"Persona Non Grata"
Drassl: "Es war immer eine Traumatherapeutin dabei"
Vor knapp sieben Jahren machte Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg in einem Interview öffentlich, dass sie sexuelle Misshandlung erleben musste.
Ski fahren und der Skirennsport gelten bekanntlich als österreichisches Nationalheiligtum. Doch Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg hat an diesem durch ein Interview im Jahr 2017 ordentlich gerüttelt. Denn damals sprach sie erstmals offen über die Misshandlungen und sexuellen Übergriffe, die sie als junge Frau in den 1970er-Jahren im Zuge ihrer Ski-Karriere durchleben musste.
Von Kollegen vergewaltigt
Ein Mannschaftskollege und ein anderer Mann vergewaltigten sie, danach litt sie jahrelang an Bulimie. Das Interview mit dem "Standard" schlug damals hohe Wellen, brachte den ganzen Skizirkus ordentlich durcheinander: Werdenigg wurde zuerst noch als Lügnerin diffamiert, dann schmolz aber doch das sonst so heitere Bild der österreichischen Skilandschaft in sich zusammen wie Schnee im April. Und brachte erstmals die bittere Realität zum Vorschein, die von sexualisierter Gewalt und systemischen Machtmissbrauch im österreichischen Skisportbetrieb gekennzeichnet war.
Hilfe für Betroffene von sexueller Gewalt
Frauenhelpline (rund um die Uhr, kostenlos): 0800 222 555
Männernotruf (rund um die Uhr, kostenlos): 0800 246 247
Autonome Frauenhäuser: 01/ 544 08 20
Gewaltschutzzentren: +43 1 585 32 88
Neuer Kinofilm nimmt sich dem Thema an
Die historische Geschichte kommt jetzt mit "Persona non Grata" (Kinostart: 26.01.) auf die große Leinwand, auch wenn es sich dabei nicht um ein klassisches Biopic oder gar eine Dokumentation handelt. Werdeniggs Fall wird vom Regisseur Antonin Svoboda sozusagen als Hauptbezugsrahmen herangezogen, Raum für Interpretationen bleibt aber offen. Werdeniggs Geschichte wird dabei als eine einzelne beispielhafte herausgepickt, von denen es viele weitere tragische gibt.
„Antonin ging es darum zu erzählen, was eine Frau durchläuft, bis sie sich äußert“
Aus Nicola Werdenigg wird Andrea Weingartner (Gerti Drassl), ihre Tochter wird von Maya Unger verkörpert: "Der private Bereich der Andrea Weingartner und der private Bereich von Nicola Werdenigg unterscheiden sich. Obwohl Nicola ja auch sehr offen damit umgeht, dass sie sich im Moment beim ,Standard' entschieden hat, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Das war bei der Nicola eine spontane Entscheidung, nachdem sie schon mit ihrer Familie lange darüber gesprochen hat", erklärt Schauspielerin Gerti Drassl im Interview mit "Heute", "aber wie sie dazu gekommen ist und was alles passiert ist in diesen Jahren, das soll auch ihres bleiben, finde ich. Antonin ging es darum zu erzählen, was eine Frau durchläuft, bis sie sich äußert."
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Werdenigg diente Drassl als eine Leitfigur
An Nicola Werdeniggs Geschichte und ihr als Person hat sich Drassl aber auch in ihrer schauspielerischen Arbeit orientiert: "Natürlich habe ich mich mit der Nicola auseinandergesetzt und das war mir auch sehr wichtig. Aber das Drehbuch an sich hat mir von Anfang an eine eigene Figur erzählt. Also ich hatte jetzt nicht das Gefühl, dass das die Nicola ist, sondern die Andrea", so Drassl, "Ich habe Nicola wie meine Leitfigur vor mit gehabt. Aber ich habe jetzt nicht versucht, sie nachzuahmen."
„Das Schwierige an dieser Szene war dann halt, das alles auch wirklich zu erleben. Und auch zu erleben, wie es einer Betroffenen geht, die in so einer Situation auch nicht reagieren kann“
Der Film ist äußert berührend, treibt einen mit einer Menge an Emotionen um: Wut, Trauer, Hilflosigkeit kommen auf, wenn man durch die Geschichte rundum die Skirennläuferin geworfen wird. Auch für Gerti Drassl waren die Dreharbeiten nicht immer einfach, auch wenn sie die Arbeit nicht "in ihren täglichen Emotionen" beeinflusse.
Übergriffsszene war am schwierigsten
Die Erlebnisse, durch die Missbrauchsopfer in der Realität gehen müssen, sind nur schon in der Realität des Filmemachens eine Herausforderung: "Es gab schon eine einzige Szene, die für mich und mein Spielpartner nicht so leicht war. Das ist die Übergriffszene des Nachbars", erzählt Drassl, "das Schwierige an dieser Szene war dann halt, das alles auch wirklich zu erleben. Und auch zu erleben, wie es einer Betroffenen geht, die in so einer Situation auch nicht reagieren kann. Das hat mich schon mitgenommen."
Die Schauspielerin hatte dann einen ganz eigenen Weg, mit der emotionalen und berührenden Situation umzugehen: "Im Film gibt es eine Szene, in der ich tanze und der Antonin hat sie glaube ich nach der Beerdigung geschnitten. Ich habe aber eigentlich nach dieser Szene getanzt. Das war meine Reaktion darauf. Ich musste es mir wegtanzen."
Drassl wünscht sich Achtsamkeit
Es waren für Gerti Drassl aber auch gerade die Gespräche mit Nicola Werdenigg, die sie die Thematik besser verstehen und vor allem nachfühlen lassen hat: "Die Nicola hat einen bezeichnenden Satz am Anfang zu mir gesagt, dass sie sich über viele Jahre selbst die Schuld gegeben hat. Ich hab das in der Form so noch nie verinnerlicht, was das denn bedeutet. Und ich hoffe und wünsche mir, dass wir als Menschen miteinander einfach achtsamer sind."
Für Drassl war es vor allem wichtig, dass der Film als "ganzheitliches Projekt" verstanden wurde, "gerade durch die Beteiligung der Nicola und die Gespräche, die wir führten. Es war auch immer eine Traumatherapeutin dabei, auch jetzt in der Nachbesprechung. Ich bin sehr dankbar, dass ich da dabei sein darf."
Der Mut von Nicola Werdenigg, sich in der Öffentlichkeit über ihre Missbrauchserfahrungen zu äußern, hat sich ausgezahlt: Andere Betroffene haben sich gemeldet, die Bezugnahme auf scheinbare "Einzelfälle" war somit seitens des Österreichischen Skiverbandes nicht mehr tragbar. An der ÖSV-Spitze steht nun nicht mehr Peter Schröcksnadel, sondern Roswitha Stadlober, mit Petra Kronberger gibt es eine Frauenbeauftragte.