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Flucht ins Exil: "Putin wollte uns töten lassen"

Ekaterina Sorokina (31) und Ruslan Serazhidinov (41) sind russische Putin-Kritiker, die nach zwei versuchten Attentaten nach Ecuador geflüchtet sind.

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Das russische Ehepaar musste vor Putin flüchten.
Das russische Ehepaar musste vor Putin flüchten.
Facebook/ayudahumanitariasorokina

"Wir haben früh angefangen, die russische Politik zu kritisieren – das hat uns fast das Leben gekostet", erzählen Ekaterina Sorokina und Ruslan Serazhidinov. Die beiden wuchsen in Russland auf: Sie in einer reichen Familie in der Stadt Kamensk-Uralski westlich von Moskau, er als Kind einer Arbeiterfamilie in Saretschny, einem militärischen Stützpunkt im Südosten des Landes. Dort leiteten sie eine Bürgerrechtsbewegung und kamen durch Repressionen immer mehr unter Druck von den russischen Behörden – der Konflikt gipfelte 2017 in zwei Mordversuchen auf das Ehepaar: "Man wollte uns auslöschen, wir haben knapp überlebt und mussten nach Ecuador fliehen."

"Ich wurde zum russischen Staatsfeind."

Korruption und Intransparenz

Alles fing damit an, dass Serazhidinov, der als Ingenieur bei Gazprom arbeitete und auch am Bau von Gas-Pipelines nach Europa beteiligt war, 2007 politisch in der Opposition aktiv wurde: "Das politische System war voller Korruption und Intransparenz. An der Spitze stehen "putin-treue" Politiker. Politische Opponenten erhalten fast gar keine Chancen, in diesem System aufzusteigen." Er habe sich davon nicht unterkriegen lassen und Kundgebungen geleitet, Klagen vorbereitet und an Gerichtsverhandlungen teilgenommen, sagt Serazhidinov. Bei den nächsten Wahlen seien einige Oppositionelle gar ins Parlament gewählt worden. "Das war der Moment, in dem ich zum russischen Staatsfeind wurde."

Todesurteil bei -40 Grad

Schleichend hätten ab 2016 die Repressionen begonnen, sagt Serazhidinov. Zunächst habe der Geheimdienst Geschäftsleuten in der Stadt verboten, mit ihm Handel zu treiben. Sie seien so lange wirtschaftlich isoliert worden, bis sie erst kein Geld, dann keine Lebensmittel mehr hatten: "Ende Winter ging uns auch das Holz aus. Im Ural, wo es im Winter bis zu minus vierzig Grad kalt wird, kann das dein Todesurteil bedeuten." Überlebt hätten sie nur, weil sie selbst Holz im Wald beschaffen konnten. Ernährt hätten sie sich in dieser Zeit von ihren zwei Hühnern und den Erzeugnissen ihrer Ziegen: "Ohne sie wären wir jetzt wohl tot."

Putins Wiederwahl: Das Paar sollte verstummen

2017, knapp ein halbes Jahr vor Putins Wiederwahl, sei es dann zur Eskalation gekommen: Sie seien mitten in der Nacht aufgewacht, weil ihr Haus brannte, sagt Sorokina: "Wir haben eigenhändig das Feuer gelöscht, konnten gemeinsam mit der eintreffenden Feuerwehr beweisen, dass es Brandstiftung war." Als nur Tage später einige Männer ins Haus einbrechen wollten, hätten sie um ihr Leben gefürchtet: "Die Sicherheitsdienste wollten sicherstellen, dass wir Putins Wiederwahl nicht gefährden. Sie wollten uns endgültig zum Verstummen bringen."

Zwei Wochen später sei sie im Garten mit einer Luftpistole angeschossen worden, sagt Sorokina. Als die Polizei auch nach Stunden nicht aufgetaucht sei, habe sich das Paar selbst auf den Weg auf den Polizeiposten gemacht. Dort kamen sie nie an: "Wir liefen neben der Hauptstraße ins Dorf, als aus dem Nichts mit massiven Holzstücken von hinten auf uns eingeschlagen wurde", sagt Serazhidinov. "Wir drehten uns um: Es waren die gleichen Männer, die uns schon seit Wochen verfolgten."

Wie verrückt gekämpft

Serazhidinov und Sorokina seien von den Männern niedergeschlagen und verprügelt worden: "Wir haben wie verrückt gekämpft und uns gewehrt, obwohl wir beide schwer verletzt waren", sagt Sorokina. Schließlich sei sie auf die Straße gerannt, um fahrende Autos zum Halten zu bringen. Erst dann seien die Angreifer geflüchtet: Damit habe ich unsere Leben gerettet."

Das Paar habe danach fast einen Monat im Spital verbringen müssen: Serazhidinov musste schwere Schädelbrüche behandeln lassen, Ekaterina erlitt Prellungen und Quetschungen. "Wäre ich nicht sofort operiert worden, wäre ich gestorben", sagt Serazhidinov. Bereits im Spital planten sie ihre Ausreise: "Wir wussten, dass wir in Russland nicht mehr sicher sind und mit weiteren Angriffen rechnen müssen."

Im politischen Exil

Seit bald vier Jahren lebten sie nun bereits in Ecuador im politischen Exil. Wer die Attacke auf sie ausübte, haben sie bis heute nicht herausgefunden: "Wir sind uns aber sicher, dass die Männer von Moskau geschickt wurden", so Serazhidinov. Sie hätten alles zurücklassen müssen. "Gleichzeitig fühlte es sich an wie eine Wiedergeburt: Zum ersten Mal mussten wir uns nicht ständig Sorgen um unsere Sicherheit machen."

Staatliche Behörden haben alles im Griff

Wie Sorokina und Serazhidinov sagen, wünschen sie sich, dass der Westen begreife, wie tief die Probleme in Russland gehen – vor allen in den armen ehemaligen Soviet-Städten im Uralgebiet, fernab der reichen Städte rund um Moskau: "Das Leben dort ist getrieben von Gewalt, Armut und Korruption. Die staatlichen Behörden haben das öffentliche Leben fest im Griff: Wer sich gegen die öffentliche Meinung ausspricht, wird entweder durch Repressionen, im schlimmsten Fall durch Auftragsmord, ausgeschaltet und ruhiggestellt."

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    General <strong>Wladimir Alexejew</strong> ist ab sofort der Erste Stellvertretende Leiter des Militärnachrichtendienstes GRU
    General Wladimir Alexejew ist ab sofort der Erste Stellvertretende Leiter des Militärnachrichtendienstes GRU
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