"Fremont" startet im Kino
Kann man über ein Flüchtlingsdrama lachen?
Eine so triste Lebenssituation wie bei der Afghanin Donya hat noch kaum ein Film auf der großen Leinwand gezeigt. Dabei ist ihr die Flucht gelungen…
"Fremont" ist eigentlich gar kein Film für die große Leinwand, sondern vielmehr für die kleine Leinwand: Der in London lebende iranische Regisseur Babak Jalali setzt in seinem vierten Film auf die wunderbare Wiederauferstehung des Independent-Kinos der 1980er und 1990er Jahre und würde mit seinem in Schwarzweiß gehaltenen "Fremont" (ab 15. Dezember im Kino) Kult-Regisseure von damals wie Jim Jarmusch unendlich stolz machen. Als wohl stärkstes Merkmal des Films interessiert sich "Fremont" meist weniger für das flotte Erzählen einer Handlung, sondern vielmehr für die Figuren. Hauptfigur ist hier die junge Afghanin Donya (Anaita Wali Zada) die bis zur zweiten Machtübernahme der Taliban als Übersetzerin des US-Militärs in Kabul gearbeitet hat. Ihr selbst konnte zur Flucht in die USA geholfen werden, aber sie zerbricht daran, dass sie ihre Familie zurücklassen musste. Alleine wegen diesen Schuldgefühlen und ihrem Kriegstrauma ist Donya in psychologischer Betreuung.
Im Film ist Donya in der kalifornischen Stadt Fremont untergekommen und arbeitet dort in einer Fabrik, die Abende verbringt sie mit anderen geflüchteten Afghanen in einem tristen Wohnhaus. Die Ausgangslage von "Fremont" ist also von der Grundstimmung jene eines klassischen Dramas von Vertreibung, Gewissensbissen und fehlender Zugehörigkeit. Aber Jalali erzählt seinen Film mit erschlagend trockenem Humor, der den Figuren im Film natürlich nicht bewusst ist. So arbeitet Donja etwa in einer Fabrik für chinesische Glückskekse und ist dort für das Einbacken der kleinen Zettel in die Kekse verantwortlich. Durch den plötzlichen Tod jener Kollegin, die für die Botschaften zuständig ist - leider zum Zerkugeln lustig - steigt Donya auf deren Posten auf und entdeckt eine neue Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen.
Donyas Leben verändert sich, als sie ihre Telefonnummer in einen einzelnen Keks einbäckt und wartet was passiert. Und dann meldet sich der Autoverkäufer Daniel ("The Bear"-Star Jeremy Allen White) und der beginnt Donya aus ihrem Kaninchenbau herauszuführen. Was den Film tatsächlich so nahbar macht, ist der Hintergrund von Hauptdarstellerin Anaita Wali Zada: Denn sie flüchtete tatsächlich vor knapp über zwei Jahren als Studentin vor den Taliban aus Afghanistan und kam in den USA an, ohne ein einziges Wort Englisch zu sprechen. Von Schauspielerei hatte die heute 23-Jährige bisher auch keine Ahnung. Aber das sieht man in keiner einzigen Sekunde.
"Fremont" steht und fällt mit Anaita Wali Zada, die von Regisseur Babak Jalali so perfekt durch den Film geführt wird, dass hier praktisch jede Situation absurd wirkt, auch wenn sie aus einem "normalen" Blickwinkel vollkommen unspektakulär ist. Alleine die lakonischen Lebenseinstellungen, die hier praktisch jede Figur hat, sorgt für Situationskomik fernab aller Schenkelklopfer, aber voller herzlicher Lacher. Wer jetzt vor Weihnachten also einen Film sehen möchte, der einen beim Anschauen nicht hetzt und bei dem man beim Verlassen des Kinos wirklich das Gefühl hat, gerade jemanden kennengelernt zu haben, der ist mit "Fremont" bestens bedient…