Internationaler Gerichtshof
Gericht verpflichtet Israel, Genozid zu verhindern
Der IGH hat am Freitag sechs Anordnungen gegen Israel beschlossen. Das finale Urteil zu den Völkermord-Vorwürfen wird erst in einigen Jahren erwartet.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat am Freitag sechs der neun Forderungen des Eilantrags von Südafrika gegen Israel angeordnet. Auf eine Anordnung des generellen Stopps der militärischen Operation Israels im Gazastreifen hat der Gerichtshof verzichtet. Zwar kann das Urteil vom Gericht nicht vollstreckt werden, politisch ist die Anordnung aber bedeutsam. "Für Israel ist das durchaus unangenehm", lautet die Einschätzung vom Völkerrechtsexperten Matthias Hartwig.
Das ist passiert:
Südafrika hat beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) eine Klage wegen Völkermordes gegen Israel eingereicht. Mit der Klage hat Südafrika auch einen Eilantrag mit neun Forderungen, darunter die sofortige Einstellung der militärischen Operationen im Gazastreifen, eingereicht. Darüber hat der IGH nun beraten und am Freitag einen Teil der Forderungen gutgeheißen. Ein Urteil über den von Südafrika erhobenen Vorwurf des Völkermordes wird erst in einigen Jahren erwartet. Israel weist die Anschuldigung entschieden zurück und bezeichnet sie als "unbegründet".
Völkerrechtsexperte: "Erwartbares Urteil"
Das Urteil des IGH entspreche grundsätzlich dem, was Universitätsprofessor Hartwig erwartet hat. "Dass der Gerichtshof nicht ausdrücklich anordnete, dass Israel seine militärische Aktion einstellen muss, ist für Israel natürlich positiv", sagte er. Somit verstoße die Fortsetzung der militärischen Operation nicht unmittelbar gegen die Anordnung des IGH. "Das legt nahe, dass der Gerichtshof die israelische Militäroperation für sich genommen nicht als Genozid wertet."
Umgekehrt sei das für die palästinensische Bevölkerung der enttäuschendste Punkt: "Die Palästinenser haben gehofft, dass die Bombardierung von dicht besiedeltem Gebiet und die dabei unvermeidliche Tötung von Zivilisten durch die Anordnung einer dauerhaften Feuerpause gestoppt werde", erklärt Hartwig.
Das hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag beschlossen
Der IGH verhängte keinen Stopp der militärischen Operationen im Gazastreifen, beschloss aber diese sechs Maßnahmen:
- Israel muss alle Maßnahmen ergreifen, um Handlungen zu verhindern, die als Völkermord angesehen werden könnten. Darunter fallen: Tötungen von Mitgliedern einer Bevölkerungsgruppe, Körperverletzungen, die Zerstörung einer Bevölkerungsgruppe und die Verhinderung von Geburten.
- Israel muss sicherstellen, dass sein Militär keine genozidalen Handlungen begeht.
- Öffentliche Äußerungen, die als Anstiftung zum Völkermord angesehen werden können, muss Israel verhindern und bestrafen.
- Israel muss humanitäre Hilfe für die Zivilisten in dem Palästinensergebiet zulassen.
- Israel muss jegliche Zerstörung von Beweisen, die in einem Völkermordfall verwendet werden könnten, verhindern.
- Israel muss dem IGH in einem Monat einen Bericht über die Maßnahmen vorlegen.
Auch dass der IGH die Zulassung von humanitärer Hilfe anordnete, sei erwartbar gewesen. Denn: "Die völlige Abschneidung des Gazastreifens von der Versorgung drohte in eine humanitäre Katastrophe zu münden – das hätte als ein genozidaler Akt gewertet werden können", so Hartwig.
Was bedeutet der Entscheid für den Völkermordsvorwurf?
"Ein wichtiges Signal aus dieser Anordnung ist, dass sich der Gerichtshof in der Frage für zuständig sieht", findet Hartwig. Das sei durchaus kein einfaches Problem. "Einerseits stand im Raum, ob die Klage von Südafrika überhaupt gültig ist, weil das Land nicht selbst vom Vorwurf des Genozids betroffen ist – das hat der Gerichtshof nun positiv beantwortet." Ansonsten wäre der Vorwurf direkt vom Tisch gewesen. "Auch die Frage, ob von Südafrika plausibel dargelegt worden sei, dass es sich möglicherweise um einen Genozid handelt, hat der Gerichtshof positiv beantwortet – sonst hätte er die Klage für unzulässig erachtet und abgewiesen." Das bedeute nun aber nicht, dass es sich tatsächlich um einen Völkermord handelt. Dies wird nun im Verfahren zur Hauptsache geklärt.
Der Gerichtshof kann ein Urteil nicht vollstrecken – was bringt er dann überhaupt?
Ein Beschluss gegen Israel ist vom Gerichtshof nicht vollstreckbar, politisch sei die Anordnung aber signifikant. "Israel muss innerhalb eines Monats einen Bericht abliefern und darin darlegen, dass es die einzelnen Punkte der Anordnung eingehalten hat. Darauf wird die ganze Welt warten. Kann Israel das nicht beweisen oder verweigert es einen Bericht, wird das heftige Reaktionen auf der ganzen Welt auslösen", ist Hartwig sicher. Auch wenn der IGH Urteile nicht vollstrecken könne, genieße er hohes Ansehen und seine Urteile würden oft noch jahrelang als Grundlage für politische und rechtliche Debatten hinzugezogen. "Für Israel ist das durchaus unangenehm."
Welchen Einfluss hat der Entscheid auf politischer Ebene?
Bereits in den vergangenen Monaten sei Israel auch von Verbündeten zur Mäßigung aufgerufen worden. "Das hat nun auch in der Anordnung des Gerichtshofs Niederschlag gefunden." Israel könne damit nicht mehr uneingeschränkt agieren unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht, sondern werde darauf hingewiesen, dass es das Völkerrecht beachten müsse und nur im Rahmen desselben handeln dürfe. "Das ist auch ein Argument, das den befreundeten Staaten, die Israel schon lange zu mäßigen versuchen, in die Hand gegeben wird", so Hartwig.