Wien
Im Narrenturm können Besucher als Skelett tanzen
Im Vorjahr wurde die pathologisch-anatomische Sammlung im "Narrenturm" (Alsergrund) neu aufgestellt. Besonderer Wert wurde dabei auf Ethik gelegt.
Am 19. April 1784 wurde die "k. k. Irrenanstalt zu Wien" im neu erbauten "Narrenthurm" eröffnet. Der Bau am Gelände des Alten AKH (Alsergrund) brachte gleich mehrere Neuerungen mit sich: Zum einen war er eines der ersten Gebäude weltweit, die einen Blitzableiter hatten, zum anderen war den "Narrenturm" die erste Anstalt Europas, die ausschließlich zur Behandlung psychisch Kranker errichtet wurde.
Der Bau wurde nach den Vorstellungen von Kaiser Joseph II. errichtet, der den Narrenturm nicht nur aus seinem Privatvermögen finanzierte, sondern auch großen Wert auf die humane Behandlung der Patienten legte. Leider sahen das nicht alle so. Wie historische Quellen belegen, kamen viele Wiener des 19. Jahrhunderts zum "Narren necken" und "Narren schauen". Um die Gaffer auszusperren, wurden die ursprünglichen Außengarten schließlich mit einer Mauer umgeben, die Fugen wurden verspachtelt, um das Hinaufklettern zu verhindern.
Medizinische Informationen bannen Gefahr von Voyeurismus
Zum Glück ist seither vieles geschehen und auch der Umgang der Gesellschaft mit psychisch kranken Personen hat sich grundlegend geändert. "Dennoch ist bei einer Schausammlung wie hier im Narrenturm eine gewisse Gefahr des Voyeurismus gegeben", räumt der Kustos der pathologisch-anatomischen Sammlung Eduard Winter ein.
Daher wurde bei der Neukonzeption der Sammlung besonders viel Wert auf den ethischen Aspekt gelegt, auf eine plakative Inszenierung wurde bewusst verzichtet. In enger Kooperation mit Fachärzten und Mitarbeitern des Naturhistorischen Museum (NHM), zu dem der Narrenturm seit 2012 gehört, wurden die menschlichen Präparate in einen neuen, wissenschaftsorientierten Zusammenhang gebracht, der auch für Laien interessant ist. "Die Sammlung des Narrenturms ist von großer internationaler Bedeutung und ermöglicht bis heute vergleichende Forschung und die Forschung von Krankheitsursachen", betonte die Generaldirektorin des NHM Wien Katrin Vohland.
Augmented Reality erlaubt Blick aufs Körperinnere
Bis in die 1970er Jahre wurden die historischen Präparate (die jüngsten stammen aus den 1960er Jahren) im Medizinstudium als Lehrmaterial verwendet. Dennoch haben sie noch immer großen wissenschaftlichen Wert, denn "bis auf die Pocken gibt es alle ausgestellten Krankheiten noch heute", erklärt Winter.
Das macht die Schausammlung – nicht nur zu Pandemiezeiten, in denen Gesundheitsthemen naturgemäß eine hohe Aufmerksamkeit erfahren – auch für Laien zu einem spannenden Thema. Um die verschiedenen Erkrankungen auch verstehen zu können, wurde die Sammlung völlig neu aufgestellt. "Bis zur Neugestaltung waren die Präparate nur mit der Diagnose gekennzeichnet", erklärt Winter. Im "Narrenturm neu" werden diese nun, nach Erkrankungen (etwa Krebserkrankungen oder Fehlbildungen des Bewegungsapparates geteilt) leicht verständlich erklärt. Neben der Entstehung der Krankheitsbilder werden auch deren verschiedene Formen und Behandlungsmöglichkeiten erläutert.
Dabei kommt auch moderne Technik zum Einsatz. An einer Augmented Reality-Station können Besucher einen Blick in den eigenen Körper werfen. Eine Kamera erfasst den Körper und überträgt dessen Bewegungen auf einen Bildschirm. Dort kann der Besucher zusehen, wie ein Computer den Körper zunächst auf die Ebene der Muskel, später auch auf das Nervensystem und schließlich das Skelett "zerlegt".
Sammlung zeigt Geschichte der Pathologe und Original-Schmiede
Die Sammlung des Narrenturms ist in den früheren Zellen des Erdgeschosses untergebracht, die bis 1866 von Patienten bewohnt wurden. Die Besucher des Narrenturms werden Schritt für Schritt in die Geschichte der Sammlung und der Pathologie bis hin zur modernen Molekularpathologie im 21. Jahrhundert geleitet. Eine Sonderausstellung berichtet über die Renovierung des denkmalgeschützten Narrenturms, auch die Original-Schmiede ist zu sehen.
Nach der Schließung der Anstalt für psychisch Kranke wurde der Narrenturm zunächst als Wirtschaftsgebäude des Allgemeinen Krankenhauses genützt, ab 1900 waren hier Dienstwohnungen für medizinisches und Pflegepersonal, Studierende und Bedienstete des AKH untergebracht. Die pathologisch-anatomische Sammlung ist seit 1971 hier untergebracht, der Narrenturm, der im Besitz der Universität Wien ist, wurde 2012 dem Naturhistorischen Museum Wien eingegliedert.