Sport

Knauß: "... dann wäre Hirscher ein Alkoholiker"

Hans Knauß gewann vor 20 Jahren in Kitz, heute fährt er mit der ORF-Kamera ab. Ein "Heute"-Talk über Mausefalle, Promille und Hirscher.

Heute Redaktion
Teilen

Herr Knauß, vor 20 Jahren haben Sie die Abfahrt in Kitzbühel gewonnen. Welche Emotionen kommen in Ihnen hoch, wenn Sie an das Rennen zurückdenken?

"Es ist noch extrem präsent für mich. Sportlich gesehen war es das Highlight meines Lebens. Die Streif bei Schönwetter von ganz oben zu gewinnen, mit allen Stars am Start – das sind Dinge, die mir viel bedeuten. Ich war an diesem Tag einfach der Beste. Davon zehrt man. Die Anerkennung rundherum ist gewaltig, aber noch mehr gibt dir die Gewissheit, es auf der schwierigsten Strecke der Welt geschafft zu haben."

Versetzen wir uns ins Jahr 1999, wo haben Sie die entscheidende Zeit herausgeholt?

"Die ersten 35 Fahrsekunden war ich mörderisch unterwegs. Ich bin eine unfassbare Linie in die Mausefalle gefahren, habe dann einen leichten Fehler im U-Turn gehabt. Dadurch kam ich aber so enorm direkt in die Steilhang-Ausfahrt, wie davor noch keiner. Ich bin dann runtergeschossen und habe mir gedacht: jetzt oder nie. Ich bin damals als erster die extrem enge Linie richtig voll auf Zug gefahren. Ohne einen Rutscher. Das hat unglaublich viel Überwindung und Brutalität gebraucht."

Wie haben Sie den Sieg damals gefeiert?

"Es war fast keine Möglichkeit, irgendwo hinzugehen, die Leute hätten uns erdrückt. Ich bin von der Siegerehrung ins Hotel, Tausende Leute sind dahergekommen. Das war ein unfassbarer Traum. Alle haben 'Hansi, Hansi' skandiert, das vergesse ich mein Leben nicht. Im Hotel ist dann so dermaßen brutal bis fünf Uhr in der Früh gefeiert worden, als ob die Saison schon vorbei gewesen wäre. Betreuer, Serviceleute, Freunde, Familie, da ist es brutal zugegangen."

Durch Ihre Kamerafahrten für den ORF kennen Sie auch die aktuelle Streif. Wie hat sich die Strecke verändert in den letzten 20 Jahren?

"Sehr wenig. Außer, dass es jetzt noch mehr hin und her dreht, die Zeiten aber nahezu gleich geblieben sind. Die Läufer und das Material werden einfach immer schneller und besser. Man fährt die ganze Piste noch mehr aus, um das Tempo zu kontrollieren."



Sie haben auch die hässliche Seite der Streif kennengelernt, sind 2001 schwer gestürzt. Was macht diese Piste tatsächlich so gefährlich.


"Kurz gesagt: Es gibt Weltcup-Pisten, auf denen man vom Start bis ins Ziel Vollgas fährt. Das probiert zwar jeder auf jeder Strecke, aber in Kitzbühel gibt es drei Passagen, wo ich mit noch mehr Mut und Brutalität Zeit herausholen kann. Das macht es aus. Es gibt Vollgas-Strecken, die auch gefährlich sind, aber wo du die Gefahr gar nicht mitbekommst. In Kitzbühel bist du aber skitechnisch immer am Limit. Das ist der Unterschied zu anderen Strecken."

Welche drei Passagen sind das?

"Der Sprung runter in die Mausefalle was die Linie betrifft, die Ausfahrt Steilhang und definitiv die Linkskurve nach der Hausbergkante. Da kannst du wahnsinnig viel Zeit gutmachen, wenn du da völlig gestört reinfährst, wie der Eberharter damals."

Wären Sie in Ihrer Karriere insgesamt um 8 Hundertstel schneller gewesen, wären Sie um eine WM-Goldene, eine WM-Bronzene und eine Olympia-Bronzene reicher. Ist der Kitz-Sieg eine kleine Entschädigung?

"Man kann es definitiv so sehen. Bevor ich irgendwo in Katschikistan auf einer brettelebenen Strecke Abfahrts-Weltmeister werde, bin ich sicher lieber Kitzbühel-Sieger. Man kann es auch viel besser verwerten, was die Sponsoren betrifft."

