Sportmix

Muster über Thiem: "Katastrophale Entscheidungen"

Tennis-Ikone Thomas Muster spricht beim Heurigen in Wien über die Zukunft von Dominic Thiem: "Er muss sich neu erfinden."

Martin Huber
Ikone Muster über Ex-Schützling Thiem: "Er war nicht matchfit!"
Ikone Muster über Ex-Schützling Thiem: "Er war nicht matchfit!"
GEPA

"Es liegen drei Jahre mit katastrophalen Entscheidungen hinter ihm. Es sind viele Fehler passiert. Dominic war das schwächste Glied in der Kette. Alarmierend ist, wenn du das als Spieler bist."

Thomas Muster weiß, wovon er redet, wenn er über Dominic Thiem spricht. Die Ex-Nummer-1 der Tennis-Welt war Anfang 2020 sogar sein Coach. Nur neun Monate später gewinnt Thiem die US Open. Der Niederösterreicher ist mit 27 Jahren am Ziel seiner Tennis-Träume. Doch dann geht es steil bergab und streikt Thiems Schlaghand. 

"Seitdem höre ich vom Comeback", sagt Muster zu "Heute" beim Heurigen "Christ" in Wien. "Das Comeback ist aber schon seit zwei Jahren vorbei."

1/5
Gehe zur Galerie
    Sepp Resnik mit zerstörten Tennisschlägern in seinem Domizil in der Lobau: "Ein Geschenk von Dominic."
    Sepp Resnik mit zerstörten Tennisschlägern in seinem Domizil in der Lobau: "Ein Geschenk von Dominic."
    Helmut Graf

    Muster ist als Turnierbotschafter der Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle beim Heurigen in Floridsdorf. Seit 400 Jahren wird hier Landwirtschaft betrieben, seit einem halben Jahrhundert dreht sich im "Christ" alles um den Wein. Ein bisschen wie bei Muster, der ja selbst auch Wein anbaut. An diesem Abend greift der French-Open-Sieger von 1995 aber nur zum Traubensaft und zur Marlboro. Er outet sich als akribischer Thiem-Beobachter.

    "Ich habe jedes Match seit seiner Verletzung geschaut. Mich interessiert es psychologisch."

    Musters These zum Absturz: "Der Sieg bei den US Open ist passiert. Er hat gut gespielt und es ist passiert – früher als erwartet. Dann fehlte das ,Jetzt erst recht‘." Muster ist überzeugt: "Er hätte sich nach dem Finalsieg in New York von Trainer Nicolas Massu trennen müssen. Ich schätze Massu, aber er schuf eine Wohlfühloase nach der Ära Günter Bresnik. Das hat gutgetan und bei den US Open genau gepasst. Mit etwas Verzögerung kriegst du aber die Watsche. Weil Tennis ist nicht Spaß, Tennis ist Qual."

    1/5
    Gehe zur Galerie
      Fußball-Fan in Köln: Dominic Thiem verfolgt mit Freundin Lili vor der Tennis-Saison 2023 das 1:1 von Köln gegen Hoffenheim im Stadion. 
      Fußball-Fan in Köln: Dominic Thiem verfolgt mit Freundin Lili vor der Tennis-Saison 2023 das 1:1 von Köln gegen Hoffenheim im Stadion.
      Imago

      Muster hatte nach der Trennung im Jänner 2020 keinen Kontakt mehr zu den Thiems. "Ich habe damit abgeschlossen. Ich hatte ja vorher viele Angebote als Trainer, aber ich hätte das für niemand anderen als für Dominic gemacht."

      Eines sei ihm wichtig: "Was im Hintergrund passiert, dazu will und kann ich mich gar nicht äußern. Mit steht es nicht zu, sein Umfeld zu beurteilen. Mich interessiert es aber, wie er am Platz Probleme löst." Oder auch nicht löst. Für Muster ist klar, warum der Weg zurück an die Weltspitze nach der Handgelenkverletzung lange Zeit zur Pleiten-Show verkommt.

