Junger Wohnungsloser erzählt
"Im Winter muss man bei Notquartieren schnell sein"
Sven P. hatte eine bewegte Kindheit, fasste mit 18 den Entschluss, auf die Straße zu gehen. Er appelliert: "Habt ein offenes Ohr für Obdachlose!"
20.000 Menschen in Österreich leben nicht in einer eigenen Wohnung, 12.000 sind es in Wien. Vor allem in der kalten Jahreszeit ist das Leben auf der Straße hart, wird oft zum Kampf ums Überleben. Etwa 4.000 Personen ohne Obdach sind unter 30 Jahre alt. Einer von ihnen ist Sven P. (Name geändert). Der heute 29-Jährige lebte jahrelang auf der Straße und träumt bis heute von den ersten eigenen vier Wänden.
Probleme durch schwierige Kindheit
"Meine Eltern haben sich getrennt, als ich drei Jahre alt war. Ich glaube, das habe ich nie wirklich verkraftet", erinnert sich der Wiener. Die Mutter heiratete noch einmal, bekam ein weiteres Kind. Auch der Vater fand eine neue Partnerin. Sven lebte einmal da, einmal dort: "Mit meiner Mutter war es schwierig, mein Vater war toll, arbeitete aber viel und hatte kaum Zeit." Der erst Sechsjährige musste sich um seine drei Jahre jüngere Schwester kümmern, im Haushalt helfen und bereits früh Verantwortung übernehmen. "Es ist viel passiert, aber da gehe ich lieber nicht ins Detail", sagt er im Gespräch mit "Heute". Immer öfter kam es durch die familiären auch zu schulischen Problemen.
"Ich gebe zu, ich war nicht pünktlich, frech, habe überall angeeckt. Ich weiß auch nicht, wieso." Sven P. ging in Therapie, zu schwer war es für ihn, stets auf sich gestellt zu sein. Nach Abschluss der Pflichtschule begann er eine Bäckerlehre, brach diese jedoch wieder ab. Irgendwann stand für ihn fest: "So kann es nicht weitergehen. Es war der ärgste Krieg. Also bin ich mit meinem 18. Geburtstag auf die Straße gegangen."
"Der Andrang auf Quartiere ist Wahnsinn"
Jahrelang lebte der junge Mann auf der Straße, erlebte eine prägende Zeit: "Die Straße ist gnadenlos. Man lernt viele Leute kennen und muss vorsichtig sein. Es entstehen keine richtigen Freundschaften, man wird oft ausgenutzt und muss aufpassen. Außerdem ist man auf sich allein gestellt, muss schauen, wem man vertraut, wo man essen und schlafen kann, wie man mit dem Geld auskommt." Sven P. lebte von Sozialhilfe, abends schlief er oft in Notquartieren. Vor allem im Winter sei das aber alles andere als einfach: "Der Andrang ist ein Wahnsinn. Man muss bitten und betteln. Es war der erste Punkt auf meiner Tagesordnung - zu schauen, wo ich die nächste Nacht verbringe. Ist man zu spät dran, bekommt man nichts mehr."
War das der Fall, kam P. entweder bei Bekannten unter oder schlief mit Decken auf Parkbänken. Tagsüber stand nur eines auf dem Programm: Irgendwie den Tag überbrücken - ob beim Rauchen und Quatschen im Park oder in einem Kaffeehaus. Nicht selten erlebte der junge Wiener dabei Anfeindungen: "Das war eigentlich an der Tagesordnung. Man wurde angeredet und kritisiert, warum man nicht arbeiten geht. Das mag berechtigt sein, aber niemand hinterfragt die Geschichte oder fragt, was in der Vergangenheit passiert ist."
"Ich habe noch nicht alles verarbeitet"
Manchmal versuche er sich zu rechtfertigen, manchmal sage er gar nichts dazu. Um das Erlebte zu verarbeiten, begab sich Sven in die Welt der Musik. "Ich ging oft spazieren und hörte Musik, das half." Der Kontakt zur Mutter ist mittlerweile abgebrochen, den Vater sieht er sporadisch. "Ich habe noch nicht alles verarbeitet, das braucht Zeit", sagt er. Vor eineinhalb Jahren kam Sven P. zur Heilsarmee, wo er nun im betreuten Wohnen lebt und im Wintergarten ist. Dort wird gekocht, gemalt oder Upcycling betrieben. Das Team ist auf die Betreuung und Begleitung von jungen psychisch erkrankten wohnungslosen Erwachsenen spezialisiert.
Experte: "Es gibt ein Zuständigkeitsproblem"
Heilsarmee-Geschäftsleiter Roland Skowronek weiß um die schwierige Situation dieser Menschen: "Viele wohnen in sehr prekären Wohnverhältnissen, kommen kurzfristig bei Freunden oder zwischendurch in Notquartieren unter. In der Jugend passieren viele Veränderungen, es herrscht Unsicherheit und es gilt, seine Identität und seinen Platz zu finden", erklärt er. Meist habe es bei jungen Wohnungslosen einen Bruch in der Biographie gegeben, sei es durch überforderte Eltern, Bildungsarmut oder mangelnde Ausbildungschancen.
Das Hauptproblem sieht Skowronek darin, dass viele mit 18 Jahren auf sich allein gestellt sind. "Wir haben hier ein Zuständigkeitsproblem. Die Betreuung der Kinder- und Jugendhilfe endet und die Wohnungslosenhilfe hat nicht die passenden Angebote, um sie umfassend zu unterstützen. Sie müssen von einem Tag auf den anderen erwachsen sein und das geht nicht. Wenn das Elternhaus nicht intakt ist, fehlt etwas und man hat einfach weniger Rüstzeug mitbekommen." Hinzu komme der fehlende leistbare Wohnraum und der Fakt, dass junge Menschen in prekären Situationen kein oder nur ein geringes Einkommen sowie kaum Ersparnisse hätten: "Aus dieser Spirale herauszukommen, ist sehr schwierig. Es braucht ein gemeinsames Konzept für die Begleitung, die Hilfe bei Alltagsproblemen."
Der größte Wunsch: "Eine eigene Wohnung!"
Erst kürzlich präsentierte der Verband der Wiener Wohnungslosenhilfe seinen Situationsbericht 2023. Im Fokus stand insbesondere die Gruppe junger, wohnungsloser Menschen. Gefordert werden spezialisierte Angebote und der Einbezug von Lebensrealitäten junger Erwachsener in alle Angebotsstrukturen der Wiener Wohnungslosenhilfe. Es brauche ein Gesamtkonzept, das alle Bedarfslagen junger Erwachsener einbezieht und eine enge Zusammenarbeit von Wohnungslosenhilfe, Sucht-und Drogenkoordination, Kinder- und Jugendhilfe und Organisationen aus dem Bereich Gesundheit und Arbeitsmarktintegration.
Sven P. erhält nun Unterstützung von der Heilsarmee. "Mein Leben geht jetzt in eine stabilere Richtung", freut sich der 29-Jährige. "Ich habe keine Angst um meinen Schlafplatz mehr, habe sozialarbeiterische Unterstützung und eine Beschäftigung. Es ist einfach ein schönerer Tagesablauf." Sein größter Wunsch: "Eine eigene Wohnung, eine Arbeit - am liebsten als Konditor - und eine Familie." Von seinen Mitmenschen wünscht sich Sven P. nur eines: "Habt ein offenes Ohr für Obdachlose. Ja, es ist schwierig für beide Seiten, aber oft reicht es schon, mit den Personen zu reden."