Jahr rund elf Milliarden Euro. Auf die Kritik zur mangelnden Gegenfinanzierung ging Nehammer in der "Pressestunde" nicht direkt ein. "Hochrechnungen anzustellen, wo der Plan noch nicht beschlossen ist, ist nicht seriös". Auch wie teuer die ÖVP-Wünsche wären, wollte er nicht verraten. Die Zahlen dazu sollen vorerst unter Verschluss bleiben.
Das ÖVP-Papier sieht weiters vor, dass die österreichische Wirtschaft durch Entlastungen angekurbelt wird. Einsparungen soll etwa eine Reform des Arbeitslosengeldes bringen. Außerdem sollen Geflüchtete in den ersten fünf Jahren statt Bargeld Sachleistungen erhalten. Nehammer zeigte sich optimistisch: "Ich habe in zweieinhalb Jahren als Kanzler immer gehört, was nicht geht". Entscheidend sei es, die Weichen für "mehr Investitionen" zu stellen.
Spalten oder gestalten
Besonders schwierig wird nach der Wahl die Bildung einer neuen Regierung; wird es eine Koalition rechts der Mitte oder eher links davon? Für Nehammer sei es jedenfalls ausgeschlossen, eine Koalition mit der FPÖ einzugehen, solange Herbert Kickl an deren Spitze steht. Seine Worte wähle er hier mit Bedacht, konkretisierte er auf Nachfrage von Pötzelsberger, schloss eine Zusammenarbeit mit der FPÖ also nicht grundsätzlich aus. "Solange die FPÖ auf Herbert Kickl setzt – der ein Sicherheitsrisiko ist, der Verschwörungstheorien glaubt, der Fahndungslisten ausschreibt –, dann ist das die Entscheidung der FPÖ." Die Wahl der Menschen im September fasste er so zusammen: "Der eine spaltet, ich will mit den Menschen gestalten."
Wieder warf hier ORF-Moderator Pötzelsberger ein, dass die FPÖ derart stark inhaltlich geschlossen sei, dass der Vorsitzende wohl nur wenig Unterschied macht. "Nein, das sehe ich überhaupt nicht so", antwortete Nehammer. In einer Demokratie gibt es ein breites, buntes Parteienspektrum. "Herbert Kickl hat sich radikalisiert und damit die Partei." Findet ein Obmannwechsel statt, verändert sich auch die Partei. Nehammers Ziel wird es sein, direkt nach dem Wahltag an einer tragfähigen Koalition zu arbeiten, was auch immer dabei herauskommt.
Kickl rechtsextrem? "Ja"
Etwas klarerer drückte es ÖVP-Mann Andreas Hanger unlängst aus, der die FPÖ als im Wesen korrupte Partei bezeichnete. "Jede Partei hat die Möglichkeit eines Selbstreinigungsprozesses", so Nehammer, ihr diese Möglichkeit zu geben sei wichtig.
Nun steigt seit Jahren der Antisemitismus in Europa und Herbert Kickl verteidigt Rechtsextremisten wie die Identitären. Dagegen müsse man als Gesellschaft klar vorgehen. "Ist Herbert Kickl ein Rechtsextremer für Sie?", wollte Pötzelsberger wissen. "Ja", antwortete Nehammer klar, "auf jeden Fall." Wer Fahndungslisten erstellt, hat Demokratie nicht verstanden. "Herbert Kickl hat sich radikalisiert." Er sei jemand, der die Spaltung als sein politisches Konzept gewählt hat.