Am 8. März wird jedes Jahr der Weltfrauentag gefeiert, an dem immer wieder auf die bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen hingewiesen wird. Besonders im Berufsleben werden diese Unterschiede deutlich, sei es in Bezug auf Bezahlung, Karrierechancen oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Doch welche Fortschritte sind noch nötig, um echte Chancengleichheit zu erreichen? Und warum sind Männer nicht immer die Hauptverantwortlichen für diese Ungleichheiten? Wir haben bei drei Expertinnen nachgefragt, welche Maßnahmen erforderlich sind und warum ein gemeinsames Umdenken notwendig ist, um eine gerechtere Zukunft zu gestalten.
Der Weltfrauentag: Mehr Schein als sein
Zahlreiche Rabattaktionen sind zu sehen, Blumengeschäfte erleben einen weiteren Tag mit gutem Umsatz, und auf Social Media werden motivierende Sprüche geteilt: Der Weltfrauentag am 8. März ist jährlich der Tag, der den Fokus auf die Frauen lenkt. Leider nur an diesem Tag, denn statistisch gesehen gibt es zwischen Mann und Frau noch große Unterschiede und die Gleichberechtigung ist nach wie vor lange nicht gegeben.
Laut Statistik Austria lag der Gender-Pay-Gap im Jahr 2023 bei 18,3 % und damit deutlich über dem EU-Schnitt von 12,0 %. Das bedeutet, dass Frauen in Österreich im Durchschnitt fast ein Fünftel weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen – ein Unterschied, der sich auch in anderen Bereichen fortsetzt.
Denn nicht nur das Gehalt ist betroffen: Auch die Stellung von Frauen in Führungspositionen bleibt noch immer hinter dem der Männer zurück. Trotz der Tatsache, dass Frauen in vielen Ländern genauso gut oder sogar besser ausgebildet sind als Männer, sind sie in den oberen Etagen der Unternehmenswelt deutlich unterrepräsentiert.
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Der lange Weg zur echten Gleichberechtigung
Trotz zahlreicher Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt sind Frauen immer noch mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Von der ungleichen Bezahlung bis hin zu begrenzten Aufstiegschancen bestehen nach wie vor erhebliche Hürden. Natasha Mauthner, Geschäftsführerin von Lieferando, betont: “Persönlich würde ich mir eine Zukunft wünschen, in der es diesen Tag nicht mehr braucht, weil Gleichberechtigung und Chancengleichheit wirklich gelebt werden.”
Michaela Weiss, Human Resources Leiterin von Promedico, ergänzt: “Gleichberechtigung sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Es ist bedauerlich, dass es diesen Tag immer noch braucht, um auf Ungleichheiten aufmerksam zu machen.” Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der ein gesellschaftliches Umdenken erfordert.
Vorurteile und Stereotypen als Karrierekiller
Eines der größten Hindernisse für Frauen im Job sind tief verankerte Vorurteile und Stereotypen. “Frauen sehen sich immer noch mit Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert. Sei es in Bezug auf ihnen zugeschriebene Führungseigenschaften oder die Tatsache, dass sie stärker mit der Erfüllung familiärer Pflichten assoziiert werden bzw. diese wahrnehmen als Männer”, so Mauthner.
Auch in bestimmten Branchen, etwa im technischen oder handwerklichen Bereich, sind Frauen weiterhin mit erheblichen Hindernissen sowie Missständen konfrontiert. “Es gibt nach wie vor Vorurteile, gerade im handwerklich-technischen Bereich wie dem Rösten. Solche Klischees halten sich leider hartnäckig und machen es Frauen schwerer, sich in diesen Bereichen durchzusetzen.”, berichtet Barbara Bauer aus ihrer Erfahrung in der Kaffeebranche und betont, wie wichtig es ist, “Rollenbilder aktiv zu hinterfragen und bewusst aufzulösen”.
Michaela Weiss betont in diesem Zusammenhang: “Gleichberechtigung bedeutet, den Menschen mit seinen Fähigkeiten und Kompetenzen in den Mittelpunkt zu stellen, nicht sein Geschlecht. Jede:r Einzelne kann im Alltag dazu beitragen, indem er Vorurteile hinterfragt und Ungerechtigkeiten sichtbar macht”.
