Experten warnen

Neuro-Waffen wie auf Netflix "ernstzunehmende Gefahr"

In der Netflix-Serie "Zero Day" spielen Waffen, die das Gehirn manipulieren, eine zentrale Rolle. Experten sagen, wie realistisch Neuro-Waffen sind.
12.03.2025, 19:05

"Zero Day" gehört derzeit zu den beliebtesten Serien auf Netflix. Darin muss ein ehemaliger US-Präsident nach einer verheerenden Cyberattacke das Land vor Chaos bewahren. Im Fokus: Sogenannte Neuro-Waffen, die das menschliche Gehirn manipulieren. Der Ex-Präsident leidet unter Halluzinationen und vermutet, mit solchen Waffen angegriffen zu werden. Wie realistisch ist ein solches Szenario? Drei Experten geben Antworten.

Existieren solche wie in "Zero Day" beschriebene Waffen?

"Eine Waffe, die aus der Ferne gezielt Halluzinationen und Desorientierung auslösen kann, existiert noch nicht", sagt Marcello Ienca von der Technischen Universität München. Um Hirnfunktionen etwa mit Ultraschall gezielt zu beeinflussen, bräuchte es direkten Kontakt mit der Kopfhaut. Das sieht auch Sana Zakaria von der Denkfabrik "Rand Europe" so: "Die Entwicklung eines Geräts, das in der Lage ist, menschliche Hirnsignale nach Belieben zu manipulieren, stößt aktuell auf unüberwindbare technische Hürden."

Gibt es andere neurologische Waffen und was versteht man darunter?

"Einige vermuten, dass das sogenannte Havanna-Syndrom ein Beweis für solche Waffen ist", sagt Jean-Marc Rickli vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik. Es gebe in diesem Zusammenhang Hypothesen über den Einsatz von Mikro- oder Schallwellen zur Störung von Gehirnfunktionen, aber keine Beweise. Der Begriff "neurologische Waffe" kann laut Ienca aber auf jegliche Waffen angewendet werden, die direkt oder indirekt das Nervensystem beeinflussen, darunter fallen auch chemische Kampfstoffe wie Sarin oder VX.

Was ist das Havanna-Syndrom?

Das Havanna-Syndrom beschreibt rätselhafte Gesundheitsprobleme, die 2016 erstmals bei US-Diplomaten in Havanna auftraten. Betroffene litten unter Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Hörverlust und Gedächtnisausfällen. Später wurden ähnliche Fälle etwa in Österreich, China, Russland und im Weißen Haus in Washington gemeldet. 2021 waren wohl auch Personen in Wien betroffen.

Die Ursache ist unklar: Neben Umweltfaktoren und Vorerkrankungen wurde auch der russische Geheimdienst GRU verdächtigt, Mikrowellen oder Ultraschall als Waffe eingesetzt zu haben, was Russland bestritt. 2023 schlossen US-Geheimdienste feindliche Angriffe aus. Doch Anfang 2025 gab es Berichte, dass zwei US-Geheimdienste eine 50:50-Chance sähen, dass "neuartige Waffen" ausländischer Akteure verantwortlich seien.

Inwiefern wird an Neuro-Waffen geforscht? Gibt es Programme zu deren Entwicklung?

"Militärische und geheimdienstliche Institutionen haben ein wachsendes Interesse an Neurotechnologien", sagt Ienca – besonders in den USA, China und Russland gebe es entsprechende Forschungsprogramme. "Der Fokus liegt aber eher auf der geistigen Verbesserung von Soldaten oder neuen Verhör- und Überwachungsmethoden." Laut Rickli öffnen Fortschritte in diesem Bereich zunehmend die Tür zur "kognitiven Kriegsführung": die Fähigkeit, zu kontrollieren, wie und was Menschen denken, um zu steuern, wie sie handeln. "Wir sind immer mehr in der Lage, Mechanismen zu entwickeln, die das Gehirn auf unterschiedliche Weise angreifen."

Wie könnten solche Waffen aussehen?

Da Schädelknochen etwa Ultraschallwellen stark abschwächen, wären tragbare oder implantierbare Geräte erforderlich, so Ienca. In naher Zukunft wahrscheinlicher ist laut Zakaria darum die Manipulation sogenannter "Brain-Computer-Interfaces" (BCI), die in der Medizin, aber auch im Lifestyle-Bereich immer verbreiteter werden. Dabei werden mittels chirurgischer Implantation von Chips oder Elektroden auf der Kopfhaut Gehirnsignale erfasst und von Computern bearbeitet. "Falls BCI gehackt oder manipuliert werden könnten, wäre eine gezielte Einflussnahme auf das Nervensystem denkbar", so Ienca.

Doch auch ohne Chips im Kopf könnte die Psyche eines Menschen beeinflusst werden: "Sind die mentalen Schwachstellen eines Menschen einmal bekannt, könnte gezielt schwacher elektrischer Strom genutzt werden, um das Angstzentrum zu triggern und Gegner psychologisch zu destabilisieren. Soldaten könnten aber auch furchtloser gemacht werden."

Wie groß ist die Gefahr einer potenziellen Waffennutzung?

Vereinfach gesagt heißt das also: Waffen, mit denen die Psyche der Menschen aus der Distanz beeinflusst werden kann, sind noch Science-Fiction. Die Technologie, um mittels Strom das Gehirn so zu manipulieren, dass Menschen Angstzustände erleben, waghalsiger werden oder andere Emotionen verstärkt wahrnehmen, ist aber grundsätzlich vorhanden – und wird im militärischen Kontext weiter erforscht.

"Die Gefahr ist real und muss ernst genommen werden", sagt Ienca. Besonders riskant sei die Verflechtung von Hightech-Unternehmen und staatlicher Macht. Auch die Nato hat laut Zakaria dieses Risiko erkannt und warnt davor, dass das Gehirn zum "Schlachtfeld der Zukunft" werden könnte.

Das sind die Experten:

Marcello Ienca / Technische Universität München

Marcello Ienca forscht an der Technischen Universität München und ETH Lausanne über die ethisch nachhaltige Entwicklung von KI-Systemen und Neurotechnologien. Er gehört zu den führenden Forschern im Bereich Neurotechnologie und Waffennutzung und hat auch die UNO zu diesem Thema beraten. Er setzt sich aktiv gegen die Militarisierung von Neurotechnologie ein.

Sana Zakaria / RAND Europe

Sana Zakaria ist Forschungsleiterin in der Forschungsgruppe "Wissenschaft und aufkommende Technologie" bei der Denkfabrik "Rand Europe".

Jean-Marc Rickli / Institut national genevois

Jean-Marc Rickli ist Leiter des Bereichs "Globale und neu entstehende Risiken" am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik.

{title && {title} } red,20 Minuten, {title && {title} } Akt. 13.03.2025, 10:09, 12.03.2025, 19:05
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