Bildungs-Misere
"Manche Kinder verstehen kein einziges Wort Deutsch"
Kaum vorstellbare Zustände, von denen eine junge Lehrerin aus Wien-Margareten erzählt.
Extremer können die Unterschiede kaum sein. Etwa 10 Gehminuten von den Eliteschulen der Wiener Innenstadt entfernt, erreicht man die Brennpunktschulen in Wien-Margareten.
Eine junge Lehrerin (23, sie will anonym bleiben) unterrichtet seit September ihre eigene Klasse an einer dieser Schulen. Voller Enthusiasmus – das merkt man im Gespräch – führt sie ihren Job in der Volksschule aus. Doch sie steht vor unlösbaren Problemen. "Ich habe kein einziges Kind mit Deutsch als Muttersprache in der Klasse", sagt sie zu "Heute". Noch schlimmer: "Zwei Kinder können gar nichts auf Deutsch sagen, verstehen auch kein einziges Wort."
Diese Zahlen sorgen für Aufruhr
- Ein Drittel der Kinder in der ersten Klasse Volksschule können dem Unterricht nicht folgen.
- Hauptgrund: Sie können kein Deutsch, verstehen die Lehrer nicht.
- Die meisten davon wurden in Österreich geboren.
- 70 Prozent der Pflichtschüler sprechen im Alltag nicht Deutsch – mit gravierenden Folgen in den Klassen.
"Die anderen Schüler machen gar nichts"
Laut Aussagen der Lehrerin verstehen in ihrer aktuellen Klasse nur 40 % der Schüler genug Deutsch, um dem Unterricht folgen zu können. "Der Rest strudelt sich irgendwie durch, die einen schauen, was die anderen machen, die anderen machen einfach gar nichts."
Die Pädagogin würde gerne mehr leisten für ihre Kinder, doch der Lehrermangel hindere sie daran: "Ich hätte eigentlich Anspruch auf eine Team-Lehrerin, also eine zweite Lehrerin, wegen der vielen Kinder, die kein Deutsch können", aber das bleibt auf unbestimmte Zeit ein Wunschtraum.
Manche Kinder sind schwer traumatisiert
Erschwerend kommt der persönliche Werdegang vieler Kinder hinzu. Im Laufe des Schuljahres habe die Lehrerin vier Kinder in die Klasse dazubekommen. "Sie sind Flüchtlinge, schwer traumatisiert. Manche davon haben noch nie in einem Haushalt mit Strom gelebt."
Die restlichen 40 % der Kinder – also die, die wohl dem Unterricht folgen könnten – sind stark "unterfordert". Wobei: Manche hören den Stoff der ersten Klasse Volksschule bereits zum zweiten Mal, so die Lehrerin, "etwa 15 % der Klasse wiederholen die Klasse, sie kommen aus sehr bildungsfernen Familien – das ist sehr heftig, aber Realität bei uns."
„Wiederhole ich den Stoff bis ihn jeder versteht, schaffe ich das vorgegebene Pensum niemals“
Nur zwei Kinder in dieser Klasse in Wien-Margareten sprechen richtig Deutsch. "Sie werden in vier Jahren Volksschule viel weniger lernen, als wenn sie in eine andere Schule gehen würden." Die Pädagogin steht vor einem Dilemma: "Ich muss entscheiden, versuche ich den Lernstoff im richtigen Tempo zu vermitteln, kommen die meisten Kinder nicht mit. Wiederhole ich den Stoff bis ihn fast jeder versteht, schaffe ich das Pensum für das Schuljahr niemals."
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Eine junge Lehrerin in Wien-Margareten berichtet von extremen Bildungsunterschieden an ihrer Schule
- Kaum ein Kind spricht Deutsch als Muttersprache
- Aufgrund von Lehrermangel und unterschiedlichem Lernniveau der Schüler ist sie in einem Dilemma, wie sie den Unterricht gestalten soll