Übermäßige Körperbehaarung
Diese Arznei kann Kinder zu "Werwölfen" machen
Wenn Erwachsene mit Minoxidil-Lotion ihren Haarausfall bekämpfen, können ihre Kleinkinder das Werwolf-Syndrom entwickeln. 11 Fälle sind bekannt.
Rund die Hälfte der Männer sind von Haarausfall betroffen. Bei den Frauen trifft es jede Zehnte. In Apotheken in Europa können Medikamente mit dem Wirkstoff Minoxidil rezeptfrei erhalten werden, um den Haarausfall zu bekämpfen – auch wenn sie nicht immer erfolgreich sind.
Bisher galten sie als Medikamente, die keine relevanten Nebenwirkungen haben sollen. Ein Einzelfall in Spanien ließ nun jedoch einen Verdacht aufkommen. Nach einer europaweiten Untersuchung kam eine Kommission zum Schluss: Minoxidil kann durch Übertragung von den Eltern zum "Werwolf"-Syndrom bei Babys führen, wie die spanische Zeitung "El País" schreibt.
Das "Werwolf"-Syndrom
Als Hypertrichose bezeichnet man einen übermäßigen Haarwuchs an einer Körperstelle, der über das übliche Maß hinausgeht. Es handelt sich um eine sehr seltene Erkrankung, mit der die Patienten entweder geboren werden oder die sich erst im Laufe des Lebens entwickelt. Es gibt zwei verschiedene Arten von Hypertrichose: Die generalisierte Hypertrichose, die am ganzen Körper auftritt, und die lokalisierte Hypertrichose, die auf einen bestimmten Bereich beschränkt ist. Im Laufe der Geschichte waren die Betroffenen eine Quelle großen Interesses und traten in Wanderzirkussen und Freakshows auf.
Einzelfall führte zu Verdacht
Das Pharmakovigilanzzentrum von Navarra (Spanien) hat herausgefunden, dass Säuglinge, deren Eltern diese Medikamente einnehmen, übermäßigen Haarwuchs am ganzen Körper entwickeln können. Bei ganz jungen Kindern besteht auch das Risiko von Komplikationen an Herz und Nieren.
"Die Entdeckung dieses Problems ergab sich aus der Meldung des Falles eines Säuglings, dessen Haare an Rücken, Beinen und Oberschenkeln im Laufe von zwei Monaten nach und nach gewachsen waren", erklärt Gabriela Elizondo, Leiterin der Abteilung für Pharmakovigilanzkontrolle in Navarra.
11 Fälle bekannt
Das Interview mit der Familie ergab, dass der Vater eine Lotion "mit fünf Prozent Minoxidil verwendete und viel Zeit mit dem Kind verbrachte". Als er die Behandlung abbrach, verschwanden auch die Symptome des Babys. Als nächsten Schritt überprüfte Elizondos Organisation alle Fälle von Kleinkindern mit dem Werwolf-Syndrom, die in Spanien erfasst wurden. Dabei wurden sechs weitere Fälle erkannt, bei denen die Babys über ihre Eltern mit Minoxidil in Kontakt gekommen sind.
Durch die Ausweitung der Suche in Eudravigilance – der europäischen Pharmakovigilanz-Datenbank – und der wissenschaftlichen Literatur stieg die Zahl der betroffenen Babys auf elf. Wie genau die Substanz übertragen wird – ob von Haut zu Haut oder oral, weil die Babys an der Haut ihrer Eltern saugen – ist noch nicht geklärt.
Packungsbeilagen angepasst
Die Erkenntnisse haben die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) dazu veranlasst, die Informationen auf den Packungsbeilagen für Lotionen mit Minoxidil zu ändern. Glücklicherweise nahmen die Symptome der Kleinkinder nach einiger Zeit ab, nachdem die Eltern die Behandlung mit der Lotion beendet hatten.
Keine neue Erkenntnis
Dass Minoxidil Haarwuchs bei Kleinkindern fördern kann, ist keine neue Erkenntnis per se. Bereits in 2019 wurden Fälle bekannt, bei denen ein Pharmahersteller von Tabletten gegen Sodbrennen nicht deklariert haben, dass Minoxidil enthalten ist. Mehrere Kinder waren damals davon betroffen.
Auf den Punkt gebracht
- Minoxidil, ein Wirkstoff zur Behandlung von Haarausfall, kann bei Kleinkindern das sogenannte "Werwolf-Syndrom" auslösen, wenn sie durch ihre Eltern damit in Kontakt kommen.
- In Europa sind bisher elf Fälle bekannt, bei denen Babys übermäßigen Haarwuchs entwickelten, was die Europäische Arzneimittel-Agentur dazu veranlasste, die Packungsbeilagen der entsprechenden Produkte zu ändern.