Mädchen mit Zwillingsbruder entwickeln sich "männlich"

Wenn du als Frau einen männlichen Zwillingsbruder hast, könnte der bereits im Mutterleib auf dich abgefärbt haben. Wissenschaftler wissen schon lange, dass weibliche Tiere in einem Zwillingspaar aus Männchen und Weibchen alle möglichen lustigen Effekte von ihren männlichen Geschwistern bekommen. Viehzüchter im antiken Rom waren möglicherweise die ersten Menschen, die die Bedeutung des Geschlechts eines Geschwisterkindes erkannten. Sie erkannten, dass, wenn eine Kuh männlich-weibliche Zwillinge zur Welt bringt, das Weibchen normalerweise unfruchtbar ist. Diese als Freemartins bekannten Weibchen verhalten sich im Erwachsenenalter auch eher wie Männchen. Dieses Phänomen wird "intrauterine Positionseffekte" genannt.

Männliche Hormone wirken auch auf Mädchen im Mutterleib

Wissenschaftler begannen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verstehen, warum. Sie fanden Hinweise darauf, dass die Hormone des männlichen Zwillings die Entwicklung des weiblichen Zwillings beeinflussten. Das Phänomen tritt auf, weil die Hoden männlicher Föten bereits früh in der Entwicklung mit der Produktion von Testosteron beginnen. Unterdessen produzieren die Eierstöcke der Weibchen zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel Östrogen. Das macht keinen Unterschied, wenn alle Föten in einer Gebärmutter das gleiche Geschlecht haben. Wenn jedoch Männchen und Weibchen vorhanden sind, kann es zu hormonellen Überschneidungen kommen, vor allem bei Nagetieren. Dies hat bei männlichen Zwillingen zu keinen merkwürdigen Ergebnissen geführt, aber bei weiblichen Zwillingen hat man einige Unterschiede festgestellt.

"Diese Föten sind in der Gebärmutter so dicht zusammengedrängt, dass das Testosteron durch das Fruchtwasser von Welpe zu Welpe und auch durch das Kreislaufsystem transportiert werden kann", sagt Bryce Ryan, Professor für Biologie an der University of Redlands, gegenüber NPR. Weibchen, die zwischen zwei Männchen eingeklemmt sind, sind in der Regel dem Testosteron am stärksten ausgesetzt und weisen im Laufe ihres Lebens am ehesten hormonelle und verhaltensmäßige Unterschiede auf.

Auswirkungen auf Zwillingsschwestern

Einige Wissenschaftler beginnen jedoch, einen ähnlichen Zusammenhang auch beim Menschen zu erkennen. Eine 2019 von Forschern aus Dänemark, Amerika und Südkorea durchgeführte Überprüfung von 60 Studien zu diesem Thema ergab, dass sich dies auf das Verhalten und die Persönlichkeit weiblicher Zwillinge auswirken kann. Insbesondere kann es die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie traditionell männliche Züge entwickeln. Weibliche Zwillinge entwickeln mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Alkoholkrankheit als weibliche Nicht-Zwillinge, wie Psychologen der Universität von Missouri in einer Studie aus dem Jahr 2013 feststellten. Außerdem neigten sie eher zu risikofreudigem Verhalten als weibliche eineiige Zwillinge, eine Eigenschaft, die traditionell mit Buben in Verbindung gebracht wird.

Leider gibt es auch Hinweise darauf, dass sich die hormonelle Filterung negativ auf weibliche Zwillinge auswirken kann, wenn sie das Erwachsenenalter erreichen. Laut einer Studie der Norwegian School of Economic, der Emory University und der Northwestern University aus dem Jahr 2019 haben sie eine um 15 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, die High School abzuschließen, eine um sechs Prozent geringere Fruchtbarkeit und eine um 12 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit zu heiraten als eineiige weibliche Zwillinge. Die 2019 Studie untersuchte 13.800 Sätze von Zwillingen, die zwischen 1967 und 1978 geboren wurden. Die Studie "stützt die Hypothese, dass das Zusammenleben mit einem männlichen Zwilling in utero dauerhafte Auswirkungen auf Frauen haben kann."

Gegenstimmen

Andere Forscher sind von diesem Muster jedoch weniger überzeugt. In einer Studie des dänischen Zwillingsregisters aus dem Jahr 2000 wurden bei weiblichen zweieiigen Zwillingen keine körperlichen Unterschiede im Vergleich zu weiblichen eineiigen Zwillingen festgestellt. "Wir haben zwar auf nationaler Ebene mäßige Auswirkungen festgestellt, aber diese Ergebnisse spiegeln durchschnittliche Unterschiede wider, und nicht jeder ist in gleicher Weise betroffen", sagte der Mitautor der Studie, Krzyzstof Karbownik von der Emory University. Einige weibliche Zwillinge sind möglicherweise überhaupt nicht betroffen. Außerdem sind sich die Wissenschaftler nicht sicher, ob die Hormone der männlichen Zwillinge die einzigen sind, die auf die weiblichen im Mutterleib wirken.

Hormonell wirksame Chemikalien in der Umwelt

Die Erforschung der Auswirkungen von Sexualhormonen im Mutterleib wird durch andere Faktoren aus der Umwelt erschwert, z. B. durch die Frage, ob eine Mutter von Zwillingen während ihrer Schwangerschaft Wasser aus Plastikflaschen getrunken hat oder nicht, sagte Professor Ryan. Anfang der 2000er Jahre stellten Gesundheitsbehörden und Forscher fest, dass eine Chemikalie namens Bisphenol A (BPA), die in Plastikwasserflaschen enthalten ist, Auswirkungen auf sich entwickelnde Föten haben könnte. BPA ähnelt in seiner Struktur dem Östrogen, hat jedoch eine Reihe von Auswirkungen auf den sich entwickelnden Körper, darunter die Beeinträchtigung des Gehirnwachstums, der Schilddrüsenfunktion und der Verhaltensentwicklung. BPA ist nur ein Faktor, der die Entwicklung eines Fötus und später eines Kindes beeinflussen kann, so Ryan. Das ist einer der Gründe, warum es schwierig ist, festzustellen, inwieweit die Merkmale eines weiblichen zweieiigen Zwillings von ihrem Bruder verursacht werden, sagte er.