Große Krisen-Analyse
Coach vor Aus – was beim LASK wirklich schiefläuft
1:5-Debakel – auf der Gugl brodelt es. Der LASK legte sich selbst mehrere Brandherde. Jetzt braucht es mehr als nur einen Feuerwehrmann.
Pfiffe im rund 65 Millionen Euro teuren Schmuckkästchen auf dem Linzer Froschberg. Die Spieler müssen nach Abpfiff mit hängenden Köpfen aus der Kabine kommen, bei den eigenen Fans zum Rapport. Trainer Thomas Darazs erhielt vor dem Spiel noch verhaltene Rückendeckung von Klubboss Siegmund Gruber, zählt sich nun selbst vor dem Sky-Mikrofon an ("Müssen Gespräche führen!").
Die neue Saison ist erst wenige Wochen alt. Der LASK hat sich in eine tiefe Krise manövriert, die mit der 1:5-Blamage gegen Wolfsberg einen Tiefpunkt erreicht hat. Die nackten Zahlen sind erschreckend: vier Liga-Pleiten in Folge, alle drei Heimspiele verloren, Vorletzter mit nur einem Zähler Vorsprung auf Hartberg bei einem Spiel mehr, Scheitern im Europa-League-Playoff gegen Bukarest. Im Juli wurden die Linzer nach Verpflichtungen von großen Namen wie Jerome Boateng und Hrvoje Smolcic sowie Talenten aus Manchester und Lissabon noch als Titel-Aspirant gehandelt.
Gruber versuchte die aufkeimende Krise vor dem Anpfiff der fünften Runde zu relativieren, verwies auf zwei dritte Plätze seit er und Sportvorstand Radovan Vujanovic den Klub führen. Fakt ist aber auch: Ex-Trainer Didi Kühbauer musste nach Platz drei 2023 gehen, weil die Spielweise nicht entsprochen hatte. Zu defensiv, zu wenig Spektakel? Kühbauer kam in neuer Funktion als WAC-Trainer zurück nach Linz, schoss den ehemaligen Arbeitgeber mit 5:1 aus der Raiffeisen Arena. Ironie des Schicksals.
Nach Kühbauer schaffte es auch Thomas Sageder in der letzten Saison nicht, den Ansprüchen der Klubführung gerecht zu werden. Der Ex-Trainer musste im Frühjahr seinen Hut nehmen. Thomas Darazs wurde auf Umwegen Interimscoach, nach einem ansehnlichen Liga-Finish zur Fix-Lösung. Jetzt steht er vor der Blitz-Ablöse. Dass der 46-Jährige die Länderspielpause in seiner Funktion als Chefcoach überdauert, ist schwer vorstellbar.
"Es ist ein Tiefpunkt. Das Gute ist, es kann eigentlich nicht schlimmer werden", schüttelt Kapitän Philipp Ziereis den Kopf, schlägt Alarm: "Wir müssen alles auf den Kopf stellen. Jeder einzelne muss sich hinterfragen, ob er alles gibt." Einer Antwort über die Zukunft von Darazs weicht er aus. Klar scheint: Nach den jüngsten Leistungen und Ergebnissen ist er kaum haltbar. Ihn für die Linzer Talfahrt verantwortlich zu machen, wäre aber falsch.
Darazs auf verlorenem Posten
Darazs hatte von Anfang an eine Herkules-Aufgabe vor sich. Der Start in seine erste Amtszeit als Cheftrainer eines Profi-Klubs verlief alles andere als ideal.
Rückblick: Am 10. April ernannte der LASK ursprünglich Maximilian Ritscher zum neuen Interimstrainer. Dazu hieß es auf der Klub-Homepage "Der 30-jährige Inhaber der UEFA-A-Lizenz fungierte bis dato als Assistenztrainer bei den Athletikern und wird von Thomas Darazs, der im Sommer in seine ursprüngliche Funktion als Akademieleiter zurückkehrt, unterstützt."
Der LASK ruderte nur zwei Tage danach zurück, bestellte Thomas Darazs zum Cheftrainer. Ritscher fungiere als sein Assistent. Der Klub hatte nicht bedacht, dass die Bundesliga-Lizenz an die benötigte UEFA-Pro-Lizenz des Trainers gekoppelt ist. Darazs hat eine solche, Ritscher nicht. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der etwas peinliche Trainer-Fauxpas schnell vergessen. Darazs trat zu Interviews an, in der Coaching-Zone als aktiver und kommunikativer Chef auf.
