Geheim-Dokumente zeigen alles
Enthüllt: So nah waren Russland und Ukraine an Frieden
Seit zwei Jahren herrscht zwischen Russland und der Ukraine diplomatische Funkstille. Im April 2022 war man sich aber näher, als bisher geglaubt.
Kurz nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 fanden parallel diplomatische Verhandlungen statt. Nach außen konnten in den Folgewochen keine Ergebnisse präsentiert werden, bis die Gespräche im April 2022 auf Eis gelegt wurden.
Neue Enthüllungen
Die Positionen beider Kriegsparteien würden zu weit auseinanderliegen, argumentierte man damals. Was durchaus Sinn ergab: Russland wollte die Ukraine vollständig einnehmen, Kiew hingegen wollte, dass alle russischen Truppen aus dem Land – inklusive der annektierten Krim – abgezogen werden. Ein Scheitern war vorprogrammiert.
Die außenpolitische Zeitschrift "Foreign Affairs" veröffentlichte unlängst einen Artikel mit neuen diplomatischen Enthüllungen. Die Verfasser – Samuel Charap und Sergey Radchenko, renommierte Politikwissenschafter – beziehen sich dabei auf geheime Kommuniqués und Interviews mit Teilnehmern jener Verhandlungen. Die zeigen: Es wurden teilweise schon Detailfragen besprochen.
Mögliche Einigung in Istanbul?
Die Verhandlungen waren äußerst dynamisch: Anfangs forderte Russland noch eine vollständige Kapitulation Kiews. Mit der Zeit stellte auch die ukrainische Seite ihre Forderungen – etwa nach einem Waffenstillstand oder der Einrichtung von humanitären Korridoren.
In späteren Verhandlungsrunden forderte Moskau von seinem Nachbar militärische Neutralität, Allianzfreiheit und eine weitgehende Entwaffnung Kiews. Beim Thema Sicherheitsgarantien habe es laut Charap und Radchenko in Istanbul eine Lösung gegeben: Alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (darunter USA, Russland und China) sowie weitere Staaten wie Kanada, Deutschland oder Polen wurden als mögliche Garantiemächte genannt. Die Ukraine dürfte laut Kommuniqué keiner Militärallianz beitreten, ein EU-Beitritt würde aber ermöglicht.
"Deal, der nie war"
Dennoch gibt es große Zweifel: Charap und Radchenko hinterfragen, ob Putin, der die Ukraine wegen angeblicher Sorge vor einer Nato-Erweiterung attackierte, dann einem Verteidigungspakt für Kiew (mit Russland als Garantiemacht!) überhaupt zustimmen würde. Auch bei territorialen Fragen – ebenfalls einem Schlüsselthema – oder der ukrainischen Militärstärke blieben viele Punkte offen.
Die Aufstellung beider Delegationen lasse rätseln, wie glaubhaft die russischen Zugeständnisse wirklich waren. Während die Ukraine mit Top-Besetzung anreiste, führte Wladimir Medinski die russische Verhandlungsseite an. Medinski ist Putins Redenschreiber und Berater in historisch-kulturellen Angelegenheiten. Daniel Szeligowski, Chef des Osteuropaprogrammes beim polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten, sprach auf X von einem "Deal, den es nie gab".
"Es gab keine Einigungen"
In einem Interview mit dem "Standard" legte der ukrainische Präsidialberater Mychajlo Podoljak, der die ukrainische Delegation vertreten hatte, noch einmal nach. So habe Russland im März 2022 "sehr klare" Bedingungen gestellt: Neben der Kapitulation hätte die Ukraine laut Podoljak anerkennen müssen, dass die besetzten Gebiete russisch sind. Außerdem hätte Kiew seine Armee aufgeben und eine Marionettenregierung installierten müssen, so der Berater.
"Es gab keine Einigungen, und wir haben keine Punkte erreicht, wo wir einer Einigung nahekamen", stellte der Ukrainer fest. Alle Verhandlungen hätten darin gemündet, dass sich die Ukraine "zu einer Marionette Russland degradieren" würde. "Die Verhandlungen hatten nur die Funktion einer Maskerade", sagte Podoljak zur Tageszeitung.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Im April 2022 wurden neue Enthüllungen über die diplomatischen Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine bekannt
- Geheime Kommuniqués und Interviews mit Teilnehmern der Verhandlungen zeigen, dass es teilweise schon Detailfragen gab, aber eine Einigung war nicht in Sicht
- Trotz dynamischer Verhandlungen und Diskussionen über Sicherheitsgarantien in Istanbul bleiben große Zweifel, ob es jemals zu einem echten Deal gekommen wäre