Österreich
Protest gegen Abschiebung von Flüchtlingsfamilie
Im Laufe des heutigen Tages soll die tschetschenische Flüchtlingsfamilie Tikaev abgeschoben werden. Dagegen regt sich Widerstand.
Um 9.17 Uhr am heutigen Dienstag läutete das Telefon von Ilse Schindler. Ein letztes Mal war Roman , Vater der insgesamt sechsköpfigen Flüchtlingsfamilie, die heute abgeschoben werden soll, am anderen Ende der Leitung. "Wir haben uns verabschiedet", sagt Ilse Schindler, die die Familie über Jahre hinweg unterstützt hat, tief betroffen. Und: "Er hat sich bei allen bedankt, die geholfen und die Familie unterstützt haben." Schindler kann es nicht glauben: Es besteht keine Hoffnung mehr, dass die gut integrierte Familie bleiben darf.
"Das ist menschenverachtend", sagt Schindler. Auch wenn alles legal ist – der Abschiebebescheid gilt: "Das sind Menschen hinter den Zahlen", sagt Schindler.
Protest-Flashmob am Flughafen
Nach Informationen aus dem Umfeld befindet sich die Flüchtlingsfamilie in Schwechat in Schubhaft, wartet auf ihre Abschiebung – die jede Minute stattfinden kann. Dagegen regt sich Protest. Mit einem Flashmob unter dem Motto "Stop Deportations – Flashmob am Flughafen!" protestieren heute, Dienstag, um 19 Uhr, Unterstützer gegen die Abschiebung der Familie.
Am Samstag Nachmittag war der Kontakt zur Familie plötzlich abgebrochen, sie war telefonisch nicht mehr erreichbar. Zunächst war unklar, ob die sechsköpfige Familie untergetaucht oder in Schubhaft ist – es war letzteres. Seit sechs Jahren lebt die Familie in Wien, Anfang Jänner war sie in eine Betreuungsstelle in Schwechat gebracht worden, die Kinder durften nicht mehr in ihre Wiener Schulen gehen – "Heute" berichtete.
Schon am Wochenende hatten sich viele unterstützend hinter die Familie gestellt – darunter Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) und Bildungsexperte Daniel Landau. Montag Abend war klar: Die Abschiebung der Familie ist für Dienstag geplant.
Landau: "Es geht hier um Menschen"
"Es geht hier um Menschen. Die Frage des humanitären Bleiberechts muss geklärt werden. Außerdem wird hier die Frage des Kindeswohls völlig ignoriert", sagt Bildungsexperte Daniel Landau zu "Heute". Die Kinderrechte müssten im Vordergrund stehen. Es stelle sich die Frage, warum niemand in den Schulen der Kinder gewesen sei, "um sich anzuschauen, ob die Kinder integriert sind." Klar ist: Die Kids sprechen akzentfreies Deutsch, der zwölfjährige Alikhan ist sogar Klassensprecher. Ein Antrag der Familie auf Bleiberecht wurde noch nicht bearbeitet, so die Unterstützer der Familie.
Schon am Montag Abend hatte Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) angekündigt, die Familie weiterhin zu unterstützen: "Sie sind hier zu Hause, werden aus ihrer Heimatstadt abgeschoben", so Vassilakou.
"Für mich gilt: Ich kann es wirklich nicht fassen, dass man Wiener Kinder aus ihrer Heimatstadt abschiebt", so Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) am Dienstag zu "Heute". Kinderrechte würden "mit Füßen getreten". Es sei eine "grausame Härte", dass man "Kindern nicht die Möglichkeit gibt, das Schuljahr fertig zu machen." Hier werde versucht, "ein Exempel zu statuieren". Dienstagfrüh hätten sich die Kinder gewünscht, mit ihr zu telefonieren. "Das wurde nicht gestattet".
Vassilakou: "Hätte gedacht, dass es in der Politik Grenzen gibt"
"Ich hätte gedacht, dass es in der Politik Grenzen gibt", so Vassilakou. Und: "Man inszeniert sich nicht auf Kosten von Kindern. Das ist kein gutes Signal." In Hinblick auf die vielen Unterstützer der Familie sagt Vassilakou: "Das wollen wir nicht." Sobald es möglich ist, will die Vize-Stadtchefin mit der Familie Kontakt aufnehmen – und versuchen, einem der Buben "den Hauptschulabschluss zu ermöglichen, wenn es von der Familie gewünscht ist." Es sei zu hoffen, dass "das Schuljahr nicht verloren geht".
"Meine Sorge gilt Familien in ähnlicher Situation", so Vassilakou. Und: "Es wird eine Bewegung brauchen – bestehend aus all den Menschen, die nicht wollen, dass wir in Österreich mit Kindern in dieser Art umgehen."
Am Dienstag meldete sich auch Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner via Facebook zu Wort, fordert: "Bleiben wir weiterhin wachsam! Bleiben wir weiterhin engagiert für mehr Menschlichkeit und Menschenrechte!" Und: "Kinder gehören in kein Großlager! Kinder haben ein Recht auf Schulbesuch! Kinder gehören in keine bunten Vater-Mutter-Kind Gefängnisse! Und alle Kinder und Menschen haben Rechte!"
Auch von der Liste Pilz kommt scharfe Kritik an der Abschiebung. "Seit über vier Jahren zieht sich das Asylverfahren der Familie Tikaev. Ihre Anträge auf Bleiberecht wegen guter Integration blieben eineinhalb Jahren unbehandelt. In der Zeit wurden keine ersichtlichen Ermittlungsschritte gesetzt, es gab keine Einvernahme. Ich frage mich, wie die Behörde die Erkenntnis erlangen möchte, ob der Familie ein Bleiberecht nach § 55 Asylgesetz zukommt. Es ist für mich absolut unverständlich, wieso jetzt plötzlich eine Familie mit vier Kindern unter Hochdruck abgeschoben werden muss – obwohl die Frage des humanitären Bleiberechts ungeklärt bleibt", so Alma Zadic, Menschenrechtssprecherin der Liste Pilz.
Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits zeigt sich fassungslos: "Durch das plötzliche Herausreißen der vier Geschwister in ein großes Loch entstanden." Kinder haben laut Pinterits "Anspruch auf Schutz und Fürsorge", zitiert sie das Bundesverfassungsgesetz. Und: "Die Möglichkeit eines Aufenthalts der Kinder aufgrund von humanitären Aufenthaltsrechts wurde ihnen versagt trotzdem die Familie als sehr gut integriert gelten könnte", so Pinterits. "Ausgezeichnet integriert und kluge Kinder sollten wohl im Sinne der Kinderrecht einen Anspruch auf humanitäres Bleiberecht haben", fordert die Kinder- und Jugendanwältin. (gem)