Will "Srebrenica 2.0"

Identitäre in Wien: Genozid "finde ich geil"

RTL-Journalisten recherchierten Undercover bei Martin Sellners Identitären. Bei einem Treffen der Bewegung in Wien kam es zu abscheulichen Aussagen.

Newsdesk Heute
Identitäre in Wien: Genozid "finde ich geil"
Auf einer Identitären-Party in Wien schockt eine AfD-Angehörige vor Undercover-Journalisten mit Genozid-Fantasien.
Screenshot RTL

Spätestens seit dem aufgeflogenen Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam im November 2023 wird "Remigration" als einschlägiger Kampfbegriff in die öffentliche Debatte getragen. In der Villa am Lehnitzsee war es laut "Correctiv"-Recherche zentraler Diskussionspunkt.

Dort hat auch Martin Sellner seinen Masterplan zur Vertreibung Millionen Menschen mit Migrationshintergrund vorgestellt. Er ist der Kopf und Vordenker der Identitären Bewegung (IB) Österreichs. Auch AfD-Mitglieder waren damals dabei, die Partei leugnet aber eine enge Verbindung.

Um genau das zu prüfen, haben Reporter des RTL-Magazins "Extra" nach eigenen Angaben monatelang undercover unter den Identitären recherchiert. Die Spur führte die deutschen Journalisten auch bis nach Wien. In ihren, mit versteckter Kamera aufgenommenen Gesprächen mit Identitäten-Anhängern tun sich inmitten unserer Bundeshauptstadt dunkelste Abgründe auf.

Martin Sellner ist das Mastermind hinter der Identitären Bewegung Österreich. Hier im Rahmen der Wien-Demo am 20. Juli 2024.
Martin Sellner ist das Mastermind hinter der Identitären Bewegung Österreich. Hier im Rahmen der Wien-Demo am 20. Juli 2024.
ALEX HALADA / AFP / picturedesk.com

Splittergruppen

Berlin: Der Einstieg in das radikale Netzwerk erfolgte über eine scheinbar harmlose Telegram-Gruppe. Mit gefälschten Identitäten kamen die Reporterinnen Angelique Geray und Lisa Plank dort in Kontakt mit einem Mann, der "patriotische Strukturen" aufbauen will. Gesucht wurden dazu vor allem junge Frauen.

Unverblümt sprach der etwa 30-Jährige bereits beim allerersten Treffen mit den Undercover-Journalistinnen darüber, dass die Identitären vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Genau deshalb sollen unzählige Ortsgruppen geschaffen werden, die selbst bei einem Verbot ihrer IB-Dachorganisation noch eigenständig agieren könnten. Als Beispiel dient die ihnen verhasste Antifa.

Er riet den beiden vermeintlichen Sympathisantinnen zudem, sich in Martin Sellners Thesen einzulesen, bezeichnete diesen als "größten Theorie-Vorsprecher".

Fight Club in Wien

19. Juli, Wien: Das RTL-Team nahm in Wien an einem Identitären-Treffen teil. In einem Kellerlokal fand ein "Fight-Club-Abend" statt. In einem mit Bauzäunen abgegrenzten Boxring traten sich "Kameraden" aus Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern gegenüber. Sellner persönlich feuerte seine Anhänger an, machte auch politisch Stimmung.

Danach war eine Party angesetzt. Dort gab sich ein junger Mann den Journalistinnen als einer der Landesvorsitzenden der AfD zu erkennen. Auch eine Freundin, nach eigener Aussage ebenfalls bei der AfD, kam während des Rauchens vor dem Lokal hinzu.

Genozid "finde ich geil"

Ohne Scham legte sie vor den ihr eigentlich fremden Frauen los: "Es waren höchstens 175.000 vergaste Juden. Höchstens! Keine sechs Millionen". Zeitzeugen würden alle lügen, für Juden seien alle anderen Menschen "Abschaum". "So wie es für mich die Nigger und Kanaken sind", erklärte sie.

Auch die Millionen Opfer des Holocaust zweifelt sie an, findet es aber "geil, dass es stattgefunden hat".
Auch die Millionen Opfer des Holocaust zweifelt sie an, findet es aber "geil, dass es stattgefunden hat".
Screenshot RTL

Sie schob noch eine Aussage zum Holocaust nach, die fassungslos macht: "Ich find's auch geil, dass es stattgefunden hat. Das muss ich ehrlich sagen".

