Kitzbühel-Startschuss
Girardelli: "Welches Arsch… hat das zu verantworten?"
In Kitzbühel steigt heute das erste Abfahrtstraining. "Heute"-Experte Marc Girardelli über den stillsten Ort im Ski-Weltcup.
Heute steigt das erste Training in Kitzbühel. Marco Odermatt, der als Seriensieger vollgepumpt mit Selbstvertrauen anreiste, ist spätestens nach der ersten Besichtigung wieder geerdet. Der Blick aus dem Streif-Starthaus ist angsteinflößend. "Welches Arsch… hat das hier zu verantworten?", war mein erster Gedanke, als ich von dort erstmals steil nach unten blickte.
Dieser Start ist wie ein Fallschirmsprung aus dem Flieger, aber leider ohne Fallschirm.
1989 stand ich im Starthaus – und wollte nur noch weg. Es war mir zu brutal. Ich hatte die Hosen voll, sagte zu meinem Vater: "Ich starte nicht." Ich war zu dieser Zeit in Topform im Slalom. Mein Vater akzeptierte die Entscheidung.
"Ich wollte mir diese Blöße nicht geben"
Als ich aus dem Starthaus rausgehen wollte, sah ich meinen Rivalen Pirmin Zurbriggen. Ich wollte mir diese Blöße vor ihm nicht geben. Ein Rückzug von mir wäre gleichbedeutend mit der Aufgabe im Kampf um den Gesamtweltcup gewesen.
Ich startete – und verlor im ersten Training rund vier Sekunden. Ich nahm den Kampf aber an und tastete mich heran. Am Ende der Woche holte ich bei der Doppel-Abfahrt die Plätze eins und zwei.
"Kitzbühel ist hart, Kitzbühel ist aber auch eine Chance"
Kitzbühel ist hart. Kitzbühel ist aber auch eine Chance. Auch für die ÖSV-Abfahrer, die den schlechtesten Saisonstart hinlegten und in fünf Abfahrten konstant am Stockerl vorbeifuhren.
Auf der Streif musst du als als Athlet im Vorfeld eine Frage klar beantworten: Gehe ich volles Risiko? Ein Nein ist okay. Ist die Antwort ja, dann nehme ich einen Aufenthalt im Spital in Kauf. Dann tue ich alles, um schnell zu sein.
Mit Risiko ist in Kitzbühel viel möglich. Weil du im steilen Startbereich und im Zielhang viel Zeit gewinnst, wenn du mutiger fährst als deine Rivalen. Du kannst in beiden Passagen eine halbe Sekunde holen, wenn du keine Skrupel zeigst.
Kriechmayr fehlte zuletzt Skrupellosigkeit
Diese Skrupellosigkeit hat Vincent Kriechmayr zuletzt in Wengen vermissen lassen. Ich habe ihn dort im Haneggschuss live gesehen. Er war dort zu wenig aggressiv und viel zu aufrecht unterwegs.
Um Odermatt gefährden zu können, wird er ohne Skrupel unterwegs sein müssen. Ich traue ihm das auf der "Streif" zu.