EU-Wehrfähigkeit
Militär-Experte warnt: "Stecken tief in der Schei*e"
In einem Interview hat der Ex-Vize-Chef der belgischen Armee gewarnt, dass viele Armeen in Europa auf einen Krieg alles andere als vorbereitet seien.
"Nach ein paar Stunden müssten wir schon Steine werfen" – so äußerte sich Marc Thys, pensionierter Generalleutnant und früher der stellvertretende Chef der belgischen Armee, in der Vergangenheit zu den Munitionsbeständen diverser Armeen in Europa.
Jetzt findet Thys zur Wehrfähigkeit der Länder in der EU und in Europa noch deutlich klarere Worte. "Wir stecken da tief in der Schei*e", sagte er in einem Interview mit dem bayrischen Rundfunk. Denn viele EU-Länder beliefern die Ukraine bald seit zwei Jahren mit Artilleriegeschossen, aber auch kleinkalibriger Munition und ganzen Waffensystemen. Dafür greifen sie auf die eigenen Bestände zurück, die mittlerweile massiv ausgedünnt sind, wie der "Merkur" schreibt.
Sieben Jahre Wartezeit für Munition
"Gerade bei hochwertiger Munition sind die Bestände extrem niedrig", so Thys. Um diese wieder aufzufüllen, dauere es aber lange Zeit: Bei manchen Munitionsarten vergehen laut dem Generalleutnant von der Bestellung bis zur Lieferung bis zu sieben Jahre. "Selbst bei der einfachsten Kleinkalibermunition 5.56, einem Nato-Standard, dauert es bei einer Vertragsunterzeichnung am heutigen Tag zwölf Monate, bis man die Munition bekommt", sagt Thys. Auch die Dienstwaffe der Schweizer Armee, das Stgw 90, verschießt die 5.56-Patrone.
Nicht nur die Munitionsbestände werden laut dem ehemaligen Vize der belgischen Armee vielerorts gefährlich knapp, sondern auch viele Waffensysteme. Darüber sei man sich wohl auch an anderen Orten im Klaren: "Du kannst sicher sein, dass unsere Gegner, ob sie jetzt in Moskau, Peking oder sonst wo auf der Welt sitzen, von der Munitionsknappheit wissen", warnt Thys.
Fokus auf Expeditionseinsätze rächt sich
Als Hauptgründe für die Knappheit sieht Marc Thys die Art von Einsätzen, auf die sich die europäischen Militärs in den letzten Jahrzehnten konzentriert haben. Diese seien nämlich auf Expeditionseinsätze ausgelegt und verfügen deshalb nur über kleine Truppenkontingente mit wenig Logistik und Munition.
Eine solche Spezialisierung auf Einsätze wie jene in Afghanistan oder Afrika, wo eine kleine Zahl an bestens ausgebildeten Soldaten eingesetzt wird, betrachtet Thys aber nicht mehr als zeitgemäß. "Plötzlich befinden wir uns wieder in einer Zeit der offenen Kriege", warnt er. Kriege, bei denen alle Bestandteile eines Militärs herausgefordert würden.
Als Beispiel führt er Deutschland an, das Ende der 1980er etwa 5.000 Panzer hatte. "Heute hat Deutschland zwischen 200 und 300. Ich sage nicht, die Bundeswehr muss wieder zurück zu den 5000, aber diese Lücke ist schon enorm."
"Gesellschaft muss ihren Wohlstand verteidigen"
Während das Geld vorhanden sei, müsse der tatsächliche Wandel im Kopf stattfinden. "Sicherheit kostet etwas, das müssen wir wieder lernen. Die Gesellschaft muss bereit sein, ihren Wohlstand zu verteidigen", fordert er. Zudem solle die Rüstungsindustrie das finanzielle Risiko nicht mehr selbst tragen müssen, sondern stattdessen von den Regierungen und der Europäischen Union abgesichert sein.