Kontakte bis in hohe AfD-Kreise

Solche Aussagen machten selbst die Undercover-Journalistinnen, die schon einiges zu hören bekommen hatten, "sprachlos". Wie die weitere Recherche zeigte, ist die Frau nicht irgendwer, sondern in der AfD gut vernetzt. Ihre Kontakte reichen bis zum AfD-Postergirl und Partei-Influencerin Marie-Thérèse Kaiser. Diese arbeitet für Parteichefin Alice Weidel im deutschen Bundestag.

"Deutschland braucht ein Srebrenica 2.0"

Auch an anderer Stelle sprach die Teilnehmerin der Wiener Party völlig ungefiltert und ungefragt über ihre Gewaltfantasien: "1995 war ein gutes Jahr, da war Srebrenica. Der Genozid an den Moslems. War sehr geil."

Sie wünsche sich, dass es 8.888 Opfer gegeben hätte. 88 wird in der Neonazi-Szene als Code für "Heil Hitler" nach der Buchstabenreihung im Alphabet gebraucht. Das Massaker während des Bosnienkriegs durch Serben unter der Führung von Ratko Mladić gilt als schwerstes Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Und genau das will die Frau offenbar wiederholen: "Das braucht auch Deutschland. Deutschland braucht ein Srebrenica 2.0."

Am nächsten Tag ging die Deutsche als Teil der Identitären-Demo in Wien auf die Straße, um mit nach außen hin freundlichen Gesichtern und angeblich gewaltfrei die "Botschaft der Remigration" zu verbreiten.

Die Spitze des Identitären-Demozuges für "Remigration" am 20. Juli 2024 in Wien.
Die Spitze des Identitären-Demozuges für "Remigration" am 20. Juli 2024 in Wien.
ALEX HALADA / AFP / picturedesk.com

Sellner schimpft über "Lügenpresse"

Damit offen konfrontiert, erklärte die AfD gegenüber RTL: Diese Frau sei nicht mehr Mitglied der Partei. Marie-Thérèse Kaiser, die auf einem Foto in enger Umarmung mit der Betreffenden zu sehen ist, behauptete, von derselben nie solche Aussagen gehört zu haben und diese auch inhaltlich abzulehnen.

Mastermind Sellner selbst antwortete nicht auf die Medienanfrage, wütete stattdessen in einer Videobotschaft an seine Anhänger über die Infiltration seiner Organisation durch die "Lügenpresse". Persönliche Diffamierungen inklusive.

Das Fazit der RTL-Reporter: "Wir haben gezeigt, Gewalt spielt für die Identitäre Bewegung durchaus eine Rolle. Und die Distanz zwischen den Identitären zur AfD existiert offenbar nur auf dem Papier."

Remigration als Kampfbegriff
Der Begriff "Remigration" bezeichnet grundsätzlich die Rückkehr von Personen, die geflohen sind, in das Herkunftsland. Zuletzt nutzen vor allem Rechtsextreme wie die Identitäre Bewegung das Wort als Kampfbegriff.
Die deutsche Rechtspartei AfD und die FPÖ in Österreich heften sich diesen Begriff ebenfalls auf die Fahnen. Scheu hat man trotz des düsteren Hintergrundes davor nicht.
"Ich habe überhaupt kein Problem, das Wort auszusprechen. Was soll da Schlimmes dran sein?", sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl zuletzt erst am 24. August während seines vielkritisierten Wahlkampfauftrittes (Stichwort: "Inzuchtpartie") in Hallein. Er bezeichnete die Identitäre Bewegung schon 2021 als "unterstützenswert" und "NGO von rechts", sah "inhaltliche Überschneidungen".

Grüne zeigen sich entsetzt

Am Mittwoch reagierten die heimischen Grünen auf die Enthüllungen. Eva Blimlinger , gedenkpolitische Sprecherin, erklärt via Aussendung, dass die Identitären den Antisemitismus und Rassismus "gerne in ein modernes Mäntelchen" verpacken würden, um "ihre rechtsextreme, ja faschistische Haltung zu camouflieren". Und sie fährt fort: "Abseits der Öffentlichkeit herrscht ein anderer Umgangston, der an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten ist." Blimlinger fordert in dieser Causa ein konsequentes Einschreiten des Verfassungsschutzes.

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    Auf den Punkt gebracht

    • Eine Undercover-Reportage bei der Identitären Bewegung bringt grausliche Gewaltfantasien der Rechtsextremen ans Licht
    • Ihr Mastermind Martin Sellner forciert "Remigration" als Kampfbegriff, will alle Menschen mit Migrationshintergrund, "die sich nicht assimilieren", außer Landes zwingen
    • Zwischen der deutschen AfD und den Identitären gibt es trotz öffentlicher Distanzierung weiter viele Berührungspunkte
    red
    Akt.