Zwei Tote waren nicht genug
Obdachlosen-Killer gibt zu: "Ich wollte weiter morden"
Das Gutachten einer Gerichtspsychologin gibt erste, erschreckende Einblicke in die Psyche und das Motiv des 17-jährigen Serienkillers.
"Ich bin der gesuchte Obdachlosen-Killer": Mit diesen Worten hat sich jener Serientäter, der im Sommer 2023 zwei Obdachlose in Wien getötet hat, am 11. Dezember selbst bei der Polizei gestellt. Er selbst war zum Tatzeitpunkt gerade erst 16 Jahre alt. Nun liefert ein Gutachten erste, erschreckende Einblicke in die Psyche und das Motiv des Jugendlichen.
"Ich wollte morden"
"Ich habe sie ausgesucht, weil sie im Freien schliefen, weil ich sie für wehrlos hielt", erklärt der inzwischen 17-Jährige der Grazer Kinder- und Jugendpsychiaterin Isabel Böge die Gründe, warum er im Juli und August des Vorjahres mit einem Stiletto-Messer auf drei Obdachlose eingestochen hat. Zwei Männer starben, eine Frau wurde schwer verletzt. "Ich wollte meine Wut aus mir rauslassen, ich wollte morden", zitiert die "Kronen Zeitung" aus dem Dossier.
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In der Justizanstalt Josefstadt gilt er derzeit als Musterhäftling, höflich und artig. Fast scheint es unwirklich, dass er es war, der seine Mutter im September 2023 in Ottakring krankenhausreif prügelte. "Ich war voll mit Drogen, sie hat mich genervt, da bin ich in einen Blutrausch geraten", erzählt er laut "Krone" der Gerichtspsychologin, die ihn in den vergangenen Monaten gründlich untersucht hat.
Psychopath und Scheidungskind
Der freundliche Serienmörder ist offenbar kein Widerspruch. Laut ihrer Expertise zeigt der 17-Jährige typische Anzeichen eines Psychopathen. Er ist folglich dazu fähig, normgerecht, angepasst, sogar sympathisch zu agieren.
Eigentlich wuchs der spätere Killer recht behütet auf, wenngleich sich seine Eltern (beides Beamte) früh scheiden ließen. In der Schule galt er als verschlossen, schrieb aber gute Noten und fiel nicht auf. Bei seiner Mutter war er trotzdem unzufrieden. "Manchmal war sie extrem lieb zu mir, manchmal sehr ablehnend."
"Ich trage die Schuld am Tod meiner Schwester."
Mit 14 übersiedelte er schließlich zum Vater. Um seine kleine Halbschwester, die er mittlerweile hatte, soll er sich liebevoll gesorgt haben, las ihr aus Märchenbüchern vor. Aber seine Stiefmutter mochte ihn nicht: "Sie behandelte mich mies. Denn sie war eifersüchtig auf mich, weil mein Papa sich um mich kümmerte. Sie machte ihm deshalb ständig Vorwürfe und stellte ihn letztlich vor die Wahl: Entweder sie – oder ich."
Der Vater entschied sich für den Sohn. Ein, im Nachhinein, fataler Moment. Denn kurz darauf brachte die Verlassene zuerst ihre vierjährige Tochter und dann sich selbst um. "Ich trage die Schuld am Tod meiner Schwester."
Dieses traumatische Erlebnis habe in ihm "etwas abgespalten. Ich konnte nicht weinen, fühlte mich leer, zog mich total in mich zurück. Und ich spürte eine seltsame Kälte in mir. Es machte mir nicht einmal mehr etwas aus, dass ich nun – in der schrecklichen Situation meines Papas – wieder zu meiner Mutter kam", so der 17-Jährige zu Böge.
Weder Mitleid noch Furcht
Er verließ das Gymnasium, brach zwei Lehren ab. Stattdessen experimentierte er mit Drogen: Ecstasy, Kokain, Ketamin, LSD, Opium, Morphium, Benzodiazepine, Heroin. Wie ein Getriebener, voll des Hasses – gegen alles, gegen jeden – lief er nachts, mit seinem Messer bewaffnet, durch Wiens Straßen. Sein Ziel: zu töten.
Nach seiner ersten Tat hätte er "kleine Gewissensbisse" gehabt, nach seiner zweiten "kaum welche", nach seiner dritten "gar keine mehr. Es war eine echte Eiseskälte in mir." Mehr noch: Er fühlte weder Mitleid noch Furcht, gefasst zu werden: "Ich fühlte mich stark und mächtig."
Erst eine neue Liebe beendet das Morden
Als später ein Fahndungsvideo (siehe unten) und sogar 10.000 Euro für zielführende Hinweise zu seiner Verhaftung ausgesetzt wurden, "da dachte ich: Jetzt bin ich etwas wert. Weil ich Dinge gemacht habe, zu denen nicht jeder fähig ist." Und er gibt gegenüber der Gerichtspsychologin unumwunden zu: Ja, er habe "schon weitermachen wollen mit dem Killen".
Doch im November letzten Jahres lernte er bei einer Party ein Mädchen kennen, verliebte sich. Für die Beziehung entschied er sich, sich bei der Polizei zu stellen. Laut Google würde ihm ein Strafausmaß von "maximal zehn Jahren" drohen, so seine Rechnung. "Diese Trennungszeit werden meine Partnerin und ich durchstehen, meinte ich. Und ich beschloss, mich zu stellen. Bei lebenslang hätte ich das freilich nicht getan." Seine Freundin ist es auch, die den 17-Jährigen regelmäßig in der Haft besucht.
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Nach wie vor brandgefährlich
Doch die Gutachterin hält den Jugendlichen für brandgefährlich. Von ihm seien mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft erneut schwere Taten gegen Leib und Leben zu erwarten. Außerdem diagnostiziert Böge ihm Zurechnungsunfähigkeit und empfiehlt seine Einweisung in ein forensisches Zentrum.
Zwei weitere psychiatrische Sachverständige haben den 17-Jährigen inzwischen ebenfalls untersucht, ihre Expertisen dürften demnächst vorliegen. Der Prozess gegen den jungen Mann ist für Herbst geplant.