43 Menschen getötet

Luftangriff auf Spital – "eine neue Taktik Russlands"

Russlands Raketen gegen ein Kinderspital sprechen für eine neue Taktik bei den Luftangriffen. Ein Experte klärt nun auf, wie es so weit kommen konnte.

20 Minuten
Luftangriff auf Spital – "eine neue Taktik Russlands"
Das Ochmatdyt-Kinderspital nach Russlands gezielten Angriff. Kiew, 8. Juli 2024.
AFP

Bei Russlands Angriffen auf die Ukraine vom Montag sind 43 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Getroffen wurde auch das landesweit bekannte Kinderspital Ochmatdyt in der ukrainischen Hauptstadt, in dem viele Kinder mit Krebs und anderen schweren Krankheiten behandelt werden.

Moskau bestreitet einen direkten Angriff auf das Spital und macht Trümmer einer ukrainischen Luftabwehrrakete verantwortlich. Das widerlegen allerdings nicht nur die durch den Angriff komplett zerstörten Fassaden des großen Gebäudes.

Russland mit neuer Taktik?

"Der russische Angriff vom Montag, der sich vor allem gegen die Innenstadt von Kiew richtete, deutet darauf hin, dass Russland eine neue Taktik für Luftangriffe anwendet", sagt Verteidigungs- und Sicherheitsexperte András Rácz von der Deutschen Gesellschaft für Wissenschaft und Politik DGAP gegenüber "20 Minuten".

"Die eingesetzten Waffen waren dieselben, aber die Taktik war eine andere: Zunächst wurden Raketen, Marschflugkörper und Drohnen in relativ großer Zahl in zwei eng aufeinander folgenden Wellen eingesetzt. So konnten sie die Kiewer Luftabwehr teilweise überlasten." Den Ukrainern sei es zwar gelungen, viele der ankommenden Raketen abzuschießen, aber nicht alle.

"Zweitens schickte Russland in der zweiten Welle einige Ch-101-Marschflugkörper – einschließlich desjenigen, der das Kinderspital traf. Diese können in sehr niedriger Höhe fliegen, was es der ukrainischen Luftabwehr erschwert, sie zu entdecken und abzuwehren", so Rácz weiter. "Bei diesem Angriff nutzte Russland offenbar die Fähigkeit der Ch-101, am Boden abzutauchen."

Wieso versagte die Luftabwehr?

Bei Angriffen in Wellen müssen die ukrainischen Luftabwehrsysteme nach jedem Einsatz verschoben werden. Ansonsten werden ihre Positionen nach einem Abschuss dem Angreifer bekannt und sie so selbst zum Ziel. So können Lücken in der Verteidigung des Luftraums entstehen.

Patriot-Luftabwehrsysteme (Symbolbild vom November 2023 auf dem Flughafen von Rzeszow-Jasionka, Polen).
Patriot-Luftabwehrsysteme (Symbolbild vom November 2023 auf dem Flughafen von Rzeszow-Jasionka, Polen).
AFP

Kommt dazu: Gegen Kiew wurden neben der aeroballistischen Überschallrakete Kinschall auch vier ballistische Iskander-Raketen eingesetzt. Bei diesen sehr schnell anfliegenden Geschossen gibt es nur eine kurze Zeit zwischen Warnung und Einschlag.

"Solche Raketen greifen aus der oberen Winkelgruppe an und sind nur durch Patriot zu bekämpfen", erläutert der österreichische Militärexperte Gustav Gressel auf "ZDF". Das heißt, in dieser Zeit habe zumindest ein Patriot-System auf jeden Fall "nach oben schauen" und die obere Winkelgruppe abdecken müssen. Zur gleichen Zeit kamen Marschflugkörper in der unteren Winkelgruppe nahe am Boden durch.

Die zwei Möglichkeiten

Die Frage ist, wie die Tiefenstaffelung der ukrainischen Fliegerabwehr aufgestellt war. Entstand eine Lücke, weil der Kreml die obere und untere Winkelgruppe bewusst ausspielte, um durchzukommen? Oder lag es an einem technischen Defekt an einem der Fliegerabwehrsysteme? Immerhin hat die Ukraine sehr wenig Batterien, sowohl von Patriot als auch von Iris-T.

"Die Geräte stehen im Dauereinsatz, sie werden viel härter und länger bespielt als das bei anderen Einsätzen jemals der Fall war", so Gressel. "Das zehrt natürlich am Material." Da das Material eh schon knapp sei, führten technische Probleme schneller zu Lücken. "Das gibt Russland die Chance, mit so einem Angriff auch mal durchzukommen."

Geschah der direkte russische Angriff auf das Kinderspital von Kiew mit Absicht und also aus Taktik oder war die Technik mit einer "ungenauen" Rakete der Russen schuld? Die eindeutige Antwort von Militärexperten Gressel: "Man muss davon ausgehen, dass der Angriff auf dieses Krankenhaus vorsätzlich war".

Gerüchten zufolge soll der Angriff auf das Spital eigentlich der Rüstungsfabrik Zavod Artem gegolten haben, die etwa einen Kilometer nördlich des Spitals liegt. "Das Werk wurde schon mehrmals angegriffen und zum Teil auch beschädigt", sagt Gressel. "Aber so ungenau sind gerade die Ch-101 nicht, dass man da einen Kilometer einfach so daneben schießt." Die Rakete finde ja durchaus auch im gebauten Gebiet noch ihr Ziel – dafür sei sie ja gebaut worden.

War das nur der Anfang?

Es ist davon auszugehen, dass die Ukraine auf dem laufenden Nato-Gipfel mehrere neue Patriots und andere Luftabwehrsysteme erhalten wird. "Die genaue Anzahl ist noch nicht bekannt", sagt Verteidigungs- und Sicherheitsexperte András Rácz von der DGAP.

"Die ukrainische Luftverteidigung wird also auf jeden Fall stärker werden als heute, sobald die neuen Patriots geliefert, ihre Besatzungen ausgebildet und die Systeme in Betrieb genommen sind." All das wird Wochen, möglicherweise Monate dauern. "In der Zwischenzeit könnte es leider, wenn Russland diese neue Taktik weiter anwendet, zu ähnlich schmerzhaften Angriffen kommen, insbesondere auf andere ukrainische Städte, die weniger gut verteidigt werden."

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