Notlage in Betreuung
Pflegekrise: "Muss Hälfte meiner Klienten wegschicken"
Expertin beschreibt, wie schlimm die Lage in Österreich wirklich ist. Pflegekräfte haben wenig Anreiz, hier zu arbeiten.
Das Pflege-System steckt tief in der Krise. Tausende Familien werden ins organisatorische und finanzielle Chaos gestürzt, sobald ein Verwandter pflegebedürftig wird. Auch die Teuerung schlägt stark zu: "Immer mehr Menschen müssen wir wegschicken, sie können sich keine Pflege leisten. Das tut mir im Herzen weh", sagt Karin Hamminger zu "Heute". Sie betreibt eine Agentur ("Pflegegruppe"), die Pfleger vermittelt.
Die Managerin beschreibt, wie Ehepaare nach 50 gemeinsamen Jahren plötzlich auseinandergerissen werden: "Ich erinnere mich an ein Ehepaar aus Floridsdorf. Die Frau bekommt nur eine Mini-Pension, sie hatte nie gearbeitet. Plötzlich braucht sie eine 24-Stunden-Betreuung."
"Du musst gehen, wir können uns nichts anderes leisten"
Damit beginnt die Familien-Katastrophe. Schon nach kurzer Beratung ist klar, die Finanzierung der Betreuung wird unmöglich. Benötigt werden 3.000 bis 3.500 Euro monatlich, erklärt Hamminger. Dazu kommen noch weitere Ausgaben für die Pflegerin, etwa ihre Verpflegung. Es gab nur einen Ausweg: "Die Frau kam ins Pflegeheim, der Mann sagte ihr 'du musst gehen, wir können uns nichts anderes leisten'. Seine große Hoffnung war, dass – wenn er auch pflegebedürftig wird – er wenigstens ins selbe Heim kommt wie seine geliebte Frau." Trauriger Nachsatz: "Aber selbst das ist ungewiss."
Für einen großen Teil der Bevölkerung ist die 24-Stunden-Pflege nicht leistbar. Es ist ein riskanter Zustand, sagt Hamminger: "Wer daheim nicht ordentlich gepflegt wird, bei dem steigt die Zahl der Zwischenfälle, der gefährlichen Stürze mit schweren Verletzungen."
„Während der Pandemie haben wir 35 Prozent des Personals verloren“
Es ist ein schlimmer Kreislauf: Wir werden immer älter, brauchen daher immer mehr Pflegekräfte. Doch ausgerechnet die Zahl der Betreuer wird konstant weniger – das ist die zweite gefährliche Seite dieser Krise.
Folgende Fakten zeigen deutlich die Misere: Aktuell kümmern sich 60.000 Pflegerinnen um etwa 40.000 Menschen, die Tag und Nacht Pflege brauchen. Noch vor wenigen Jahren waren es noch 80.000 Betreuerinnen. Die Zahl sinkt ungebremst weiter stark.
Karin Hamminger: "Die Krise hat sich durch Corona verschärft. Jene, die damals beruflich schon am Anschlag waren, haben aufgehört. Viele davon sind nicht mehr in den Job zurückgekehrt. Unser Betrieb hat innerhalb der Pandemie 35 Prozent des Personals verloren", sagt sie zu "Heute".
Nur jeder Zweite bekommt Pflegerin
Laut Homepage verspricht die Pflege-Agentur eine Wartezeit auf eine Pflegekraft von acht Werktagen. Doch die Chefin gibt ehrlich zu: "Es kann sein, dass wir bald sagen müssen, es sind 14 Tage Wartezeit." Und es ist auch so, dass sie nicht mehr alle Klienten annehmen kann: "Die Hälfte müssen wir wegschicken."
Dabei ist dieses Unternehmen top. "Wir haben Glück, sind international vernetzt. Manche Mitbewerber finden überhaupt keine Pflegekräfte mehr. Die haben nur freie Ressourcen, wenn einer ihrer Patienten stirbt."
200.000 Pfleger dringend gesucht
Ein Grund ist, dass Pfleger nicht mehr nach Österreich kommen, "Sie gehen viel lieber in die Schweiz, nach Deutschland oder Italien – dort gibt es bessere Konditionen."
Deswegen fordert Hamminger von der Politik unter anderem eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes: "Die Politik soll endlich Arbeitskräfte aus Drittstaaten zulassen. Also etwa aus Serbien, Montenegro oder Nordmazedonien. Dort gibt es noch genug willige Arbeitskräfte. Aber die darf ich hier in Österreich nicht anstellen. Kein Wunder, dass die dann nach Deutschland gehen."
Der Pflege-Notstand wird zur laut tickenden Bombe. Eine Prognose von Gesundheit Österreich zeigt auf, dass wir bis zum Jahr 2050 insgesamt knapp 200.000 neue Pfleger brauchen!