Vergeltungsschlag gegen Israel

Experte enthüllt geheime Bedeutung des Iran-Angriffs

Es war ein großer Angriff mit minimalen Schäden – und das offenbar so von Teheran gewollt. Sicherheitsexperte Markus Kaim sieht "zwei Gewinner".

Roman Palman
Experte enthüllt geheime Bedeutung des Iran-Angriffs
Demonstranten mit iranischen und palästinensischen Fahnen vor der britischen Botschaft in Teheran am 14. April 2024.
ATTA KENARE / AFP / picturedesk.com

Der Iran hat seine Drohung wahr gemacht und den erklärten Erzfeind Israel in der Nacht auf Sonntag direkt angegriffen. Bei dem nächtlichen Großangriff feuerte der Iran nach Angaben des israelischen Militärs rund 200 Drohnen und Raketen ab. Die Schäden sind aber gering.

Dahinter steckt politisches Kalkül der Machthaber in Teheran, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin am Montag im "Ö1 Morgenjournal". An eine starke militärische Antwort der Israelis und einen drohenden Flächenbrand glaubt er derzeit nicht.

Das hat einen Grund: "Wir sehen doch eine Reaktion, die Israel – wie sollen wir sagen – erhofft haben müsste. Dass sich nämlich die Reihen hinter Israel schließen."

Die wichtigsten Verbündeten, Deutschland und die USA, hatten in den letzten Wochen zunehmend scharfe Kritik an Israels Krieg im Gazastreifen geübt. Und einige EU-Staaten hätten bereits laut die Anerkennung eines palästinensischen Staates überlegt, die Handlungsspielräume sind für Israel in den letzten Wochen deutlich enger geworden.

"Aufgrund des iranischen Angriffs solidarisieren sich jetzt wieder alle mit Israel. Die Unterstützung für Israel ist so laut und klar wie nach dem 7. Oktober."

Genau das würden die Israelis selbst auch merken. Vor diesem Hintergrund würden sie wohl sehr zurückhaltend reagieren, um nicht diesen wiedergewonnenen Rückhalt nicht mit einer "unbedachten Militäraktion, unbedachten Eskalation" wieder zu verspielen.

Hat der Iran damit Israel dann nicht genau das geliefert, was dessen politische Führung jetzt brauchte? Kaim: "Ja, in der Tat. Es mag merkwürdig klingen, aber ich habe gestern Morgen zwei Gewinner gesehen. Israel UND den Iran."

Denn auch Teheran habe daraus politisches Kapital schlagen können, sowohl im Inland als auch im Rest der arabischen Welt, sagt der Experte. Man habe mit dem Angriff zeigen können, dass man in der Lage und auch "mutig" genug sei, um Israel entgegenzutreten. Damit grenze sich der Iran auch deutlich von Saudi-Arabien ab, das die Palästinenser eher nur rhetorisch unterstütze. "Das ist ein großer Gewinn."

Deshalb denke er auch nicht, dass nun ein Flächenbrand drohe: "Wenn meine Analyse zutrifft, dann sollte keine der Parteien Interesse daran haben, an dieser neuen, fragilen Balance zu rütteln", sagt der Sicherheitspolitik-Forscher. Mit dem aktuellen Status Quo hätten nämlich beide Seiten ihr Gesicht gewahrt.

Besonders die Form des iranischen Angriffs verdeutliche für Kaim, dass dieser vor allem als politische Botschaft zu werten ist.

"Man muss sich das vergegenwärtigen: Iran kündigt einen Angriff auf Israel an, mit mehreren Stunden Vorlaufzeit. Die Israelis registrieren den Angriff, können sich darauf vorbereiten. Die USA können ihre militärische Unterstützung beim Abfangen der Raketen und Drohnen organisieren. Der Schaden ist vergleichsweise gering, um nicht zu sagen marginal. Das wirkt doch so, als ob ein wirklicher Schaden in Israel nicht intendiert gewesen ist."

Die Botschaft an Israel sei klar gewesen: Mit dem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus wurde eine Grenze überschritten. Dafür ist ein Preis zu zahlen.

Iran greift Israel erstmals direkt an: Das ist bis jetzt bekannt

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    Der Iran hat seine Drohung wahr gemacht und den erklärten Erzfeind Israel erstmals direkt angegriffen.
    Der Iran hat seine Drohung wahr gemacht und den erklärten Erzfeind Israel erstmals direkt angegriffen.
    - / AFP / picturedesk.com

    Diesen Preis, den iranischen Gegenangriff, könne Israel nun akzeptieren – und dann wäre die Lage zumindest für die nächsten Wochen und Monate beruhigt. Das Regime in Teheran noch am Sonntag verdeutlicht, indem es bekundete, dass die "Vergeltung abgeschlossen" sei. Dieses bemerkenswerte Signal solle nach Kaims Einschätzung Israel noch einmal verdeutlichen, dass es kein Interesse an einer massiven direkten Konfrontation gebe.

    "Das werden die Israelis fein registriert haben", sagt der Wissenschafter im "Ö1 Morgenjournal". "Und wenn sie klug sind, dann werden sie den Bedeutungsgewinn, den sie jetzt aufgrund dieser Militäroperation der Iraner erfahren haben, genießen und politisch für den Krieg im Gazastreifen nutzbar machen."

    Das werde voraussichtlich negative Konsequenzen für die Palästinenser, für die Hamas, haben.

    Warnung vor Irans Atom-Programm

    Der iranische Angriff wirft laut dem Experten aber auch ein Schlaglicht auf etwas völlig anderes: Über Jahre habe die internationale Gemeinschaft den israelisch-palästinensischen Konflikt vernachlässigt – "das hat sich am 7. Oktober gerächt". Jetzt sei aber wiederum das iranische Atomprogramm völlig aus dem Blickfeld verschwunden.

    "Der Iran ist ein nicht-praktizierender Nuklearstaat. Sie haben die Bombe, oder sie könnten sie in den nächsten Wochen mit ganz kurzer Vorlaufzeit entwickeln. Und das wäre wirklich eine Entwicklung, die den Nahen Osten auf den Kopf stellt."

    Denn: Sollte der Iran eine Atombombe bauen, wollen die Türkei und Saudi-Arabien auf jeden Fall nachziehen. Diesen Herausforderungen müsse sich die internationale Gemeinschaft wieder stellen, sagt der Berliner Forscher mit Verweis auf die bereits lange unterbrochenen Wiener Verhandlungen.

    Über Markus Kaim

    PD Dr. habil. Markus Kaim forscht in Berlin zu internationaler Sicherheits- & Verteidigungspolitik.
    PD Dr. habil. Markus Kaim forscht in Berlin zu internationaler Sicherheits- & Verteidigungspolitik.
    Stiftung Wissenschaft und Politik

    Markus Kaim (*1968) ist Senior Fellow der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Seine Schwerpunkte sind:

    – Grundfragen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
    – transatlantische Sicherheitsbeziehungen–NATO
    – Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausgewählter NATO-Partner und die Rolle der Vereinten Nationen bei der internationalen Konfliktregelung

    Aktuell arbeitet er zu politischen Rahmenbedingungen multinationaler Militäreinsätze.

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