Der Klub lastete seinem neuen "starken Mann" an der Seitenlinie mit diesem Vorstellungs-Wirrwarr eine Hypothek auf. Der ehemalige Austria-Profi soll eine Kabine, bestehend aus sechs A-Teamspielern, 18 Legionären aus 14 unterschiedlichen Nationen hinter sich vereinen. Der Wiener ohne große Trainer-Vita muss seine Inhalte auf Englisch vortragen. Was die Kabine mit einem Marktwert von knapp 50 Millionen Euro vor Amtsantritt über ihren neuen Chef wusste? Vorrangig, dass ihm der Klub ursprünglich seinen 30-jährigen Assistenten vorgezogen hatte.
Reizfigur Gruber
Egal ob großer Name, Trainer-Talent oder neuerlich eine Lösung aus den eigenen Reihen: Wie auch immer der Nachfolger von Darazs heißen wird, auf ihn werden (vom Bestellungs-Hoppala abgesehen) dieselben Probleme warten.
Die zwei größten Punkte der aktuellen Krise: Die undurchdachte Kaderstruktur und deren Verursacher.
Gruber führt den Klub mit harter Hand und Fokus auf das Wirtschaftliche. Der Unternehmer ist seit 2013 bei den Schwarz-Weißen an Bord. Zunächst als Teil der "Freunde des LASK", jener Investoren-Gruppe, die den Klub rettete und durch ihren Einstieg zurück in den Profi-Fußball brachte. Dann als Präsident, der die Linzer durch den Stadion-Neubau auf der Gugl in eine neue Ära führte. Inzwischen als CEO, der beim Klub alle Fäden in der Hand hat und auch als Sprachrohr nach außen auftritt.
Die verbotenen Trainings in der Corona-Anfangszeit, öffentliche Zerwürfnisse mit dem Ex-Freund des LASK Jürgen Werner und dem ehemaligen Vizepräsident Manfred Zauner überdauerte Gruber ebenso wie anhaltende Auseinandersetzungen mit der eigenen organisierten Fanszene. Seine Macht wurde über die Jahre nur immer stärker. Aus LASK-Kreisen ist zu hören, dass die hohe Fluktuation auf der Geschäftsstelle nicht zuletzt damit zu tun hat, dass Widerworte nicht geduldet werden.
Das Problem? Die Stimmung im und rund um den Klub leidet – unter der Belegschaft, auf der Tribüne, nicht zuletzt auch in der Kabine. Und: Sportliche Entscheidungen werden mitunter nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen. Die jüngste Krise ist das Resultat.
Gruber und die Fans
Zwischen Fans und Gruber gab es im Frühjahr nach drohender Eskalation rund um die anhaltenden Proteste gegen rosarote Trikots des Sponsors BWT einen Schulterschluss. Dass der Friede brüchig ist, zeigt sich an mehreren Fronten. Die Fan-Gruppierung "Landstrassler" entschuldigten sich zuletzt öffentlich für den Verstoß gegen die Vereinbarung, durch Proteste für keine Spielunterbrechungen mehr zu sorgen, nachdem Pyro-Gezündel beim Liga-Auftakt in Hartberg die VAR-Sicht vernebelt hatte.
Gleichzeitig ist auf der Hintertor-Tribüne des harten Fankerns neuerdings neben Schwarz und Weiß auffallend viel Zinnoberrot zu sehen. Nicht zu verwechseln mit dem verhassten Rosa oder Pink des dritten Trikotsatzes. Es handelt sich um Retro-Wäsch' der "Landstrassler", die an frühere Auswärtstrikots erinnert. Pikant: Es ist Merchandise aus dem Verkaufsstand der Fan-Organisation. Das Leiberl ist um 30 Euro zu erstehen, der Verein sieht davon nichts. Dass der Verkaufsstand der "Landstrassler" im eigenen Stadion keinen Platz mehr hatte, ist neben den BWT-Dressen übrigens einer der großen Streitpunkte mit Gruber und Co. Die Situation bleibt also ganz unabhängig von der sportlichen Leistung angespannt.
Stimmung im Klub
Fan-Themen sind jetzt aber zweitrangig. In der Länderspielpause kündigt sich ein großes Sesselrücken an. Denn: Neben Darazs wackelt auch Sportvorstand Vujanovic. Oedt-Boss Franz Grad machte seinem ehemaligen Sportdirektor zuletzt schon öffentlich die Tür für eine mögliche Rückkehr auf. Gerüchte um eine mögliche Ablöse wurden vom LASK nur halbherzig mit dem Verweis auf dessen aufrechten Vertrag dementiert.
Die Suche nach dem Nachfolger würde nicht lange dauern. Der logische Kandidat steht bereits auf der Payroll. Im Jänner holte der LASK Andreas Wieland nach dessen Trainer-Engagement in Belgien zurück zum Klub und damit einen Vertrauten von Gruber.
