Aufreger-Analyse in ZIB2
"Großer Fehler" – EU-Experte teilt im ORF heftig aus
Gleich zwei nationalistische Rechtsparteien treten zur EU-Wahl an. In der ZIB2 rechnet Stefan Lehne als Ersatzgast für AfD-Mann Krah mit ihnen ab.
Die FPÖ hat ihr Dauerfeuer gegen die Europäische Union einen knappen Monat vor dem Urnengang noch einmal verschärft. Inzwischen attestieren die Freiheitlichen der EU-Politik auch auf großformatigen Plakaten "Wahnsinn". Diesen gelte es nach blauer Erzählung zu stoppen, indem man einen Spitzenkandidaten Harald Vilimsky wählt, der bereits ein volles Jahrzehnt selbst in dem angeblichen Brüsseler "Irrenhaus" einsitzt.
Auf dem Wiener Küniglberg wollte Armin Wolf am Montag (6. Mai) passend zum Wahlkampf-Endspurt mit einer großen Interviewserie der EU-weiten Spitzenkandidaten starten. Aus der Identität und Demokratie (ID), zu der auch die drei FPÖ-Abgeordneten gehören, wäre der Maximilian Krah von der Alternative für Deutschland (AfD) geladen gewesen. Dieser sagte aber wenige Tage vorher ab, wohl auch wegen der China-Spionage-Affäre um ihn herum.
Stattdessen nahm EU-Experte Stefan Lehne dann im ZIB2-Studio Platz, um zu erläutern, was die rechten Fraktionen ID und die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) in der EU-Wahl eint – und auch trennt.
Wieso gibt es keine EU-weiten Spitzenkandidaten?
Die erste Frage von Armin Wolf war eine direkte Retourkutsche für den von der FPÖ inszenierten "Skandal" um dessen Twitter-Beitrag zur Krah-Einladung: "Einen europaweiten Spitzenkandidaten gibt es nicht, die ID hält das für einen Marketinggag", betonte der Anchorman schon zu Beginn des Themenblocks.
Sein Gast ergründete im Anschluss, wieso das so ist: "Es geht um die Wahl des Kommissionspräsidenten. Beide sehen die Kommission als Feindbild und wollen sie in ihren Rechten beschneiden". Sich selbst für die Spitzenfunktion zu bewerben, das passe nicht in die eigene Erzählung.
Warum gibt es überhaupt zwei rechtsnationalistische Fraktionen?
Sowohl die unter dem Banner der ID als auch der EKR antretenden Fraktionen seien "im Grunde nationalistische Parteien", sagt Lehne. "Sie sehnen sich zurück nach der verflossenen Souveränität der Nationalstaaten. Das einigt sie einerseits, das trennt sie aber auch, weil nationale Interessen sehr unterschiedlich und teilweise gegensätzlich sind."
Am deutlichsten werde das an ihrer Einstellung zur russischen Invasion in der Ukraine. So würden nordische Rechtsparteien und Polen Russland strikt ablehnen und die Ukraine unterstützen. In Ungarn oder auch Österreich pflegten FPÖ und Co. dafür eine Nähe zum Kreml. "Diese Trennungen machen es für diese Parteien schwierig, eine kohärent aufzutreten und eine gemeinsame Front aufzubauen".
Zur Person
Stefan Lehne (*1951 in Innsbruck) ist seit 2011 Gastwissenschaftler bei Carnegie Europe und befasst in seinem dem Forschungsschwerpunkt mit der Entwicklung der EU-Außenpolitik und der Beziehungen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten.
Unter allein Parteien im EU-Parlament seien ID und EKR die beiden, die "am wenigsten Disziplin" hätten. "Einfach weil Nationalisten einfach schwer zusammenarbeiten".
In EU-Kritik vereint: Warum gibt's keinen Zusammenschluss?
In der Ideologie seine sich beide Fraktionen wohl sehr einig, würden die EU am liebsten zurückbauen. Im Grunde würden sie ein Europa der Nationen anstreben, wo die Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten zurückgehen und die ursprüngliche Souveränität wieder aufgebaut werden soll.
Für Lehne ist das ein Konzept "völlig widersprüchlich": "Man kann nicht die wirtschaftlichen Vorteile der Union haben. Die beruhen auf dem gemeinsamen Markt, der beruht auf gemeinsamer Gesetzgebung, die durch unabhängige Organe kontrolliert und überprüft werden muss. Wenn man die Souveränität wiederherstellt, dann fragmentiert man auch die europäische Wirtschaft und das ist ein gigantischer Verlust für alle Europäer und Europäerinnen."
Eine große Allianz scheitere daran, dass die einzelnen Parteien innerhalb der Rechtsfraktionen völlig unterschiedliche Ziele hätten. Auf der einen Seite stehe die ID, und damit die FPÖ, die auf "Fundamentalopposition" setze und das EU-Parlament nur als "Propaganda-Bühne" für ihr innenpolitisches Kalkül nutze.
Auf der anderen Seite gebe es dafür in der EKR auch Parteien, die sich an der europäischen Politik beteiligen und "das Spiel mitspielen" würden. Dazu gehören laut Lehne auch die Italiener von Giorgia Meloni. Bei dieser hätten zu Beginn alle gefürchtet, dass sie ein zweiter Viktor Orban würde. Stattdessen sei sie zwar sehr kritisch, mache aber bei verschiedenen Initiativen mit.
"Es ist ein sehr undisziplinierter Haufen"
Damit hoffen die Rechtspopulisten, Teile der Wählerschaft der Europäischen Volkspartei auf ihre Seite zu ziehen. "Das hätte Auswirkungen auf die Klimagesetzgebung, auch die Migrationspolitik würde noch restriktiver werden und auch mit der Rechtsstaatlichkeit würde sich nicht mehr viel abspielen."
Dennoch gebe es immer wieder große Wechsel in den beiden EU-Fraktionen, wo Landesparteien oder auch einzelne Abgeordnete zwischen EKR und ID pendeln würden. "Es ist ein sehr undisziplinierter Haufen, was den Stellenwert und den Impact sehr schmälert", so Lehne im ORF-Studio.
VIDEO: Das ganze ORF-Interview mit Stefan Lehne
Wieso schneiden Rechtsparteien dann so gut ab?
Beim Urnengang selbst falle die Uneinigkeit der Rechtsparteien auch deshalb nicht negativ ins Gewicht, weil die europäische Dimension bei den Wählern wenig Beachtung finde. Im Grunde seien es 27 einzelne Wahlen.
Populistische Parteien wurden auch deshalb stärker als normal abschneiden, "weil einfach viele Leute sich denken, sie können ihren Frust abladen, ohne das Risiko zu haben, von diesen Parteien dann tatsächlich regiert zu werden", erklärt der Experte das in den Umfragen der ID und EKR zugeschriebene Hoch.
Diese Einstellung bezeichnet er klar als "großen Fehler", weil das EU-Parlament doch sehr viel Macht und Einfluss habe. Man müsse daher "sehr aufpassen, wem man seine Stimme schenkt".
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- In der ZIB2 rechnet EU-Experte Stefan Lehne mit nationalistischen Rechtsparteien ab, die zur EU-Wahl antreten
- Er erklärt, dass die Fraktionen im EU-Parlament zwar ideologisch ähnlich sind, aber aufgrund unterschiedlicher nationaler Interessen und Ziele keine gemeinsame Front bilden können
- Lehne betont, dass ein Rückbau der EU zu einem Europa der Nationen wirtschaftliche Nachteile für alle Europäer bedeuten würde