Neue Eskalation
Putin legt neu fest, wann er Atomwaffen zünden wird
Wladimir Putin lässt seine Atomdoktrin ändern. Das schürt neue Nuklear-Ängste, denn die Doktrin besagen, wann Russland Atomwaffen einsetzen wird.
Kaum eine Woche ohne neue Atomdrohungen von Russlands Präsident Wladimir Putin. Wie am Dienstag vom russischen Außenministerium bekannt gegeben wurde, plant Putin nun wegen des Ukraine-Krieges und der westlichen Unterstützung für das brutal überfallene Land eine Änderung seiner Atomdoktrin. Konkret ist davon die Rede, dass einige Passagen "angepasst" werden müssten, darunter auch die Politik der nuklearen Abschreckung.
Details wurden dagegen nicht genannt. Die Atomdoktrin Putins besagt, wann er Atomwaffen einsetzen würde. Bisher war das in zwei Fällen festgehalten: Entweder, wenn Russland selbst atomar angegriffen wird oder, wenn ein Angriff auf Russland mit nicht-atomaren Waffen die "Existenz des Landes" gefährde. Erwartet wird nun eine scharfe Formulierung, mit der Putin versuchen könnte, Unterstützer der Ukraine abzuschrecken.
Zahl einsatzbereiter Atomwaffen steigt
Die Atommächte setzen angesichts zahlreicher internationaler Konflikte verstärkt auf eine nukleare Abschreckung. Die Anzahl der einsatzbereiten Atomsprengköpfe steigt kontinuierlich, wie aus dem am Montag veröffentlichten Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervorgeht. Zwar würden ausrangierte Sprengköpfe demontiert und die weltweite Zahl der Kernwaffen sinke seit Jahrzehnten. Zugleich würden aber immer mehr Sprengköpfe einsatzfähig gehalten.
Auch die Anzahl der in der Entwicklung befindlichen Kernwaffen hat laut Sipri zugenommen, da Staaten verstärkt auf nukleare Abschreckung setzen. Vom weltweiten Gesamtbestand der schätzungsweise 12.121 Sprengköpfe im Jänner 2024 befanden sich etwa 9585 in militärischen Lagerbeständen für den potenziellen Einsatz. Rund 3.904 dieser Sprengköpfe waren auf Raketen und Flugzeugen bestückt – 60 mehr als im Jänner 2023. Der Rest befand sich laut Bericht in Zentrallagern.
USA und Russland dominieren
Insgesamt neun Länder verfügen nach Angaben des Instituts über Atomwaffen. Spitzenreiter sind die USA und Russland. In ihren Beständen befinden sich etwa 90 Prozent aller nuklearen Sprengköpfe. Großbritannien rangiert auf dem dritten Platz gefolgt von Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Deutschland besitzt solche Waffen nicht. Zusätzlich zu ihren militärischen Beständen haben Russland und die USA jeweils mehr als 1.200 Sprengköpfe, die zuvor aus dem Militärarsenal genommen wurden und nach und nach abgebaut werden.
"Während die Gesamtzahl der nuklearen Sprengköpfe weltweit weiter sinkt, da die Waffen aus der Zeit des Kalten Krieges allmählich abgebaut werden, steigt die Zahl der einsatzbereiten Nuklearsprengköpfe leider weiterhin von Jahr zu Jahr", sagte Sipri-Direktor Dan Smith in dem Bericht. Die Friedensforscher erwarten eine Fortsetzung und Beschleunigung des Trends, was "äusserst besorgniserregend" sei.
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China erstmals auf höchster Alarmbereitschaft
Etwa 2.100 der eingesetzten Sprengköpfe wurden auf ballistischen Raketen in hoher Alarmbereitschaft gehalten, hieß es. Nahezu alle diese Sprengköpfe gehörten Russland oder den USA. Erstmals soll aber auch China einige Sprengköpfe in hoher Alarmbereitschaft halten. Das dortige allgemeine Atomwaffenarsenal stieg von 410 im Jänner 2023 gezählten Sprengköpfen auf 500 im Jänner 2024. "China baut sein Atomwaffenarsenal schneller aus als jedes andere Land", sagte Sipri-Experte Hans Kristensen. Doch ausnahmslos alle nuklear bewaffneten Staaten hätten Bestrebungen, die Bestände weiter aufzustocken.
Dabei will sich aber keiner so recht in die Karten schauen lassen. Die Transparenz in Bezug auf die Nuklearstreitkräfte der beiden führenden Länder habe nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 abgenommen, beklagen die Sipri-Experten. Auch in den übrigen Ländern sei die Transparenz zurückgegangen. An Bedeutung gewonnen habe hingegen die Debatte über Vereinbarungen zur gemeinsamen Nutzung von Atomwaffen. "Wir haben seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt, dass Atomwaffen eine so herausragende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen seit dem Kalten Krieg", sagte Wilfred Wan, Leiter des Sipri-Programms für Massenvernichtungswaffen.
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Diplomatie leidet unter russischem Verhalten
Die Atomdiplomatie hat seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 mehrere Rückschläge erlitten. Kremlchef Wladimir Putin hatte im Februar 2023 den Abrüstungsvertrag "New Start" – den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA – außer Kraft gesetzt. Dieser begrenzt die Atomwaffenarsenale beider Länder und regelt Inspektionen. Auch Gespräche über ein Nachfolgeabkommen für den 2026 auslaufenden Vertrag wurden auf Eis gelegt.
Im November 2023 zog Russland seine Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) zurück und begründete dies mit einem "Ungleichgewicht" gegenüber den USA, die den Vertrag nicht ratifiziert hatten, seit er 1996 zur Unterzeichnung aufgelegt wurde. Zuletzt kündigte Russland im Mai 2024 taktische Atomwaffenübungen nahe der ukrainischen Grenze an.