Wieland war Co-Trainer unter Valerien Ismael, blieb auch unter Dominik Thalhammer, ehe er nach dessen Ablöse im September 2021 selbst ins Amt des Cheftrainers gehoben wurde. Mit mäßigem Erfolg. Im Mai 2022 war nach einem 0:4 gegen Wattens für den Wiener Endstation. Der 41-Jährige ist inzwischen als Technischer Direktor zurück an alter Wirkungsstätte. Die genaue Aufgabenteilung mit Vujanovic ist unklar.
Am eingeschlagenen Weg wird sich wenig ändern.
Gruber wurde jüngst von Sky befragt, wie er denn den LASK spielen sehen möchte. Aggressiv pressend wie unter Oliver Glasner? Ballbesitzorientiert wie unter Didi Kühbauer oder nun Darazs? Der CEO blieb wage, verwies auf unterschiedliche Spielphasen und einen ganzheitlichen Ansatz. Der LASK wolle mit dem Ball, gegen den Ball und bei Standards Lösungen finden, dabei, so wohl der Wunsch, dominant auftreten. Das gelingt aktuell nicht.
Gruber merkte als Mitgrund zurecht an: "Wir geben auch fast einen gesamten Kader verletzungsbedingt vor. Ich bin mir sicher, wenn die Verletzten zurück sind, dass wir wieder ein anderes Gesicht sehen werden."
Der LASK hat große Verletzungs- und Fitnesssorgen. Ein Mitgrund für die Misere zum Saisonstart und zweifelsohne für die Fans Grund zur Zuversicht, dass es tabellarisch in den nächsten Monaten wieder aufwärtsgehen wird. Leistungsträger wie Smolcic, Florian Flecker, Robert Zulj und Maximilian Entrup sind auf dem Weg zurück. Letztere werden der Offensive zwangsläufig einen Schub geben.
Den eigenen Ansprüchen werden die Linzer mit ihrer Kaderstruktur aber so schnell nicht gerecht werden. Diese sind entgegen der eher bescheidenen Verweise auf die Top-3-Platzierungen höhere. Die Taten der letzten Jahre und Monate sprechen eine deutliche Sprache. Die Ablöse von Kühbauer trotz Platz drei und Quali für das internationale Geschäft. Das vorzeitige Aus von Sageder nach einer Niederlage im April gegen den späteren Meister Sturm – der LASK war zu diesem Zeitpunkt Vierter der Meistergruppe, hinter Rapid zurückgefallen. Nicht zuletzt die Verpflichtungen mehrerer Topstars.
Diese ÖFB-Kicker wechselten im Sommer ins Ausland
Fehler in Kader-Zusammenstellung
Damit zu den Problemen des derzeitigen Kaders. Die Stadionfertigstellung im Februar 2023 war ein großer Meilenstein für den Klub. Der LASK hat das modernste Stadion des Landes, damit auch neue Zugkraft bei Sponsoren und auf dem Transfermarkt. Den Fans sollte in der neuen Arena auch rasch etwas geboten werden. So hehr diese Ziele der Klubführung auch sein mögen, an der Umsetzung hapert es.
Der LASK versucht auf der Jagd, die Lücke zu Krösus Salzburg und Doublesieger Sturm Graz zu schließen, Abkürzungen auf dem Transfermarkt zu nehmen. Damit tut er seinen Trainern und dem Team damit nicht immer einen Gefallen. Was gemeint ist? Keito Nakamura verschaffte dem LASK 2023 einen Geldregen. Der Japaner war in Linz zum Liga-Star gereift, wechselte für zwölf Millionen Euro zu Stade Reims. Das ist mit Abstand der teuerste Deal der eigenen Historie und ein Transfer-Coup, wie man ihn von Salzburg und mittlerweile auch von Sturm kennt. Die Verpflichtung von talentierten Youngsters ist wohl der Versuch, es nicht bei einem einmaligen Geldregen zu belassen. Die Linzer wollen den Fall replizieren und wie die großen Liga-Konkurrenten die Ausbildung und den teuren Verkauf von Talenten zum Geschäftsmodell machen.
Der LASK holt junge Spieler mit der Hoffnung, sie als Leistungsträger später gewinnbringend verkaufen zu können. Die Trefferquote ist überschaubar. Bestes Beispiel: Mit Lenny Pintor und Tomas Tavares bekam der LASK ehemalige Supertalenten aus Frankreich beziehungsweise Portugal günstig, weil sie nach schweren Verletzungen Karriereknicks erlitten hatten. Das Problem bei diesen Spielern: Bisher konnten sie ihr fußballerisches Talent nur allzu selten auf dem Platz zeigen. Bei Pintor reicht es trotz der Verletzungsmisere im Angriff nicht zu einem Stammplatz. Tavares lief in Runde fünf erstmals für seinen neuen Klub auf – der Rechtsverteidiger musste auf dem Flügel ran, wurde nach 45 Minuten wieder vom Platz genommen.
