Klima-Talk mit ÖBB-Chef Matthä
"Europa braucht mehr Bahn, und die Bahn mehr Europa!"
Die Klimakrise stellt auch die ÖBB vor große Herausforderungen. ÖBB-Chef Andreas Matthä über Pläne für 2024, Pünktlichkeit und Zitronenfalter.
Bahnfahren boomt, Öffi-Nutzung ist aktiver Klimaschutz. Die ÖBB bringen im Jahr 447 Millionen Fahrgäste und mehr als 88 Millionen Tonnen Güter umweltfreundlich an ihr Ziel. Mit 42.600 Mitarbeitern bei Bus und Bahn sowie rund 2.000 Lehrlingen sind die ÖBB eines der größten Klimaschutzunternehmen des Landes.
Die Auswirkungen des Klimawandels stellen aber auch die Bahn selbst vor große Herausforderungen. Im Vorjahr mussten wegen Unwetter so oft Strecken gesperrt werden, wie noch nie. Mehr als 3.600 Züge sind wegen Extremwetterereignissen 2023 ausgefallen – ein neuer Rekordwert. Verantwortlich dafür waren unter anderem Murenabgänge, Hangrutschungen sowie Böschungsbrände.
"Heute"-Backstage mit ÖBB-Chef Andreas Matthä
Bahninfrastruktur dem Klimawandel anpassen
Hohe Temperaturen im Sommer machten zahlreiche Reparaturen von Schienen und Oberleitungen notwendig. Für heuer planen die ÖBB unter anderem, die Schienen mit heller Spezialfarbe zu bestreichen, um der Hitze geschuldete Verformungen durch Absenken der Temperatur vorzubeugen.
"Wir müssen unsere gesamte Infrastruktur auf die Auswirkungen der Klimakrise ausrichten, etwa aufgrund der zunehmenden Starkregenereignisse braucht es bei den Bahntrassen breitere Durchflussquerschnitte, damit die enormen Wassermengen, die sich binnen kürzester Zeit entladen, auch abfließen können", erklärt ÖBB-Chef Andreas Matthä im "Heute"-Talk.
"Wir brauchen auch mehr Schutz vor Steinschlag, der vor allem auf alpinen Strecken mit dem Auftauen des Permafrostes bzw. mit den Wechselperioden zunimmt", ergänzt der ÖBB-Chef. Das Ganze sei ein Prozess, gehe nicht von heute auf morgen, denn immerhin müsse ja auch der Bahnbetrieb aufrecht erhalten bleiben.
„Die Auswirkungen der Klimakrise sind längst spürbar, waren auch so erwartbar, aber in diesem Ausmaß, was Intensität und Geschwindigkeit betreffen, dann doch überraschend.“
ÖBB wollen 2024 wieder pünktlicher sein
Um Verspätungen vorzubeugen, setzen die ÖBB auch auf Wettermonitoring. Dabei sollen Drohnen zum Einsatz kommen. Diese werden entlang des Streckennetzes positioniert und überwachen die Gleise und Oberleitungen. Dadurch können die ÖBB Schäden schon vorher lokalisieren, bevor sich Mitarbeiter auf den Weg machen müssen.
Die ÖBB sind eine der pünktlichsten Bahnen innerhalb der EU. 2023 lag man im Personenverkehr bei 95 Prozent Pünktlichkeit, was bedeutet, dass man in 95 Prozent der Fälle nicht mehr als fünf Minuten Abweichung von den Planzeiten hatte. 2024 wolle man über 96 Prozent schaffen, so der ÖBB-Chef.
"Unsere Verspätungsstatistik vom letzten Jahr zeigt, dass 50 Prozent unserer Verspätungen von unseren Nachbarländern, dabei vor allem Deutschland, verursacht wurden. Ein weiterer Grund waren Unwetterereignisse. In den Sommermonaten Juli und August hatten wir 96 Unwetterereignisse, wo wir entweder Gleissperren hatten oder die Geschwindigkeit der Züge einschränken mussten", sagt Matthä. "Ein Uhrwerk wie die Bahn, wo alles präzise geplant und zusammenpassen muss, stört das natürlich enorm."
