Sexuelle Bildung in Österreich

"Es ist an der Zeit" – Minister lässt aufhorchen

Das Gesundheitsministerium hat den Gendergesundheitsbericht 2024 veröffentlicht. Das Ergebnis: viele Jugendliche wünschen sich mehr sexuelle Bildung.

André Wilding
"Es ist an der Zeit" – Minister lässt aufhorchen
72 Prozent der Jugendlichen wünschen sich mehr sexuelle Bildung
Getty Images / Symbolbid

"Sexuelle und reproduktive Gesundheit betrifft alle Personen in jeder Lebensphase. Jede Zielgruppe hat andere Bedürfnisse, die sich nach Geschlecht, sozialem Status, Bildung, Beruf und Herkunft verändern. 72 Prozent der Jugendlichen würden gern mehr über sexuelle und reproduktive Gesundheit lernen. Das spiegelt den Bedarf an flächendeckender sexueller Bildung wider - in jedem Alter", so Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch.

Der Gendergesundheitsbericht 2024 stellt eine weiterführende und vertiefte Auseinandersetzung dar, die an den Frauengesundheitsbericht 2022 anknüpft und den Schwerpunkt sexuelle Gesundheit in einem größeren strukturellen Kontext betrachtet.

Sexuelle und reproduktive Gesundheit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sexuelle und reproduktive Gesundheit als einen integralen Bestandteil des menschlichen Wohlbefindens und als wichtige Faktoren für die Gesamtgesundheit. Aufgrund gesellschaftlicher Strukturen und eines historisch geprägten Gesundheitssystems erhält die sexuelle und reproduktive Gesundheit noch immer zu wenig Aufmerksamkeit. Deswegen veröffentlicht das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz anschließend an den Frauengesundheitsbericht 2022 einen Gendergesundheitsbericht 2024. Der von der Gesundheit Österreich (GÖG) erstellte Bericht widmet sich nicht nur den klassischen Aspekten der sexuellen Gesundheit, sondern beleuchtet auch soziale, kulturelle und sozioökonomische Determinanten, die die sexuelle und reproduktive Gesundheit beeinflussen. Das zentrale Anliegen des Berichts ist, eine gendersensible Perspektive in das gesamte Gesundheitssystem zu integrieren und so auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Geschlechter, einschließlich der sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten, einzugehen.

Sylvia Gaiswinkler, Studienautorin von Gesundheit Österreich GmbH fasst zusammen: "Der Gendergesundheitsbericht bietet erstmals einen evidenzbasierten Überblick zur Gesamtsituation sexueller und reproduktiver Gesundheit in Österreich. Damit reicht er über die bislang stark reduzierte Betrachtung auf die klassischen sexuellen Funktionsstörungen und sexuell übertragbaren Erkrankungen hinaus und fokussiert sowohl auf unterschiedliche Geschlechtsperspektiven sowie auf die verschiedenen Lebensphasen und -umstände der Menschen. Ein wesentliches Ergebnis dieses Berichts und gleichzeitig auch strategische Handlungsempfehlung ist die Notwendigkeit der Etablierung eines abgestimmten Bildes, wie zukünftig sexuelle Gesundheit umfassend und qualitätsgesichert innerhalb und außerhalb des Gesundheitssystems integriert werden kann."

Unterschiedliche Bedürfnisse an sexuelle Bildung

Ein Schwerpunkt liegt auf der Analyse der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in verschiedenen Lebensphasen, der sexuellen Bildung, der Verhütung, der Körper- und Selbstwahrnehmung sowie der gelebten Sexualität. Jede Zielgruppe hat andere Bedürfnisse, die sich nach Geschlecht, sozialem Status, Bildung, Beruf und Herkunft verändern. Burschen sind zum Beispiel Themen wie Verhütung und sexuell übertragbare Infektionen (STI) wichtig. Bei Mädchen kommt das Thema Zyklus mit höchster Wichtigkeit hinzu. 72 Prozent der Jugendlichen würden gern mehr über sexuelle und reproduktive Gesundheit lernen. Das spiegelt den Bedarf an flächendeckender sexueller Bildung wider. Dahingehend verdeutlicht die Literaturrecherche des Berichts das Fehlen repräsentativer Daten zur sexuellen Bildung in Österreich. Die wenigen Studien, die vorliegen, konzentrieren sich meist auf Jugendliche und sind häufig veraltet oder beschränken sich auf heteronormative Perspektiven.

Chancengerechtigkeit und fairer Zugang

Sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie das Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen sind zentrale Anliegen der Chancengerechtigkeit. So haben Sexarbeiter:innen, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Menschen mit Pflegebedürftigkeit oft erschwerten Zugang zu Informationen und medizinischen Angeboten. Der Bericht untersucht anhand dieser vier spezifischen Gruppen die strukturellen und gesellschaftlichen Barrieren, die den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und damit die Möglichkeit eines selbstbestimmten Umgangs mit der eigenen Sexualität einschränken. Dabei wird die mangelnde Berücksichtigung sexueller und reproduktiver Gesundheit in der Forschung und Praxis hervorgehoben. Der Bericht fordert insbesondere eine verstärkte Berücksichtigung der sexuellen Gesundheit von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen. Hier gibt es nahezu keine Daten, die ihre besonderen Bedürfnisse in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit abbilden.

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"Es ist an der Zeit, die sexuelle und reproduktive Gesundheit aus einer vielschichtigen und gendersensiblen Perspektive zu betrachten, um die Bedürfnisse aller zu erkennen und die Chancengleichheit im Gesundheitswesen zu fördern. Wir haben in einem ersten Schritt ein umfangreiches E-Learning Tool entwickelt, um für Gesundheitspersonal im sensiblen Umgang mit genderdiversen Personen zu schulen", so Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch.

Fragmentierte Strukturen und individuelle Verantwortung

Bislang gibt es in Österreich kein abgestimmtes Bild, wie sexuelle und reproduktive Gesundheit in der Gesundheitsförderung, Prävention und Gesundheitsversorgung abgedeckt wird. Darüber hinaus sind die Zugänge zu Informationen und Beratung innerhalb von Österreich unterschiedlich und abhängig vom Bundesland. Insbesondere für Mädchen und Frauen gibt es Barrieren durch zum Teil privat zu tragende hohe Kosten und mangelnde Versorgungsstrukturen. Nach wie vor sind Rahmenbedingungen stark auf den Bereich der Reproduktion ausgerichtet, während es Lücken in Hinblick auf die sexuelle Gesundheit in ihren vielfachen Dimensionen und Auswirkungen speziell für Mädchen, Frauen und genderdiverse Personen gibt.

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    Auf den Punkt gebracht

    • Der Gendergesundheitsbericht 2024 des Gesundheitsministeriums zeigt, dass 72 Prozent der Jugendlichen mehr sexuelle Bildung wünschen, was den Bedarf an flächendeckender sexueller Bildung in allen Altersgruppen unterstreicht.
    • Der Bericht beleuchtet die unterschiedlichen Bedürfnisse in verschiedenen Lebensphasen und fordert eine gendersensible Perspektive im Gesundheitssystem, um Chancengleichheit und fairen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit zu gewährleisten.
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