Beiden mangelt es offenkundig an Matchpraxis und der nötigen Fitness, um Darazs im Hier und Jetzt helfen zu können. Selbiges trifft auch auf Routinier Jerome Boateng zu. Der Weltmeister von 2014 kam bereits angeschlagen zum Verein, lief gegen Wolfsberg zum ersten Mal in der Startformation auf, wurde nach schlechter Leistung nach 55 Minuten ausgewechselt. Der Boateng-Transfer schlug bereits aus moralischen Gründen hohe Wellen. Der Deutsche ist in Rechtsstreits verwickelt, inzwischen wegen häuslicher Gewalt verurteilt. Fans sehen seine Verpflichtung daher kritisch. Auch sportlich ist der 35-Jährige kurzfristig offenkundig keine Verstärkung, langfristig sowieso kein Thema.
Vielmehr ist Boateng Symptom der Linzer Transfer-Problematik. Im Fokus stehen wirtschaftliche Aspekte – Boatengs Trikot wurde am häufigsten verkauft – und individuelle Klasse und Potenzial der Spieler. Auf die Zusammenstellung des Kaders wurde in der jüngeren Vergangenheit zu wenig Wert gelegt.
Einzelne Positionen und Rollen sind im Klub mehrfach oder überbesetzt. Andernorts besteht akuter Mangel. Ein Problemfeld als Beispiel: die Sechs im Mittelfeld. Branko Jovicic genügte schon im Vorjahr durch technische Mängel den Ansprüchen des angestrebten Kurzpassspiels nicht. Mit dem Duo Sascha Horvath und Valon Berisha im Zentrum mangelt es an Größe und Durchsetzungskraft in der Luft. Maxi Talovierov ist groß, zeigt aber wie Jovicic große Unsicherheiten im Passspiel – vor allem beim Rausspielen von hinten passieren so unter Druck viele Fehler.
Auf die ausgewogene Rollenverteilung und die charakterliche Harmonie wurde zu wenig Wert gelegt. Der LASK hat viele Häuptlinge, viele technisch hochveranlagte Spieler und Talente, denen schon in jungen Jahren eine große Karriere prophezeit wurde. Für einen Trainer bedeutet das viel Arbeit. Im Fall von Darazs durch die Hypothek seiner Bestellung, den Transfers im Sommer und den bitteren Verletzungen von Schlüsselspielern eine schier unlösbare Aufgabe – eine Melange, die ihm nun den Job kosten dürfte.
Grund zu Optimismus
Bei aller Krisenstimmung: Das Grundgerüst vom LASK ist stark. Double-Sieger Sturm blickt im Hinblick auf die anhaltende Stadionproblematik und Champions-League-Spiele in Klagenfurt beispielsweise neidvoll auf die Raiffeisen Arena. Der Kader gibt eine Top-4-Platzierung trotz des Ligafehlstarts und struktureller Herausforderungen her.
Die Ligapause könnte für das Duo Darazs und Vujanovic das Ende ihrer jeweiligen Ära bedeuten. Bis auf die Langzeitverletzten (allen voran Andres Andrade – Kreuzbandriss) wird sich das Lazarett voraussichtlich lichten. ÖFB-Keeper Tobias Lawal könnte bald zurückkehren, der etatmäßige Kapitän Zulj wird nach seinem Nasenbeinbruch wieder einsteigen, mit Flecker nach der Fraktur mitten in seiner starken Saisonvorbereitung ein weiterer Schlüsselspieler zur Verfügung stehen.
Adil Taoui ist ein großer Lichtblick des Sommers. Der Franzose kommt immer mehr in Fahrt, brilliert in Abwesenheit von Zulj als Spielmacher und beschlagener Dribbler. Moses Usor zeigt Woche für Woche Ansätze, einer der gefährlichsten Angreifer der Liga sein zu können. Beim Nigerianer fehlt einzig das Endprodukt – die Scorerpunkte.
ÖFB-Teamstürmer Maxi Entrup kam mit Knieproblemen von der EURO zurück, kann der dringend benötigte Knipser in der Zentrale werden. Alexis Tibidi wurde von Troyes geholt. Der 20-Jährige zeigte sich im LASK-Trikot bisher in Unform. Liga-Kenner wissen aber um seine Stärken aus der Zeit bei Altach bestens Bescheid. Und: Auch im Ländle benötigte der Franzose eine Anlaufszeit.