Sie jagen nach wie vor die schwierigsten Abfahrten der Welt hinunter. Und das ohne Stöcke...

"Nein, da muss ich einhaken. Seit Gröden fahre ich mit einer neuen Helmkamera. Die erlaubt es mir, auch Stöcke zu tragen. Ich bin wahnsinnig froh darüber und freu mich umso mehr auf Kitzbühel. Seit 2005 bin ich mit dem 'Bügeleisen' herumgefahren, das wäre heuer in Bormio zum Beispiel gar nicht mehr möglich gewesen. Da war blankes Eis. Ich bin jetzt 47 – da ist es höchste Zeit mit Stecken zu fahren."

Wie viel Training brauchen Sie, um den Weltcup-Winter zu überstehen?

"Für die Physis muss ich schon gscheit mittrainieren. Das Skifahren an sich verlernt man nicht mehr, man muss nur dranbleiben. Ich fahre viel Ski, aber das Wichtigste ist die Körperspannung, die Kraft, die Kraftausdauer. Das trainiere ich eigentlich den ganzen Sommer über. Vom Umfang her nicht ganz die Hälfte von den Aktiven, würde ich sagen. Körperlich bin ich eigentlich brutal gut beinander für mein Alter. Ich habe eine irrsinnig gute Grundlagen-Ausdauer, das habe ich messen lassen. Aber ich habe keine Schnellkraft mehr, wofür auch."

Wie sieht die Vorbereitung an einem Rennwochenende aus?

"Normal fahre ich das Abschlusstraining mit und dann das Rennen. Am Renntag fahre ich zum Aufwärmen nur schnell irgendwo ein paar Schwünge runter, dann gehe ich mit den Athleten besichtigen. Da mache ich meist ein, zwei Streckenmelder für den ORF und quatsche ein bisserl mit den Läufern. Dann fahre ich mit den Athleten wieder rauf und gehe Richtung Start, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Körperlich wärme ich mich noch ein bisserl auf, das ist mir von früher geblieben. Das ist eine Sicherheit für mich."

Wer richtet die Ski her?

"Die werden ganz normal vom Service-Mann von Fischer, der auch die Ski von Kriechmayr und Max Franz macht, scharf gemacht. Es wird nicht jeden Tag Wachs raufgegeben, aber sie werden schon präpariert. Wenn ich im Riesentorlauf unterwegs bin, macht die Ski mein Bruder mit. Ohne diesen Service bräuchte ich gar nicht rausstarten."

Wie lange tun Sie sich die Kamerafahrten noch an?

"Heuer habe ich mir zu Winterbeginn gedacht: 'Brutal, jetzt geht es schon wieder los.' Ich habe fast ein schlechtes Gewissen gehabt und mich gefragt: 'Bin ich eigentlich noch gut genug für das?' Mittlerweile bin ich wieder so gut drin im Fahren, dass es mir richtig Spaß macht. In Kitzbühel werde ich mir wieder wie jedes Jahr denken: 'Heuer ist es das absolut letzte Mal.' Ich hantel mich von einem Jahr zum nächsten vor. Kann sein, dass ich irgendwann einfach bei der Seidlalm abschwinge, auf ein Bier gehe und sage: danke, das wars."

Sind Sie je gestürzt mit der Kamera?

"Gott lob nicht. Nur im Riesentorlauf bin ich mal gelegen, aber dann weitergefahren. Es ist gar nicht so aufgefallen. Ich habe mich aus den brenzligen Situationen immer irgendwie rausgerettet."

Müssen Sie sich für das Kommentieren noch vorbereiten?

"Nein. Dadurch, dass ich mit den Athleten besichtige und den ganzen Kreislauf mit ihnen mache, bin ich mittendrin. Ich kenne alle Bodenwellen, alle Veränderungen der Strecken. Ich bin jedes Jahr dabei, kenne die Pisten wie kein anderer, das traue ich mich sagen. Es gibt keinen, der länger auf Weltcuppisten so intensiv unterwegs ist, als ich. Das hilft mir wahnsinnig beim Kommentieren."

Wer ist heuer in Kitzbühel Favorit auf den Abfahrtssieg? Kann wie im Vorjahr ein Außenseiter triumphieren?

