Patienten berichten

Das "erben" Empfänger eines Spenderorgans noch

Patienten berichten von Persönlichkeitsveränderungen, nachdem sie ein Spenderorgan erhalten hatten. Eine neue Studie bestätigt das.

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Das "erben" Empfänger eines Spenderorgans noch
Ein neues Organ zu bekommen, ist für die Patienten ein einschneidendes Erlebnis – im wortwörtlichen und übertragenen Sinne.
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Auf ein Spenderorgan warten zu müssen, ist eine gesundheitliche Situation, die man wirklich niemandem wünscht. Kommt dann endlich der erlösende Anruf mit den Worten "Wir haben ein passendes Organ für Sie" muss es schnell gehen. Denn nach der Entnahme müssen Spenderorgane innerhalb weniger Stunden transplantiert werden. Wie eine neue Studie jetzt zeigt, übernimmt der Empfänger mehr vom Spender als nur das Organ. Nach Angaben von Forschern der University of Colorado School of Medicine erbt die große Mehrheit dieser Patienten die Persönlichkeit ihres Spenders! Was wie aus einem Science-Fiction-Film klingt, ist für viele Spenderorgan-Empfänger eine reale und verwirrende Erfahrung.

89 Prozent berichten von Persönlichkeitsveränderung

Forscher wollten herausfinden, ob Menschen, die sich einer Organtransplantation unterziehen, Veränderungen in ihrer Persönlichkeit erfahren und, wenn ja, wie häufig diese Veränderungen sind. Sie führten eine Querschnittsstudie mit 47 Teilnehmern durch, die eine Organtransplantation erhalten hatten, von Herzen bis hin zu Nieren. Die Teilnehmer füllten auch eine Online-Umfrage über ihre Erfahrungen vor und nach den Eingriffen aus. Erstaunliche 89 Prozent der Befragten berichteten über irgendeine Form der Persönlichkeitsveränderung nach der Transplantation. Diese Veränderungen reichten von einer veränderten Stimmung und einem veränderten Temperament bis hin zu veränderten Essensvorlieben oder einem höheren Maß an körperlicher Aktivität. Interessanterweise schien die Art des transplantierten Organs weniger eine Rolle zu spielen als bisher angenommen. Empfänger von Herztransplantaten berichteten im Allgemeinen über ähnliche Veränderungen wie die Empfänger anderer Organe.

Positive und negative Veränderungen

Die berichteten Veränderungen betrafen nicht nur die Vorliebe für andere Lebensmittel oder die Freude an anderen Hobbys. Einige waren tiefgreifend und wirkten sich auf den emotionalen Zustand, das soziale Verhalten und sogar auf die spirituellen Überzeugungen aus. Während einige Empfänger eine positivere Einstellung und mehr soziale Interaktionen feststellten, erlebten andere Herausforderungen wie Angstzustände, Depressionen oder Stimmungsschwankungen.

Hypothese des "zellulären Gedächtnisses"

Wie lassen sich also diese Veränderungen in der Persönlichkeit erklären? Die Forscher haben mehrere Theorien, darunter die Hypothese des "zellulären Gedächtnisses". Die Idee ist, dass Spenderorgane selbst Erinnerungen, Persönlichkeitsmerkmale und persönliche Vorlieben des ursprünglichen Spenders in Form von "zellulären Erinnerungen" tragen könnten. Diese Erinnerungen und Eigenschaften könnten dann auf den Organempfänger übertragen werden, fast wie beim Herunterladen eines neuen Betriebssystems. Das Herz verfügt über ein komplexes Nervensystem, das von einigen Forschern als "Herzgehirn" bezeichnet wird und das möglicherweise biografische Daten über den Organspender speichern könnte. Zelluläre Erinnerungen können jedoch auch durch konventionellere Prozesse wie Epigenetik, DNA, RNA oder Proteine übertragen werden.

So beschrieb ein Empfänger, dass er realistische Träume davon hatte, aus nächster Nähe erschossen zu werden, nachdem er das Herz eines im Dienst getöteten Polizisten erhalten hatte. "Ein paar Wochen, nachdem ich mein Herz erhalten hatte, begann ich zu träumen. Ich sah einen Lichtblitz direkt in meinem Gesicht und mein Gesicht wurde richtig, richtig heiß. Es brennt tatsächlich", so der Empfänger in der Zeitschrift "Transplantology". Ein anderer Junge, dem das Herz eines verstorbenen Kleinkindes eingesetzt wurde, weigerte sich plötzlich, mit seinen geliebten Power Rangers zu spielen, den gleichen Spielzeugen, die sein Spender zu erreichen versucht hatte, als er aus einem Fenster in seinen tragischen Tod stürzte.

40 Jahre Spenderherz Wien AKH

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    v.l.n.r.: Andreas Zuckermann (Programmdirektor Herztransplantation), Walter Weiss (Empfänger eines Spenderherzens), Daniel Zimpfer (Leiter Universitätsklinik für Herzchirurgie), Edda Tschernko (Leiterin Klinische Abteilungfür Herz-Thorax-Gefäßchirurgische Anästhesie)
    v.l.n.r.: Andreas Zuckermann (Programmdirektor Herztransplantation), Walter Weiss (Empfänger eines Spenderherzens), Daniel Zimpfer (Leiter Universitätsklinik für Herzchirurgie), Edda Tschernko (Leiterin Klinische Abteilungfür Herz-Thorax-Gefäßchirurgische Anästhesie)
    Denise Auer

    Einschneidendes Erlebnis

    Natürlich haben nicht alle Persönlichkeitsveränderungen einen so übernatürlichen Ursprung. Ein großer medizinischer Eingriff wie eine Organtransplantation kann erhebliche Auswirkungen auf die Psyche, den emotionalen Zustand und das Identitätsgefühl eines Menschen haben. Einige Veränderungen könnten einfach psychologische Bewältigungsmechanismen darstellen, um mit dem postoperativen Trauma, Depressionen oder Ängsten fertig zu werden. Beispielsweise können Empfänger unbewusst neue Interessen, Gewohnheiten oder Persönlichkeitsmerkmale annehmen, um das Leben und die Identität ihres anonymen Organspenders in ihr eigenes, sich entwickelndes Selbstkonzept zu integrieren. Diese Art von psychologischen Anpassungen und Fantasien sind bei Empfängern häufig anzutreffen, da sie damit zu kämpfen haben, ein Organ von einem völlig Fremden zu erben.

    "Die Feststellung, dass einige Patienten Ängste vor möglichen Persönlichkeitsveränderungen nach einer Organtransplantation haben, ist ein Thema, das mit potenziellen Transplantatempfängern vor einer Transplantation besprochen werden sollte, da ein solches Gespräch die Hemmschwelle für eine Transplantation verringern und möglicherweise die Therapietreue nach der Transplantation verbessern könnte", so die Forscher.

    red
    Akt.