Care-Arbeit und Co: Die Herausforderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Balance zwischen Beruf und Familie, die für viele Frauen eine große Herausforderung darstellt. “Hier braucht es einerseits ein gesellschaftliches Umdenken, um Vorurteile und Stereotypen abzubauen, andererseits die Schaffung von Angeboten und Anreizen, um die Balance von Familie und Beruf zu fördern – und zwar für alle Geschlechter“, betont Mauthner.
Head of Human Resources bei Promedico, Michaela Weiss, hebt hervor: “Ein zentraler Faktor ist eine gesicherte, flächendeckende und flexible Kinderbetreuung, die es Müttern ermöglicht, sich ohne Sorgen ihrem Beruf zu widmen. Gleichzeitig müssen Unternehmen Väter aktiv unterstützen, wenn sie in Elternzeit gehen oder ihre Arbeitszeit reduzieren möchten, damit die Verantwortung für Familie gleichmäßig verteilt wird. Besonders wichtig ist uns also die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Ein Beispiel dafür ist unser Karenzwiedereingliederungsmodell, das Frauen den Wiedereinstieg nach der Babypause erleichtert.”.
Barbara Bauer von J. Hornig ergänzt: “Um langfristig für mehr Gleichberechtigung zu sorgen, braucht es deshalb nicht nur flexible Arbeitsmodelle, sondern auch eine Unternehmenskultur, die darauf achtet, dass Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für alle Mitarbeitenden – unabhängig vom Geschlecht – möglich ist. Erst wenn Care-Arbeit nicht mehr automatisch als “Frauensache” gesehen wird, kann sich echte Chancengleichheit […] entwickeln”.
Selbstvertrauen und Risikobereitschaft als Erfolgsfaktoren
Eine weitere Hürde, die Frauen laut den Expertinnen überwinden müssen, ist, dass sie sich oft selbst unterschätzen. “Meiner Erfahrung nach tendieren Frauen dazu, sich selbst weniger zuzutrauen, als es bei Männern der Fall ist. Auch was den Mut, mehr Risiko zu nehmen, angeht, können wir von unseren männlichen Kollegen vielleicht noch das eine oder andere lernen“, erzählt die Lieferando-Geschäftsführerin von Österreich.
Bauer betont im Zusammenhang mit der Durchsetzungsfähigkeit im Berufsleben, dass es “vor allem Mut, Selbstbewusstsein und eine gute Portion Hartnäckigkeit braucht. Frauen stehen leider, nicht nur in der Kaffeebranche, oft vor Vorurteilen und müssen sich ihre Positionen stärker erkämpfen.” Um hier gegenzusteuern, können Mentoring-Programme helfen, Frauen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und ihnen Mut zu machen, neue Wege zu gehen.
Die Stärken der Frau hochleben lassen
Es ist wichtig, die besonderen Stärken von Frauen in Führungspositionen hervorzuheben und Michaela Weiss beschreibt es treffend: “Jede Führungspersönlichkeit ist einzigartig, aber es gibt bestimmte Eigenschaften, die Frauen häufig in Führungspositionen auszeichnen. Dazu gehören eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit, eine hohe Resilienz sowie die Fähigkeit, verschiedene Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen. Zudem bringen viele Frauen eine besondere Sensibilität für zwischenmenschliche Dynamiken mit, die sich positiv auf die Teamführung auswirken kann.”
Anstelle Frauen also mit den Stärken der Männer zu vergleichen, sollte man die einzigartigen Fähigkeiten von ihnen sehen und sichtbarer machen. Weibliche Stärken sind entscheidend, um Teams erfolgreich zu leiten, komplexe Aufgaben zu meistern und in stressigen Situationen einen klaren Kopf zu bewahren. Es wird also Zeit, diese Stärken von Frauen als wesentlichen Teil von moderner, erfolgreicher Führung zu fördern.
