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Gewürgt, geschlagen – aber nicht vergewaltigt?

Das Basler Strafgericht sprach einen 23-Jährigen der Vergewaltigung frei, verurteilte ihn aber wegen Tätlichkeiten beim Geschlechtsverkehr.

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    Eine 15-Jährige verabredete sich im März 2021 mit einem 21-Jährigen via Snapchat.
    Eine 15-Jährige verabredete sich im März 2021 mit einem 21-Jährigen via Snapchat.
    20min/Michael Scherrer (Symbolbild)

    Eine heute 17-Jährige beschuldigte einen Mann, sie in seiner Wohnung in Basel im Jahr 2021 vergewaltigt zu haben. Die beiden hatten sich zuvor über Snapchat verabredet. Nun wurde er vom Vorwurf der Vergewaltigung und mehrfachen sexuellen Nötigung freigesprochen, weil die Klägerin den Geschlechtsverkehr nicht erkennbar abgelehnt habe. Der heute 23-Jährige wurde aber wegen Tätlichkeiten zu einer Geldstrafe verurteilt. Laut Anklage schlug und würgte er die Klägerin beim Geschlechtsverkehr.

    Für Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, wirft das Urteil Fragen auf: "Ein Mann wird der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung freigesprochen – das 15-jährige Mädchen habe den Sex nicht klar genug abgelehnt. Aber er wird wegen Tätlichkeiten verurteilt, weil er das Mädchen während der sexuellen Handlungen geschlagen und gewürgt hat. Bitte was?", schreibt sie auf Twitter.

    Auch andere Userinnen und User kritisieren das Urteil und bezeichnen es als "außerordentlich befremdlich" und "eine Schande" sowie das Strafmaß "äußerst fragwürdig". "Ich finde das so mies und ungerecht", schreibt eine Frau auf Twitter.

    "Das kann man doch nicht trennen"

    Gegenüber 20 Minuten sagt Lavoyer: "Ich kenne den Fall nicht im Detail und möchte mir deshalb nicht anmaßen, ein Urteil grundsätzlich zu kritisieren. Ich sehe aber nicht ein, wie man sagen kann: Der Sex war einvernehmlich, nur die Tätlichkeiten waren nicht einvernehmlich. Das kann man doch nicht trennen."

    Die Expertin für sexualisierte Gewalt fragt sich: "Einmal angenommen, das Mädchen hätte wirklich – trotz Altersunterschied und Machtgefälle – seinen freien Willen zu sexuellen Handlungen kundgetan, und daraufhin kommt es zu diesem offenbar sehr brutalen Sex. Wie kann man den Sex immer noch als strafrechtlich nicht relevant einstufen und davon losgelöst nur die Tätlichkeiten bestrafen?"

    Nur weil jemand Ja zu Sex sage, sei dies für den Partner oder die Partnerin kein Freipass für jegliche sexuellen Handlungen. "Konsens ist kein einmaliges Ja, sondern ein Zustand, bei dem in jedem Moment Einwilligung vorliegt", so Lavoyer.

    Damit solche Fälle nicht mehr vorkommen, müsste die Schweiz endlich mehr tun im Bereich Intervention und Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt. Mit der Umsetzung der Nur-Ja-heisst-Ja-Regelung wäre man auf dem richtigen Weg. "In diesem Fall hätte der Beschuldigte glaubhaft darlegen müssen, wieso er davon ausging, dass das Mädchen Sex mit Schlagen und Würgen zugestimmt hat", so Lavoyer.

    "Die Zweifel sind zu groß"

    Ob das Basler Strafgericht zu einem anderen Schluss gekommen wäre, wenn die Zustimmungslösung gegolten hätte, die in der Revision des Sexualstrafrechts gefordert wird, bleibt offen. Weder die Staatsanwältin noch die Vertreterin der Klägerin wollten sich nach dem Urteil am Donnerstag dazu äußern. In Bezug auf die Version der Klägerin sagte der Gerichtspräsident: "Die Zweifel sind zu groß."

    Laut Christian Lenz, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Lenz und Caduff, erfolgen nach dem derzeitigen Sexualstrafrecht Verurteilungen nur, wenn keinerlei Zweifel an den Aussagen der Geschädigten bestehen: "Das Gericht ist in diesem Fall zum Schluss gekommen, dass die Aussage des Beschuldigten, wonach der Geschlechtsverkehr einvernehmlich abgelaufen ist, glaubhafter war als diejenige der Geschädigten."

    Das milde Urteil sei damit zu begründen, dass der Verurteilte die Gewalt nicht angewandt habe, um die Geschädigte zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. "Gewalt hat er anscheinend erst während laut des Urteils einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs angewandt, weshalb es sich laut dem Gericht um eine Tätlichkeit, nicht aber um sexuelle Nötigung oder gar eine Vergewaltigung handelte", erklärt Lenz.

    Anklage wegen Vergewaltigung anstatt sexueller Handlungen mit Kindern

    Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage wegen Vergewaltigung erhoben, nicht wegen sexueller Handlungen mit Kindern, obwohl das Opfer zum beschriebenen Tatzeitpunkt erst 15-jährig und damit im Schutzalter war. Rechtlich stehen beide Straftatbestände in echter Konkurrenz zueinander. Das heißt, es ist möglich, mit einer Tathandlung beide zu erfüllen, ohne dass einer den anderen aufhebt oder ausschließt. Ein Beschuldigter kann aber für eine Handlung nicht doppelt bestraft werden.

    Wären sexuelle Handlungen mit Kindern angeklagt worden, hätte der Beschuldigte glaubhaft machen können, dass er nicht wusste, dass das Mädchen erst 15 Jahre alt war. Laut Anklage soll sie ihm gesagt haben, dass sie älter sei. In dem Fall sieht das Gesetz keine Strafe vor.

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      privat, iStock