Grüne empört
Kommen jetzt neue Atom-Reaktoren vor Österreich-Grenze?
Die tschechische Regierung möchte im Rahmen einer Atom-Offensive im Süden des Landes vier neue Reaktoren bauen – das sorgt für gemischte Reaktionen.
Tschechien hat seine Ausschreibung für den Ausbau seiner Atomenergie-Industrie deutlich ausgeweitet. Statt einem neuen Reaktor ist nun von "bis zu vier neuen Blöcken" im südmährischen Atomkraftwerk Dukovany und dem südböhmischen Kraftwerk Temelin die Rede. So steht es in einer Stellungnahme der Prager Regierung an die französische Gesellschaft EDF und die südkoreanische KNHP.
US-Firma von Ausschreibung ausgeschlossen
Die amerikanische Firma Westinghouse wurde von der Ausschreibung ausgeschlossen, weil ihr Angebot die Bedingungen nicht erfüllt habe, hieß es. Finanzminister Zbynek Stanjura sagte am Sonntag im tschechischen Fernsehen, man habe nicht beschlossen, dass Tschechien vier neue Atomblöcke bauen werde. Die Bewerber hätten ihr finales Angebot für den Aufbau eines Reaktors in Dukovany und unverbindliches Angebot für weitere drei Blöcke vorlegen sollen.
"Die Ausschreibung ist noch nicht abgeschlossen, wir sind alle zur Verschwiegenheit verpflichtet, wir können Ihnen nichts darüber sagen, auch nicht hinter verschlossenen Türen", betonte Stanjura. Ihm zufolge könnte der erfolgreichste Bieter im Mai oder Juni bekannt gegeben werden. Dann sollen weitere neun Monate für die Verhandlungen über den konkreten Vertrag folgen, so Stanjura.
Gemische Reaktionen unter Experten
Die Ausweitung der Ausschreibung bis auf vier neue Blöcke löste bei den heimischen Experten widersprüchliche Reaktionen aus. Während es nach Ansicht einiger von ihnen die richtige Entscheidung sei, die die heimische Energiewirtschaft in Zukunft brauche, machen andere auf die Probleme aufmerksam, die mit einem solch gewaltigen Projekt einhergehen werden. Es handle sich vor allem um hohe finanzielle und betriebliche Anforderungen, die der Staat nur sehr schwer erfüllen könne.
"Beste Entscheidung seit 10 Jahren"
Nach Ansicht des Nuklearwissenschaftlers Radek Škoda ist der Schritt der Regierung "die beste Entscheidung in der heimischen Energiebranche seit mindestens zehn Jahren". Ihm zufolge wäre es sinnlos, nur einen Reaktor zu bauen. "Wir brauchen in Zukunft mehr Blöcke", betonte er.
Laut dem einstigen Chef des Tschechischen Energiekonzerns (CEZ) Jaroslav Míl werde ein so großer Auftrag eine Reihe von Komplikationen mit sich bringen. Nach seinen Schätzungen könnten die vier Blöcke etwa zwei Billionen Kronen (80,3 Milliarden Euro) kosten, die der Staat aufbringen müsse und die er nicht habe. Míl machte auch auf den Mangel an qualifizierten Experten aufmerksam, die an ähnlichen Konstruktionen arbeiteten.
Grüne toben: "Klimapolitischer Wahnsinn"
In Österreich zeigt man sich angesichts der Atom-Offensive besorgt. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Tschechien bis zu vier neue Atomreaktoren unweit der österreichischen Grenze baut. Das ist nicht nur ein klimapolitischer Wahnsinn, sondern auch ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die österreichische Bevölkerung", sagte Martin Litschauer, Anti-Atom-Sprecher der Grünen.
"Die tschechische Regierung erhofft sich vom Ausbau des Atomstroms eine Kostenersparnis für die Konsument:innen. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten zeigen deutlich, dass AKW-Projekte nie rechtzeitig fertiggestellt werden und immer von extremen Kostenüberschreitungen begleitet sind. Auch ist Strom aus Atomkraftwerken, wie im britischen Hinkle Point C, mit Stromkosten von über 150 Euro/MWh, deutlich teurer als Strom aus erneuerbaren Energiequellen", so Litschauer.
"Dürfen nicht zusehen"
Er betonte, dass Atomstrom nicht nur teuer und gefährlich sei, es sei zudem "unerträglich, dass die europäischen Staaten in Zeiten der Klimakrise im Jahr 2024 immer noch auf diesen klimaschädlichen Energieträger von vorgestern setzen und damit den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremsen. Denn die Erfahrungen in Frankreich, England und Finnland, wo der Atomstrom derzeit ausgebaut wird, zeigen deutlich, dass die Energiewende mit Wind und Photovoltaik für diese Retro-Klimasünden ausgebremst wird. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie unweit unserer Grenze weitere Atomkraftwerke samt Atommüllendlager entstehen sollen", sagte der Politiker.