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Mehr Scheidungen nach dem Ende der Pandemie?
Eigentlich ging man davon aus, dass die Lockdowns die Anzahl der Scheidungen erhöht. Doch dem war nicht so. Jetzt scheint sich das Blatt zu wenden.
14.870 Paare ließen sich 2020 in Österreich scheiden. Das sind knapp neun Prozent weniger als im Vorjahr und damit ist klar: Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns und Ausgangssperren haben nicht vermehrt zu Scheidungen geführt. Vorerst zumindest. Denn Scheidungsanwälte rechnen erst mit dem voraussichtlichen Ende der Pandemie mit einem Anstieg.
"Die Pandemiezeit ist aus unserer Perspektive extrem wechselhaft verlaufen. 2020 war ein Ausnahmejahr", schildert Scheidungsexperte Clemens Gärner, Partner der Kanzlei Gärner Perl Rechtsanwälte. "Corona hat zunächst in der ersten Jahreshälfte einen großen Impact gehabt. Wir haben in unserer Kanzlei einen Anstieg von 30 Prozent an Scheidungsfällen registriert! Danach ließ der Ansturm fast vollständig nach. Jetzt merken wir, dass mit dem voraussichtlichen Ende der Pandemie die KlientInnen-Anfragen immer zahlreicher werden", so Gärner.
„"Die wenigsten Ehen halten eine Insolvenz aus."“
Wirtschaft trennt Ehen
Der Grund dafür soll die erwartete Insolvenzwelle in Österreich sein. "Man merkt, dass viele derzeit den Atem anhalten, bis sie wissen, wie es wirtschaftlich weitergeht", so der Experte. "Wir gehen davon aus, dass es spätestens im Herbst, wenn in Österreich die Pleitewelle erwartet wird, zu einer parallelen Scheidungswelle kommen wird. Denn die wenigsten Ehen halten eine Insolvenz aus."
Das liege unter anderem daran, dass sich Menschen erst dann ihre finanzielle Notlage eingestehen, wenn sich diese nicht mehr verbergen lässt. "Ich erlebe immer wieder, dass Ehepartner aus allen Wolken fallen und sich zutiefst hintergangen fühlen. Für sie ist eine verheimlichte Pleite genauso schlimm wie eine Affäre", schildert der Anwalt. Zudem verpasse man mit einer solchen Kopf-in-den-Sand-Taktik, rechtzeitig Maßnahmen zu setzen, die die Familie im Zuge der Insolvenz schützen. Dazu zähle auch, dass die Ehewohnung nicht Teil einer Konkursmasse wird. "Es gibt viel, dass rechtlich getan werden kann, um den privaten Schaden zu reduzieren. Geschieht dies nicht, wird das oft zum Streitpunkt."
Ein weiterer Grund ist freilich, dass Menschen, die vor dem finanziellen Aus stehen, unter unglaublichem Druck leiden. Gärner: "Oft agieren sie ihren Liebsten gegenüber bereits seit längerer Zeit abweisend, aggressiv oder lieblos." Bestehende Konflikte potenzieren sich.
Ruhe vor dem Sturm
Derzeit herrscht für viele Paare die Ruhe vor dem Sturm. Gerade das Unausgesprochene wird zur tickenden Zeitbombe. "Die Pandemie hat auf das Familienleben erheblichen Druck ausgeübt. Auf sie folgt die wirtschaftliche Rezession, die abermals Familien auf die Probe stellen wird. Wir können Paaren nur raten, miteinander authentisch über ihre Bedürfnisse zu sprechen. So könnte man eine spätere Ehekrise vielleicht vermeiden", sagt Gärner.