Gleichberechtigung: Männliche Verbündete sind entscheidend
Echte Chancengleichheit lässt sich nur gemeinsam erreichen. Deshalb ist es entscheidend, auch Männer in die Diskussionen mit einzubeziehen und als aktive Unterstützer zu gewinnen. “Um echte Chancengleichheit zu erreichen, müssen wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Männliche Verbündete braucht es unbedingt und am besten viele.” Mauthner sieht die Verantwortung von beiden Geschlechtern in der Gleichberechtigungsfrage.
Unternehmen können aktiv dazu beitragen, Männer als Verbündete zu gewinnen, indem sie Sensibilisierungsmaßnahmen und Trainings anbieten. Wenn alle Geschlechter gemeinsam für Gleichberechtigung eintreten, kann eine nachhaltige Veränderung erreicht werden.
“Denn oft sind sich Männer der Herausforderungen, denen Frauen gegenüberstehen, gar nicht bewusst. Nicht aus Ignoranz oder Gleichgültigkeit heraus, sondern weil sie selbst nicht mit diesen Erfahrungen konfrontiert sind.”, so Mauthner abschließend.
Die Bedeutung von Netzwerken und Vorbildern
Der Austausch mit Gleichgesinnten und die Unterstützung durch Mentor:innen sind weitere entscheidende Faktoren, um Frauen in ihrer Karriere zu fördern. “Der Austausch mit Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, kann hier wertvoll sein. Mentor:innen können dabei helfen, (negative) Denkmuster zu durchbrechen und neue Perspektiven zu gewinnen.”, schlägt die Geschäftsführerin von Lieferando Österreich vor.
Gezielte Initiativen und Netzwerke spielen eine zentrale Rolle: “Wir organisieren Talks, Cuppings und schaffen Räume, in denen Frauen sich vernetzen und voneinander lernen können. Solche Netzwerke sind unglaublich wertvoll, weil sie Mut machen, Orientierung bieten und Frauen in der Branche eine starke Stimme geben.”, so Bauer. Sie sieht hinsichtlich des Trends der Vernetzung in ihrer Branche Vorteile für die Frauen. “Gezielte Initiativen bieten Frauen nicht nur Unterstützung, sondern machen ihre Erfolge auch sichtbar. Außerdem beobachten wir, dass Themen wie Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Transparenz immer wichtiger werden.”
Auch bei Promedico wird hinsichtlich Unterstützungsprogrammen weitergeholfen, wie uns die HR-Leiterin Michaela Weiss verrät: “Mentoring-Programmen sind ein wertvolles Instrument, um Karrieren zu fördern. Allerdings sollten sie nicht nur Frauen vorbehalten sein, sondern allen, die sich weiterentwickeln möchten. Bei uns haben wir deshalb ein umfassendes Career- & Development-Programm, das unseren Mitarbeiter:innen zahlreiche Möglichkeiten bietet, sich weiterzubilden und ihre Karriere aktiv zu gestalten.”
Der Weg nach vorne: Motivation und Leidenschaft als Motor
Trotz aller Herausforderungen ist es für Frauen essenziell, sich nicht entmutigen zu lassen. Der Wille, sich weiterzuentwickeln, Herausforderungen anzunehmen und an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten, spielt eine große Rolle für den individuellen Erfolg. “Mein Rat: Einfach loslegen und sich nicht von Zweifeln oder gesellschaftlichen Erwartungen aufhalten lassen. Wenn man das tut, was man liebt, und sich mit Leidenschaft engagiert, wird sich der Erfolg einstellen.”, rät Michaela Weiss jungen Frauen für ihren Karriereweg.
Auch Bauer sieht die persönliche Leidenschaft als entscheidenden Faktor: “Es geht darum, den jungen Frauen klarzumachen: Du musst keine bestimmte körperliche Konstitution oder Vorerfahrung haben, um […] erfolgreich zu sein – was zählt, ist deine Begeisterung.”
Die Zukunft der Chancengleichheit liegt also in der aktiven Förderung von Frauen, dem Abbau alter Rollenbilder, mehr Vernetzung innerhalb und außerhalb der Branche – und natürlich einer ordentlichen Portion Leidenschaft. An diesem Weltfrauentag sollten wir genau darüber nachdenken und uns inspirieren lassen!