      "Die Summe der schlechten Entscheidungen machte es aus. Er hat sich von jedem getrennt, der es gut mit ihm meinte. Und er war nicht matchfit. Dominic ist ein Spieler, der hohe Wiederholungszahlen braucht, der alles einschleifen muss. Und es ist eben so: Bei einem Comeback musst du einmal so gut werden wie davor – und dann noch besser, weil das Tennis nicht stehen bleibt."

      1/77
      Gehe zur Galerie
        Tennis-Held Dominic Thiem! Wir zeigen in einer großen Diashow das Leben des rot-weiß-roten Sportstars.
        Tennis-Held Dominic Thiem! Wir zeigen in einer großen Diashow das Leben des rot-weiß-roten Sportstars.
        gepa-pictures.com

        Ein Tennis-Comeback sei aufreibend. "Ich kenne das. Ich habe nach sechs Monaten wieder gespielt, obwohl alle Bänder im Knie kaputt waren." Das war 1990, ein Jahr später fiel er in ein Loch. "1991 war ein Totalausfall, dann habe ich drei Jahre gebraucht, um die Kurve zu kriegen." Das Problem: die Motivation. "Aber irgendwann musst du dich entscheiden, ob es dein Beruf ist und bleiben soll."

        "Beim Comeback musst du dich im Kopf völlig neu erfinden." Das wäre jetzt bei Thiem gefragt. "Sechs Meter hinter der Grundlinie gewinnt er kein Spiel. Bei einigen Turnieren hatte er ja Glück, dass es keine Linienrichter mehr gibt. Nach dem Return muss er vor ins Feld. Das kommt aber auch mit Siegen und dem Selbstvertrauen." 

        Den neuen Thiem-Trainer Benjamin Ebrahimzadeh sieht Muster positiv, weil es wieder um Intensität gehe. "Vielleicht kriegt er ihn in die Spur. Neben dem harten Training sind auch Gespräche wichtig: Dominic war sich nicht sicher, ob er das noch will. Es braucht seine Bereitschaft. Er ist kein gestandener Top-5-Spieler. Bei ihm muss alles passen, damit er erfolgreich ist."

        Die Trennung von Massu sei "zu spät" passiert. "Das hätte man schon vor der Saison machen müssen." Nachsatz: "Aber dass Dominic nicht der Entscheidungsfreudigste ist, hat er ja schon oft bewiesen."

        1/4
        Gehe zur Galerie
          Dominic Thiem enthüllt am 6.10 bei Madame Tussauds Wien seine eigene Wachsfigur.
          Dominic Thiem enthüllt am 6.10 bei Madame Tussauds Wien seine eigene Wachsfigur.
          gepa

          Es war die knappe Niederlage in Madrid gegen Stefanos Tsitsipas, die vielen heimischen Tennis-Fans wieder Hoffnung gab. Muster will die Leistung nicht überbewerten. "Ein schönes Match für Fans, aber von der Qualität sicher nicht das Gelbe vom Ei."

          Trotzdem seien die ersten Schritte gemacht. "Am Anfang gab es beim Shakehands noch Mitleid von der Konkurrenz. Jetzt geht es in die richtige Richtung." Für Muster ist klar: "In Paris will keiner der Gesetzten gegen Thiem spielen. Er kann einen Großen rausnehmen, natürlich ist ein Achtel- oder Viertelfinale drinnen."

          Die Gegenwart heißt aber Mauthausen. In Oberösterreich, wo im Vorjahr Jurij Rodionov triumphierte, schlägt Thiem beim Challenger ab Sonntag auf. Muster hätte sich ein Antreten bei einer Challenger-Serie schon im Oktober nach dem Stadthallen-Turnier gewünscht. Thiem beendete damals kurzfristig die Saison, zog einen Sylt-Urlaub vor.

          "Vielleicht hat es die Tiefpunkte ja gebraucht", sagt Muster. "Er hat viel Geld verloren. Noch hat er aber fünf, sechs Jahre vor sich, wenn er gesund bleibt. Darum geht es jetzt, nicht um die Fehler der Vergangenheit. Es kann nur besser werden. Die entscheidende Frage wird sein: Wie viel Schmerz ist er bereit zu ertragen?"

          Für Muster sind heuer schon die Top 30 drin. "Da gehört er hin. Er muss es nicht uns, sondern sich selbst beweisen."