Impf-Verhaftungen
Jetzt kursieren wilde Theorien zur Vogelgrippe
Corona ist noch da, hat aber an Brisanz verloren. In den Fokus gerückt ist die Vogelgrippe. Diese ruft nun Verschwörungstheorien zurück auf den Plan.
Während der Corona-Pandemie grassierte nicht nur das Sars-CoV-2-Virus. Auch Falschbehauptungen gingen viral, von denen wir zahlreiche überprüft haben.
Mit der zunehmenden Ausbreitung der Vogelgrippe erleben diese nun ein Comeback. Erneut ein Thema: die Impfungen und die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Die Behauptung
Aktuell kursiert die Behauptung, 194 Länder hätten sich mit den Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der WHO darauf geeinigt, "Bürger zu verhaften, die sich gegen die Vogelgrippe-Impfung aussprechen". Entsprechende Beiträge in verschiedenen Sprachen finden sich unter anderem auf X (zum Beispiel hier und hier), Facebook und TikTok.
Die Bewertung
Die Behauptung ist falsch. In den Änderungen der IGV steht nicht, dass die WHO-Länder Bürger verhaften und strafrechtlich verfolgen werden, die sich der Vogelgrippe-Impfung widersetzen. Die Vogelgrippe wird noch nicht einmal erwähnt. Auch von einer Ahndung ist nicht die Rede.
Darauf bezieht sich die Behauptung
Die seit rund einem Monat auf Social Media kursierende Behauptung bezieht sich auf Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV, Pdf). Diese regeln die internationale Zusammenarbeit bei Ereignissen, die eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen, wie etwa der Covid-Pandemie. Diese hat jedoch Mängel an der bisherigen IGV-Version offenbart. Deshalb beschlossen die WHO-Mitgliedstaaten, die IGV zu überarbeiten. Die Änderungen wurden am 1. Juni 2024 bekannt gegeben.
"Diese", so wird behauptet, "schaffen die nationale Souveränität von Ländern ab, geben der WHO weitreichende Befugnisse, Gesetze in westlichen Ländern zu verabschieden, und kriminalisieren Äußerungen, von denen die WHO sagt, dass sie das offizielle Narrativ untergraben". Konkret hätten sich die 194 Mitgliedstaaten geeinigt, "Bürger, die sich gegen den Vogelgrippe-Impfstoff aussprechen, zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen".
Von derartigen Plänen steht nichts im aktualisierten IGV
Ein Blick in die IGV zeigt: Weder das Vogelgrippevirus noch eine Impfung dagegen wird darin erwähnt. Auch von Verhaftungen oder Strafverfolgungen ist nicht die Rede. Auf Anfrage der DPA "bestätigte ein WHO-Sprecher dies und bezeichnete die Behauptungen als falsch". Gegenüber Reuters erklärte ein Sprecher: "Die geänderten Internationalen Gesundheitsvorschriften erlauben nicht die Verhaftung oder strafrechtliche Verfolgung von Personen aus irgendeinem Grund." Auch im Q&A auf der WHO-Website wird das klargestellt.
In einer Mitteilung vom 1. Juni erklärte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus: "Die Änderungen werden die Fähigkeit der Länder stärken, künftige Krankheitsausbrüche und Pandemien zu erkennen und darauf zu reagieren, indem sie ihre eigenen nationalen Kapazitäten und die Koordinierung zwischen anderen Staaten bei der Krankheitsüberwachung, dem Informationsaustausch und der Reaktion stärken."
WHO kann Staaten keine Gesetze auferlegen
Selbst wenn sie wollte, könnte die WHO nicht einzelnen Staaten Gesetze auferlegen. Dazu sei sie nicht befugt, erklärte Lawrence Gostin, Professor für internationales Gesundheitsrecht an der Georgetown University, gegenüber der DPA. Das sei sie bisher nicht gewesen und daran änderten auch die Änderungen an der IGV nichts. Die nationale Gesundheitspolitik liege in den Händen der einzelnen Staaten. Gostin weist auch darauf hin, dass die Internationalen Gesundheitsvorschriften niemanden in seiner Meinungsfreiheit einschränken.
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Wer hat die Falschbehauptung aufgebracht?
"20 Minuten" konnte die Falschbehauptung zu einem Beitrag vom 6. Juni 2024 auf dem Portal von "The People’s Voice" (auf Deutsch: "Die Stimme des Volkes", siehe Box) zurückverfolgen. Dieser bezieht sich auf mehrere Blog-Beiträge (etwa hier und hier) von Meryl Nass, einer US-Medizinerin, die wegen der Verbreitung falscher Informationen zu Covid-19 im Januar 2022 die Zulassung als Ärztin verloren hatte. In den Beiträgen nennt sie die Vereinbarung, Falsch- und Desinformationen anzugehen, "abscheulich".
Am 7. Juni erschien der von "The People’s Voice" veröffentlichte Text – in deutscher Übersetzung – auf dem Mikroblog Telegra.ph. Am 9. Juni griff auch die deutsche Version von "Réseau International" das Thema auf. Auch hier war der Wortlaut fast gleich. Die kursierenden Social-Media-Posts verlinkten vor allem auf diese drei Beiträge. Auch die geteilten Screenshots stammen überwiegend von hier.
Einschlägige Portale
Die drei Plattformen sind nicht für neutrale Berichterstattung bekannt:
"The People's Voice" ist laut USAtoday.com ein Nachfolger des für die Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien bekannten Portals Newspunch.com, das wiederum aus Yournewswire.com hervorging. Der Gründer ist Sean Adl-Tabatabai, der als Autor des aktuellen Artikels genannt wird. Laut "Conspiracy Watch" ist "The People's Voice" kremlnah. Reuters und Correctiv.org haben in der Vergangenheit Beiträge von dort widerlegt.
Bei Telegra.ph handelt es sich um eine Micro-Blogging-Plattform, mit dem man anonym Beiträge veröffentlichen kann. Lanciert wurde sie Ende 2016 von den Telegram-Machern. Als Abfüller der aktuellen Falschbehauptung ist "Antiilluminaten TV" angegeben. Der Kanal verbreitet etwa auf Telegram Falschbehauptungen.
Bei "Réseau International" schreibt man über sich selbst, man wolle "sich von den Medien distanzieren", deren Informationen, wie die "offizielle Kommunikation", "meistens verwirrend" seien. Der französische Verschwörungstheoretiker Thierry Meyssan wird lobend erwähnt.
Fazit
Die Behauptung, die 194 Mitgliedstaaten der WHO hätten beschlossen, Bürger zu verhaften, wenn sie sich gegen die Vogelgrippe-Impfung aussprechen, ist falsch. Die Behauptung wurde von Personen und Portalen aufgebracht, die bereits in der Vergangenheit Falschinformationen und Verschwörungstheorien verbreitet haben. In den IGV-Änderungen, die von den Mitgliedstaaten beschlossen wurden, wird die Vogelgrippe nicht erwähnt. Es gibt keine Bestimmungen, die Verhaftungen oder strafrechtliche Verfolgungen vorsehen.
Auf den Punkt gebracht
- Die Behauptung, dass 194 Länder beschlossen haben, Bürger zu verhaften, die sich gegen die Vogelgrippe-Impfung aussprechen, ist falsch
- Diese Falschinformation wurde von Personen und Portalen verbreitet, die bereits in der Vergangenheit Falschinformationen und Verschwörungstheorien verbreitet haben
- Die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) der WHO beinhalten keine Bestimmungen, die Verhaftungen oder strafrechtliche Verfolgungen vorsehen