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"Etwas stimmt nicht" – Tiere sterben nach Chemieunfall

Nach einem Chemieunfall in Ohio fürchten sich viele Anwohnende vor gesundheitlichen Schäden. Sie beobachten ein massives Tiersterben.

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Nach der Entgleisung eines Zuges im US-Bundesstaat Ohio kam es über dem Ort East Palestine zu apokalyptischen Szenen.
Nach der Entgleisung eines Zuges im US-Bundesstaat Ohio kam es über dem Ort East Palestine zu apokalyptischen Szenen.
Gene J. Puskar / AP / picturedesk.com

Nachdem am dritten Februar im US-Bundesstaat Ohio ein mit Chemikalien beladener Zug entgleist war, evakuierten die Behörden das Dorf East Palestine. Denn der Zug beförderte große Mengen Vinylchlorid – das farblose, brennbare Gas, das auch narkotisierend wirkt, ist hochexplosiv und schädlich für die Umwelt.

Es mischt sich rasch in die Luft und ins Grundwasser und ist daher nur schwer kontrollierbar. Nach der Evakuierung entschied man sich, die Ladung des entgleisten Zuges abzubrennen, um eine drohende Explosion zu verhindern. Über Tage stieg eine dunkle Rauchwolke über dem Ort auf und sorgte für apokalyptische Szenen vor Ort.

Regierung schickte Menschen ins Unfallsgebiet zurück

Bereits am 8. Februar teilten die Behörden den evakuierten Menschen aber mit, dass diese "sicher in ihre Häuser" zurückkehren können. Laut James Justice von der US-Umweltbehörde habe eine Luftüberwachung rund um die Uhr "normale, unbedenkliche Werte" ergeben. Aufgrund von Hunderten Datenpunkten könne man davon ausgehen, dass die Luftqualität sicher sei.

Doch diese Meldung dürfte von Personen vor Ort eher skeptisch aufgefasst werden – denn laut dem Ohio Department of Natural Resources sind durch die Chemikalien, die sich nun in der Luft und im Grundwasser befinden, schon jetzt schätzungsweise 3.500 kleine Fische in nahe gelegenen Bächen gestorben.

Eine Anwohnerin der Gemeinde North Lima, die mehr als 16 Kilometer von East Palestine entfernt liegt, berichtete gegenüber dem Sender WKBN gar, dass am 7. Februar ihre fünf Hennen sowie ihr Hahn plötzlich und unerwartet verstorben seien. Am Tag zuvor verbrannte Norfolk Southern, das Unternehmen, das die Bahnlinie betreibt, die Chemikalien aus Sorge vor einer Explosion.

Für einige Menschen, die in der Nähe der Entgleisungsstelle wohnen, schüren die Berichte weitere Ängste, dass sie und ihre Tiere durch die Luft, den Boden und das Wasser Chemikalien ausgesetzt sein könnten.

"Einfach eine Sauerei"

"Sagen Sie mir nicht, dass es sicher ist. Irgendetwas stimmt nicht, wenn die Fische tot im Bach treiben", sagte Cathey Reese, die in Negley, Ohio, lebt, letzte Woche gegenüber dem Sender WPXI in Pittsburgh. Die toten Tiere hatte sie in einem Bach in ihrem Hinterhof entdeckt. Negley ist knapp 6,5 Kilometer von East Palestine entfernt.

Jenna Giannios (39), eine Hochzeitsfotografin im nahe gelegenen Boardman, klagt derweil über einen seit anderthalb Wochen anhaltenden hartnäckigen Husten. "Sie haben nur einen Radius von gut eineinhalb Kilometer um den Ort des Unglücks evakuiert, und das ist für mich einfach verrückt", sagte sie und hustete während des Gesprächs. "Ich mache mir Sorgen über die langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit. Es ist einfach eine Sauerei."

Das ist Vinylchlorid – und darum ist es so gefährlich
Vinylchlorid ist ein farbloses, brennbares Gas, das narkotisierend wirkt und in hoher Konzentration einen leicht süsslichen, chlorartigen Geruch hat. Die Chemikalie, auch als Chlorethen bezeichnet, wurde vom französischen Wissenschaftler Henri Regnault entdeckt und dient heute vor allem als Grundsubstanz zur Herstellung von Polyvinylchlorid. Der Kunststoff ist ohne Zugabe von Weichmachern hart und spröde und wird beispielsweise oft bei der Herstellung von Rohren für Gebäude verwendet.
Vinylchlorid ist aber auch ein Karzinogen, das mit einem erhöhten Risiko für Leberkrebs in Verbindung gebracht wird. Laut dem Center for Disease Control and Prevention kann das Einatmen von Vinylchlorid über einen längeren Zeitraum mit Hirntumoren, Lungenkrebs und einigen Krebsarten des Blutes in Verbindung gebracht werden. "Ein kurzer Kontakt mit hohen Konzentrationen von Vinylchlorid kann Schwindel, Schläfrigkeit, Müdigkeit und Kopfschmerzen verursachen", sagt Maria Doa, die Senior Director für Chemikalienpolitik beim Environmental Defense Fund ist.

Nach der kontrollierten Verbrennung warnte die Umweltschutzbehörde (EPA) die Anwohnerinnen und Anwohner vor einer möglichen Geruchsbelastung. "Nebenprodukte von Vinylchlorid können aber bereits bei einer Konzentration, die unter dem als gefährlich eingestuften Wert liegt, Gerüche freisetzen", schrieb die Behörde weiter. Laut Andrew Whelton, der an der Universität Purdue Professor für Umwelt – und Ökologietechnik ist, sei es aber auch möglich, dass durch das Verbrennen neue giftige Chemikalien entstanden seien, auf die die EPA die Luft möglicherweise nicht überprüfe.

In einem Schreiben an das verantwortliche Unternehmen Norfolk Southern weist die EPA allerdings darauf hin, dass am Freitag, dem zehnten Februar, weiterhin Chemikalien in die Luft, in den Boden und in freiliegende Wasserflächen eindringen würden, nachdem Norfolk die Chemikalien am Montag, dem 6. Februar, abgebrannt hatte.

Chemikalien könnten bis ins Meer gelangen

Doch nicht nur für die Anwohnerinnen und Anwohner von East Palestine könnte durch das Vinylchlorid weiterhin Gefahr bestehen. Denn mittlerweile hat die EPA nicht nur in mehreren Zuflüssen, sondern auch dem Ohio River selbst Spuren der giftigen Chemikalien entdeckt. East Palestine liegt nahe bei Pittsburgh, wo der Ohio River durch das Zusammenkommen zweier Flüsse beginnt.

Am Fluss, der sich insgesamt über 1579 Kilometer erstreckt, liegen auch die Großstädte Cincinnati und Louisville, wo einzelne Anwohnerinnen und Anwohner nun ebenfalls Auswirkungen auf ihre Gesundheit befürchten. Laut den Behörden habe man in den beiden Städten bislang durch den Unfall aber keine Verschlechterung der Luftqualität festgestellt. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Kontamination vor allem auf East Palestine beschränkt – denn der Ohio River mündet in den Mississippi, der auf seinem Weg bis in den Golf von Mexiko auch an den Großstädten Memphis und Louisiana vorbeikommt.

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