Bis 2040 wolle man die Leistungsfähigkeit der Bahn verdoppeln, so Matthä. Die ÖBB investieren heuer 3,3 Milliarden Euro in den Streckenausbau. Neben der Anschaffung von neuen Zügen soll die Infrastruktur weiter ausgebaut werden, damit "mehr Züge auf denselben Strecken fahren können".
Neben den großen Projekten, dem Semmering-Basistunnel, der Koralmbahn und dem Brenner-Basistunnel, soll auch die Nordbahn modernisiert und die Wiener Schnellbahn-Stammstrecke zwischen Floridsdorf und Meidling komplett saniert werden. "Das ermöglicht uns dann – fast wie eine U-Bahn – eine 2,5-Minuten-Taktung", so Matthä. "Wir wollen den Pendlern mehr Züge, kürzere Wartezeiten und bessere Angebote inklusive Park & Ride anbieten."
ÖBB-Chef fordert mehr Kostenwahrheit beim Verkehr
Die Schiene sei als Massenbeförderungsmittel hocheffizient. "Wir haben beim Verkehr allerdings unterschiedliche Preiswahrnehmungen und außerdem einen verzerrten Wettbewerb", sagt Matthä. "Wenn ich mir die realen Kosten einer Autofahrt vor Augen führe, dann wird schnell klar, dass die Bahn das weitaus günstigere Verkehrsmittel ist."
Es gäbe beim Verkehr keine Kostenwahrheit. Während die Bahn "für jeden Meter Steuern zahlt", werde etwa beim Fliegen keine Treibstoffabgabe, also keine Kerosinsteuer, eingehoben. "Verkehrsträger wie Flugzeug oder Auto – Stichwort Dieselprivileg – werden hochsubventioniert. Internationale Flüge sind von der Mehrwertsteuer befreit, die Bahn hingegen muss Abgaben leisten." Jedes Verkehrsmittel habe aber seine Berechtigung, betont Matthä.
„Jeder soll auch das bezahlen, was er ökologisch verursacht.“
"Wer glaubt, dass Billigflieger billig sind, der glaubt wohl auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten", sagt Matthä und spricht sich für mehr Kostenwahrheit beim Verkehr aus. "Wenn man alle Kosten der unterschiedlichen Verkehrsmittel zusammenzählt, dann ist man sehr rasch bei der bequemen Zugfahrt, wo man diese bereits als Teil der Reise versteht. Zugegeben etwas philosophisch, aber ich denke, das ist ein Wert, den wir uns viel mehr vergegenwärtigen sollen", so Matthä.
"Bahnen brauchen mehr Europa"
Eine Reservierungspflicht, wie es sie etwa beim französischen TGV oder italienischen Frecciarossa gibt, lehnt Matthä ab: "Wir stehen hier ganz klar zu einem offenen System. In Österreich kann man auch mit einer Nahverkehrskarte in einen Fernverkehrszug einsteigen. Das spüren wir dann natürlich auf der Strecke St. Pölten-Wien oder Wiener Neustadt-Wien. Ich bin überzeugt, dass je niedriger die Barriere ist, in einen Zug zu steigen, desto mehr wird die Bahn genutzt."
Matthä reist gerne mit dem Nachtzug, "Pyjama-Bomber mag ich nicht", im Unterschied zu Nachtflügen sei das über Nacht Reisen mit dem Zug bequem, "ich kann mich dabei herrlich entspannen, schlafe auch mit meinen knapp zwei Metern immer gut im Zug", so Matthä.
Europa habe allerdings zwei Geschwindigkeiten, spricht Matthä das Ost-West-Gefälle des europäischen Bahnverkehrs an. "Das Eisenbahnnetz in Europa ist nicht europäisch, es handelt sich hier um Kleinstaaterei", kritisiert Matthä. Man habe vor dem Fall des Eisernen Vorhangs bewusst auf unterschiedliche Technologien gesetzt.
Matthä: "Ost- und Westeuropa haben sich bewusst mittels Technik abgeschottet, diese Zeiten sind aber längst vorbei, wir leben in einem gemeinsamen Europa und wir brauchen vor allem in den Infrastrukturen der Nationalstaaten mehr Europa. Denn Europa braucht mehr Bahn, sonst werden wir die Klimaschutzziele im Leben nicht schaffen. Und wir Bahnen brauchen mehr Europa!"