Präsident tot
Iran verhängt Staatstrauer, doch Volk feiert und tanzt
Während das iranische Regime Staatstrauer nach dem Tod von Ebrahim Raisi ausruft, sieht die Reaktion vieler Iranerinnen und Iraner völlig anders aus.
Der iranische Präsident Ebrahim Raisi und sein Außenminister Hussein Amirabdollahian sind beim Absturz ihres Helikopters im Iran ums Leben gekommen. Keiner der neun Insassen habe überlebt, berichteten die staatliche Nachrichtenagentur Irna und das Staatsfernsehen am Montag. Zur Ursache des Unglücks vom Sonntag gab es zunächst keine offiziellen Informationen. Die Verbündeten Teherans – unter ihnen Russland und China – kondolierten.
Raisis Regierung steht seit Jahren wegen ihrer erzkonservativen Wertevorstellungen, der Unterdrückung von Bürgerrechten und der schweren Wirtschaftskrise im Iran in der Kritik. Zahlreiche Iranerinnen und Iraner brachten in sozialen Medien ihre Schadenfreude über den Helikopterabsturz zum Ausdruck.
"Keine Schweigeminute für Raisi"
Auf dem Instagram-Kanal der Aktivistengruppe "Iranian Diaspora Collective" sind zahlreiche Beiträge dieser Art zu sehen. Geteilt werden etwa Tanz- oder Feuerwerksvideos mit Untertiteln wie "Ist der Iran endlich frei?". "Heute wird es keine Schweigeminute für Raisi geben. Rund um die Welt und im Nahen Osten jubeln die Menschen vor Freude", schreibt das "Iranian Diaspora Collective" unter ein Video.
Die iranische Journalistin Masih Alinejad teilte bei X ein Video von zwei Frauen, die ein Stofftuch durch die Luft schwingen. "Vor nur wenigen Monaten ließ Ebrahim Raisi ihren Sohn hinrichten. Jetzt tanzt sie über seinen Tod bei einem Helikopterabsturz", schreibt Alinejad. Ihre sozialen Medien seien "überflutet mit Videos von Familienmitgliedern derjenigen, die vom Präsidenten der Islamischen Republik getötet wurden, die seinen Tod feiern".
Anhänger der Todesstrafe und Geschlechtertrennung
Der 1960 in Maschad im Nordosten des Iran geborene Raisi galt innerhalb des islamischen Systems als sehr einflussreich. Er pflegte auch ein enges Verhältnis zum Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei und galt als sein möglicher Nachfolger. Er war über drei Jahrzehnte in der Justizbehörde tätig. Für die Exil-Opposition ist sein Name unauslöschlich mit Massenhinrichtungen von Marxisten und anderen Linken im Jahr 1988 verbunden, als Raisi stellvertretender Staatsanwalt des Revolutionsgerichts in Teheran war.
Er bestreitet jegliche Verantwortung dafür. Danach war er von 1989 bis 1994 Generalstaatsanwalt in Teheran, dann ab 2004 ein Jahrzehnt lang Vize-Justizchef und schließlich Generalstaatsanwalt des Iran. Raisi kandidierte 2017 erfolglos für das Präsidentenamt gegen Hassan Rouhani, den relativ gemäßigten Geistlichen, der als Präsident 2015 das Atomabkommen Teherans mit den Weltmächten abgeschlossen hatte.
Iranischer Präsident Raisi bei Hubschraubrabsturz getötet
Massenproteste nach Tod von Mahsa Amini
Als Wunschkandidat und Protegé des Ayatollahs Ali Chamenei gewann Raisi schliesslich im Juni 2021 die Präsidentenwahl mit knapp 62 Prozent der Stimmen. Der heute 63 Jahre alte Kleriker wurde damit offiziell Nachfolger Ruhanis, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten durfte. Laut Verfassung war Raisi Regierungschef, während die eigentliche Macht auf das Staatsoberhaupt Chamenei konzentriert ist, der in allen strategischen Belangen das letzte Wort hat.
Im Herbst 2022 löste der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini massive Proteste im Iran aus. Die junge Frau starb im Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. In der Folge demonstrierten landesweit Zehntausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.
Gewalt und harte Strafen gegen Demonstranten
Die Sicherheitskräfte reagierten mit Gewalt und harten Strafen. Zehntausende Demonstranten wurden verhaftet, viele bei den Protesten getötet, mehrere hingerichtet. Die Proteste stürzten die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Ebrahim Raisi war strikter Anhänger der Todesstrafe und der Geschlechtertrennung und lehnte die Werte der westlichen Kultur ebenso ab wie den Staat Israel. Er sprach in Interviews immer wieder Drohungen gegen den jüdischen Staat aus und zweifelte den Holocaust an.
In den vergangenen Monaten trat Raisi vor allem als vehementer Gegner des iranischen Erzfeindes Israel im Gazakrieg auf. Der Hamas im Gazastreifen sicherte er Irans Unterstützung zu. Am Sonntag, kurz vor dem Verschwinden seines Hubschraubers, betonte er erneut, Palästina sei "das wichtigste Thema der muslimischen Welt". Erstmals ging der schiitische Iran Mitte April unter Raisis Führung sogar so weit, direkt von seinem Boden aus hunderte Drohnen und Raketen auf Israel abzufeuern – fast alle wurden mithilfe der USA und anderer Verbündeter abgefangen.