"Dämonengesicht"-Syndrom
Mit dieser Krankheit siehst du ringsum nur Monster
Für Victor Sharrah hat jede Person ein unheimliches, fratzenartiges, böses Lächeln. Er war verzweifelt und wollte sich sogar einweisen lassen.
Wenn Victor Sharrah aus Tennessee (USA) auf andere Menschen trifft, erscheinen sie für ihn wie Monster. Jeder Mensch hat für ihn ein fratzenartiges, böses Lächeln, wie man es aus Horrorfilmen kennt. "Man kann sich nicht vorstellen, wie beängstigend das war", erklärte der 59-Jährige aus Clarksville dem Nachrichtensender NBC. 2020 bemerkte der LKW-Fahrer zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmte. Sein Mitbewohner erschien ihm plötzlich als entstellte Person. Als er sich nach draußen wagte, stellte er fest, dass alle Menschen entstellt aussahen, obwohl Sharrah nicht fehlsichtig war oder eine andere Augenkrankheit hatte. "Mein erster Gedanke war, dass ich in einer Dämonenwelt aufgewacht bin. Ich flippte wirklich aus und wollte mich einweisen lassen."
Prosopometamorphopsie
Der Mann aus Tennessee leidet an einer extrem seltenen Krankheit namens "Dämonengesicht"-Syndrom, im Fachjargon als Prosopometamorphopsie (PMO) bekannt, von der bisher nur 75 Fälle bekannt sind. Dabei handelt es sich um eine bizarre Krankheit, bei der die Gesichter jedes Mal, wenn der Betroffene eine Person ansieht, visuell verzerrt werden, sodass sie satanisch erscheinen. Die Visionen variieren je nach Person - insbesondere in Bezug auf Augenform, Größe, Farbe und Position der Gesichtszüge - und die PMO kann Tage, Wochen oder sogar Jahre andauern.
Erstmalige Studie
In Zusammenarbeit mit Forschern der des Dartmouth College in New Hampshire konnten nun erstmals fotorealistische visuelle Darstellungen von Sharrahs PMO-bedingten Gesichtsverzerrungen erstellt werden, die es ihnen ermöglichten, die Welt durch seine Augen zu sehen. Zu diesem Zweck nahmen sie ein Foto des Gesichts einer Person auf und zeigten es dem Patienten auf einem Bildschirm, während er das tatsächliche Gesicht der Person betrachtete. Mithilfe einer Computersoftware passte das Team das Foto an, um es an die vom Patienten wahrgenommenen Verzerrungen anzupassen. Dadurch konnte der Patient die Ähnlichkeit zwischen seiner Wahrnehmung des tatsächlichen Gesichts und dem manipulierten Foto genau bestimmen. "Er gab an, dass die Verzerrungen - stark gestreckte Gesichtszüge mit tiefen Furchen auf der Stirn, den Wangen und dem Kinn - bei allen Personen, denen er begegnete, vorhanden waren, aber er berichtete von keinen Verzerrungen, wenn er Objekte wie Häuser oder Autos betrachtete", heißt es in der Studie.
Interessanterweise sah der Trucker diese unheimlichen Gesichter nicht, wenn er Gesichtsdarstellungen auf dem Bildschirm oder auf Papier betrachtete. Und im Gegensatz zu einigen Symptomen der Schizophrenie oder anderer psychischer Störungen gingen die koboldartigen Verzerrungen nicht mit wahnhaften Vorstellungen über die Menschen einher, denen er begegnete.
Die Forscher glauben, dass Sharrahs Sehstörungen durch eine Kopfverletzung, die er sich mit 43 Jahren zugezogen, oder durch eine Kohlenmonoxidvergiftung, die er vier Monate vor dem Auftreten der Symptome erlitten hatte, verursacht worden sein könnten. MRT-Scans zeigten auch eine Läsion auf der linken Seite seines Gehirns - ein weiterer möglicher PMO-Auslöser. Leider kämpft Sharrah nach drei Jahren immer noch mit diesen visuellen Dämonen, aber er hat sich an den Zustand "gewöhnt" und hofft, dass er von alleine "weggeht".
Oft fehldiagnostiziert
Mit ihrer Arbeit hoffen die Forscher, das Bewusstsein für die "Dämonengesicht"-Störung zu schärfen, die häufig fälschlicherweise als psychiatrische Störung diagnostiziert wird. "Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die an PMO leiden, anderen nicht von ihrem Problem mit der Gesichtswahrnehmung erzählen, weil sie befürchten, dass andere die Verzerrungen für ein Zeichen einer psychiatrischen Störung halten", so der Hauptautor der Studie, Hirnforscher Brad Duchaine. "Es ist ein Problem, das die Leute oft nicht verstehen."