"Durchaus. Das hängt auch von der Witterung ab. Obwohl Thomas Dressen 2018 ja gar nicht so überraschend war. Der war schon davor flott unterwegs. Heuer ist er leider verletzt. Es gibt einige Anwärter. Ein Paris ist immer wahnsinnig scharf da runter. Svindal, wenn es nicht allzu ruppig ist, auch. Er hat noch ein Ziel in seiner Karriere: Das ist der Kitzbühel-Sieg. Er wird alles daran setzen. Und natürlich haben wir aus österreichischer Sicht ein Topteam mit Kriechmayr, Max Franz, mit Mayer, Reichelt. Es gibt einige Leute, die da runter gewinnen können, da sind ein paar harte Knacker dabei."

Sie haben Svindal erwähnt. Er jagt diesen einen Sieg. Lässt er sich erzwingen?

"Nein. Wenn du das versuchst, zappelst du irgendwo im Netz. Die Streif lässt sich nicht erzwingen."

Sie sind einst gegen Hermann Maier gefahren, der damals der Beste war. Heute ist es Marcel Hirscher. Die beiden lassen sich schwer vergleichen, aber: Wer ist die größere Legende?

"Vom Hero-Status her und von der Helden-Verehrung ist es wahrscheinlich der Hermann Maier. Auch durch seinen Sturz in Nagano. Den Typ hättest du mit einem Prügel niederschlagen können, er wäre wieder aufgestanden und hätte gewonnen. Echten Respekt, wie er das alles auf die Reihe bekommen hat. Andersrum Hirscher: Er hat noch nie ein Tief gehabt, ist also auch irgendwo unfassbar in seiner Erscheinung."

Hirscher wirkt nach Siegen relativ abgeklärt, große Emotionen sieht man selten.

"Nur diese Art hält ihn als Sieger am Leben, er muss diesen Zugang haben. Er könnte gar nicht anders. Würde er jedes Mal so Party machen wie wir nach einem Sieg, dann wäre er schon Alkoholiker."

Ist der Hirscher, den man im TV sieht, authentisch? Oder gibt es privat einen anderen Hirscher?

"Ich denke schon, dass er eine Art Schutzwall um sich herum aufgebaut hat, um in Ruhe arbeiten zu können. Und in Ruhe in Österreich leben zu können. Das darf man nicht vergessen. Versetzen wir uns in seine Lage. Als ich Kitzbühel gewonnen habe, ist es ab und zu schon schwieriger geworden, sich zu konzentrieren. Hunderte Leute wollten plötzlich was von mir. Und dann stell dir Hirscher vor. Dem rennt die ganze Nation hinterher –– und das die ganze Zeit. Wenn ich heute irgendwo in Wien essen gehe, erkennen mich ein paar Leute und ich mach ein, zwei Fotos. Aber bei Marcel stehen sie Schlange. Das muss man mal verkraften.Wenn man das bedenkt, hat er es bisher gut gemacht. Er ist der selbe Typ geblieben."

Das weibliche Pendant zu Hirscher ist Mikaela Shiffrin. Sie ist 23 Jahre jung und hat über 50 Siege gefeiert. Ist Sie nicht sogar die Allerbeste?

"Ich denke schon. Annemarie Moser-Pröll muss man vielleicht ausnehmen, weil das war einfach eine andere Zeit. Was Shiffrin zeigt und macht, da kann man nur den Kopf beuteln. Sie ist für mich Skifahren in Perfektion. Sie hat nichts Extremes, aber alles bei ihr ist perfekt. Ich sitze oft da und frage mich, warum es in Zeiten wie diesen, wo jeder alles analysieren kann, trotzdem mehr Seriensieger gibt wie zum Beispiel vor 50 Jahren. Egal ob beim Skifahren oder der Formel 1. Das ist das, was mich stutzig macht. Über diese These denke ich oft nach. Ich komme dann zum Schluss: Die, die hinterher fahren, beschäftigen sich wahrscheinlich einen Tick zu viel mit den Besten. Vielleicht verlieren sie sich dabei. Wie sollen die vorne sonst so abhauen?"

Sie sind ein beliebtes Werbe-Testimonial, unter anderem für Zgonc. Sind Sie wirklich Heimwerker?

"Ich bastel schon selber, aber der Oberbastler in der Familie ist mein Sohn Leo. Der wird 14. Was der in seinem Alter schon alles macht, ist sehr beachtlich. Er ist mit meinem Zgonc-Deal mindestens so happy wie ich."

Bekommen Sie überall, wo es Gösser gibt, Freibier?

"Leider nein, eigentlich eine Sauerei. Aber ich bekomme schon ab und zu meine Gutscheine und kann damit eine Ladung aus der Brauerei holen. Bei mir wirst du nicht verdursten."

Erich Elsigan, Kitzbühel