Wähler enttäuscht
Hochburg verloren: "Grüne nehmen Migration nicht ernst"
"Heute" hörte sich im rot eingefärbten Wien-Neubau um: Viele Wähler sind enttäuscht von den Grünen, vor allem wegen ihres Umgangs mit der Teuerung.
In der Neubaugasse herrscht nach der Nationalratswahl 2024 gedämpfte Stimmung. Passanten huschen schnell vorbei, als wäre ihnen das Wahlergebnis peinlich. "Ich will nicht darüber reden", murmelt eine Frau mittleren Alters und eilt weiter. Andere lassen nur einen schnellen Kommentar zurück: "Besorgt. Wegen der FPÖ."
Die wenigen, die etwas sagten, wirkten vor allem eines: enttäuscht. Besonders schmerzt in Neubau, einer langjährigen Hochburg der Wiener Grünen, dass die Partei fast alle ihre Sprengel verlor. Nur ein einziges Grätzl blieb grün – wir berichteten.
"Grüne nehmen Migration nicht ernst"
Eine Mutter (49), die wir auf der Straße treffen, hat ebenfalls genug von den Grünen. Sie erzählt, wie zwei Jungen aus der Klasse ihrer Tochter abgeschoben wurden. "Niemand hat etwas dagegen unternommen, nicht einmal die Grünen." Ihre Stimme schwillt an, als sie weiterspricht: "Ich habe dieses Mal die SPÖ gewählt. Die Grünen nehmen das Thema Migration nicht ernst genug. In manchen Bezirken wie Favoriten ist es so, dass nur noch ein Kind ohne Migrationshintergrund in der Klasse sitzt. Das kann doch nicht sein!"
"Grüne ließen uns bei Teuerung im Stich"
Doch es ist nicht nur die Migration, die ehemalige Grün-Wähler frustriert. Die Mutter beklagt auch die anhaltende Teuerung. "Die Grünen haben uns bei der Teuerung im Stich gelassen. Meine Wohnung ist viel teurer geworden, die Preise für Lebensmittel sind durch die Decke gegangen, und was haben die Grünen getan? Nichts! Viele Menschen sind wütend, weil sie sich von dieser Regierung nicht verstanden fühlen."
"Sie reden an den Leuten vorbei"
"Die Grünen haben sich das selbst zuzuschreiben", erklärt Thomas, 53-jähriger Buchhändler, der seit Jahrzehnten sein Geschäft in der Neubaugasse betreibt, im Gespräch gegenüber "Heute". "Sie haben an den Leuten vorbeigeredet. Viele, die früher Grün gewählt haben, sind jetzt zur SPÖ gegangen."
Thomas kritisiert, dass die Grünen viele Wähler nicht mehr erreicht haben – insbesondere ältere Menschen und jene ohne regelmäßigen Internetzugang. "Die Partei hat den Fokus zu sehr auf digitale Kanäle gelegt", sagt er. Der direkte Kontakt auf der Straße sei zunehmend vernachlässigt worden, was seiner Meinung nach einer der Gründe für die Verluste bei der Wahl sein könnte.
Corona und verpasste Chancen
Der Buchhändler sieht die Corona-Pandemie als einen entscheidenden Wendepunkt: "In der Corona-Zeit hat vieles nicht funktioniert, wie es hätte sollen. Die Grünen haben damals viele Wähler verloren, weil sie keine klare Linie hatten. Das rächt sich jetzt." Er schüttelt den Kopf und fügt hinzu: "Sie haben die älteren Menschen vergessen und sich zu sehr auf die urbane, junge Bevölkerung konzentriert. Aber was ist mit den älteren Menschen? Die fühlen sich heute vernachlässigt!"
Thomas ist überzeugt, dass die Partei mehr auf den direkten Kontakt mit den Wählern setzen muss: "Man muss raus auf die Straße, die Leute direkt ansprechen. Einfach nur die sozialen Netzwerke zu bespielen, das reicht nicht. Die Menschen wollen jemanden, der sie versteht, nicht nur Theorien aus der Parteizentrale."
Schicksals-Wahl im nächsten Jahr
Schon im nächsten Jahr 2025 wird in Wien gewählt. In Wien-Neubau wartet auf Grünen-Bezirksvorsteher Markus Reiter noch viel Arbeit, um die Wähler nicht wieder zu enttäuschen. "Bei den Wahlen auf Bezirksebene sieht das Ergebnis immer ganz anders aus und das war auch in der Vergangenheit stets der Fall. Wir werden nächstes Jahr mit voller Kraft dafür kämpfen, dass Neubau auch in Zukunft auf Bezirksebene grün bleibt", gibt sich Reiter optimistisch.
Österreich wählt – alle Parteien, Kandidaten, der Wahltag
Auf den Punkt gebracht
- Nach der Nationalratswahl 2024 herrscht im 7.Bezirk Neubau Enttäuschung über die Grünen, die fast alle ihre Sprengel verloren haben
- Viele Wähler kritisieren, dass die Partei an den Menschen vorbeigeredet und wichtige Themen wie Teuerung und Migration vernachlässigt hat, was zu einem Abwandern der Stammwähler zur SPÖ führte