"Wenig Intelligenz"
Lehrer warnt: "Tropfen, der Fass zum Überlaufen bringt"
Die Schulen haben, insbesondere in Wien, derzeit mit scheinbar unlösbaren Problemen zu kämpfen. Nun packt ein Lehrer aus.
Ein wenig beachteter Umstand bringt derzeit Österreichs Bildungssystem ernsthaft an seine Grenzen: der Familiennachzug. Derzeit holen viele anerkannte Geflüchtete ihre Angehörigen nach Österreich, alleine in Wien kommen jedes Monat hunderte schulpflichtige Kinder. Deutschkenntnisse in den meisten Fällen: praktisch Null.
Thomas Bulant, sozialdemokratischer Lehrergewerkschafter, war zu diesem Thema in "Wien heute" bei ORF-Moderator Patrick Budgen zu Gast und warnte vor einem möglichen "Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt".
Kurpfuscherei
350 neue Schüler pro Monat seien zweifelsohne "eine große pädagogische Herausforderung". Die Lehrer bemühen sich sehr, doch es gibt viele Probleme, insbesondere an den Pflichtschulen. Das beginne schon damit, dass der gesellschaftliche Wert der Bildung abgenommen habe, dazu kommen Faktoren wie das Sprachproblem.
Weiters sei man mit "immer mehr Kindern konfrontiert, die sehr wenig an praktischer und an sozialer Intelligenz mit in die Schule bringen". Die täglichen Herausforderungen werden auch durch viele chronisch Kranke verstärkt. "Das Hauptziel der Lehrer – Kinder mit Basiskompetenzen zu versorgen – wird immer schwieriger zu erreichen." Durch den enormen Lehrermangel wird das natürlich noch verstärkt.
Sogar bei den 14- bis 15-jährigen Pflichtschulabgängern zeigt sich ein "sehr geringer Sprachschatz" und Mangel der Grundkompetenzen. Das komme auch daher, dass viele Lehrer in gewisser Weise "Kurpfuscherei" betreiben. Es gibt nun mal viele Kinder, die sonderpädagogische Betreuung benötigen oder kriegstraumatisiert sind, für solche Fälle sei kaum Unterstützung da. "Uns fehlen einfach die multiprofessionellen Teams an den Schulen: Sozialtherapeuten, Sozialarbeiter, Schulpsychologen." Mit deren Hilfe könnten sich die Lehrer wieder auf ihre eigenen Aufgaben konzentrieren können.
Wohnungsmarkt verschärft Lage
Zum Vorschlag einer Wohnsitzauflage hält Bulant fest, dass es schon einen Unterschied mache, ob in einer Volksschulklasse 14 oder eben 25 oder mehr Kinder zu betreuen sind. Insbesondere mit Blick auf Wien sagt er aber auch: "Ich lasse mir unsere Schulen nicht schlecht reden." Manches sei jedoch in der Vergangenheit falsch eingeschätzt worden. Das Vertrauen in den Markt, mit Blick auf die Wohnungssituation, sei hier ein gutes Beispiel.
Die Armut von morgen werde heute in unseren Schulen mitentschieden. Der Fachkräftemangel könne nur durch gute Bildung jener Kinder, die hier zuwandern, ausgeglichen werden. "Wenn wir heute in die Schule investieren, ist das die beste Wirtschaftspolitik und die beste Absicherung der sozialen Netze der kommenden Jahrzehnte." Nach den Wahlen brauche es endlich einen nationalen Schulterschluss.
"Zutiefst betrübt"
Weiterer Knackpunkt sind die Deutschförderklassen, in die sogar so manches in Wien geborene Kind gesteckt werden muss. Laut dem Lehrervertreter sei ein Mitgrund, dass nicht überall der Kindergarten einen großen Stellenwert bekommt. Für Kinder seien diese Jahre aber enorm wichtig, um ein Fundament zu schaffen.
Manchmal müsse er mit Entsetzen feststellen, dass sein sechsjähriger Enkel einen größeren Sprachschatz habe als so manch Pflichtschulabsolvent. "Das macht mich zutiefst betrübt." Solche Erkenntnisse werden immer wieder an die Politik gemeldet, trotzdem lebe man noch in der Schulorganisation des Jahres 1962.