Frauen klagen Arzt
Alle Zähne auf einmal gezogen: "1 Jahr flüssig ernährt"
Die Opfer wurden in der Türkei operiert, die Vor- und Nachbehandlung fand aber in einer Wiener Ordination statt. Nun gibt es ein erstes Urteil.
Für die günstige Behandlung ihrer Zähne in Istanbul musste Rukiye B. (43) einen hohen Preis zahlen: "Ich kann nicht mehr lachen, beim Essen bleiben immer wieder Reste im Gebiss hängen. Ich hatte früher ein rundes Gesicht, jetzt hängt alles", meint die Wienerin im Gespräch mit "Heute".
2008 bekam Rukiye B. Zahnprobleme, ließ ihr Gebiss in Wien richten und hatte jahrelang keine Probleme – bis 2021: "Ein Implantat hatte sich entzündet, ich hatte Schmerzen", erinnert sich die 43-Jährige.
Vorbehandlung in Wiener Zahnarztpraxis
Über eine Frauen-Facebook-Gruppe stieß sie auf einen türkischen Arzt, der mit einem in der türkischen Community angesehenen Wiener Zahnarzt kooperiert und dessen Ordination für die Vor- und Nachbehandlung nützt: "Der Wiener Arzt ordiniert hier schon sehr lange, ich habe ihm vertraut. Ich habe mir dann die Bewertungen für den türkischen Arzt bzw. die Klinik angesehen, die waren alle sehr gut", berichtet Rukiye B.
Die Bilder des Tages
Die Vorbehandlung fand in der Praxis des Wiener Zahnarztes statt, dieser war allerdings nicht anwesend: "Ich wurde vom türkischen Arzt begutachtet, anschließend teilte mir der für die Organisation zuständige EU-Koordinator des Teams mit, dass sich die Kosten für die gesamte Gebiss-Sanierung auf 8.000 Euro belaufen – inklusive Flug. Dieses Angebot war unschlagbar, in Österreich hätte es mich laut Kostenvoranschlag 18.000 Euro gekostet", meint die Bürokauffrau.
„Der Arzt hat mir an diesem Abend alle Zähne herausgerissen und alle meine Implantate entfernt“
Um die Entzündung einzudämmen, erhielt die 43-Jährige ein Antibiotikum. Im Sommer 2021 ging es dann nach Istanbul. In der Klinik angekommen, zahlte sie die 8.000 Euro in bar: "Die Ordination war bummvoll. Trotz Termin musste ich über zwei Stunden lang warten. Der Arzt hat mir dann an diesem Abend alle Zähne herausgerissen und meine Implantate und Kronen entfernt."
Gleich am nächsten Tag wurden der Wienerin dann neue Implantate bzw. Kronen eingesetzt: "Er hat das Gebiss nicht richtig angepasst, die Implantate passen nicht. Es gibt Lücken, ein Teil ist locker, ein Implantat habe ich bereits verloren. Zudem muss ich derzeit eine Bruchstelle kleben. Ich habe seit drei Monaten immer eine Haftcreme dabei, die ich als Provisorium auftrage."
Trotz Beschwerden kein Geld zurück
Als sich die 43-Jährige noch vor Ort beschwerte, meinte der Arzt nur: "Bist du der Zahnarzt oder ich? Mach dir keine Sorgen, das kann man mit Botox wieder wegbekommen". Doch der Zustand änderte sich nicht, Rukiye B. schrieb daraufhin immer wieder den Koordinator an: "Er meinte nur, ich bekomme mein Geld nicht zurück."
Auch Ayten G. (60) wurde Opfer des Zahnarzt-Pfusches: Die 60-Jährige, die in Wien lebt, wurde im Mai 2022 behandelt, zahlte 7.000 Euro. Ihr wurden an einem Tag zehn Zähne gezogen und dafür Implantate eingesetzt.
„Ich konnte vor Schmerzen nichts mehr essen und musste mich ein Jahr lang flüssig mit einem Strohhalm ernähren“
Bei der Behandlung dürfte der türkische Arzt allerdings einen Nerv beschädigt haben, denn ein Implantat entzündete sich: "Die Entzündung breitete sich im ganzen Mund aus, ich konnte vor Schmerzen nichts mehr essen und musste mich ein Jahr lang flüssig mit einem Strohhalm ernähren", berichtet sie.
Irgendwann hielt die 60-Jährige die Schmerzen nicht mehr aus und ließ sich das Gebiss in Wien von einem Zahnarzt richten. Kostenpunkt: 4.000 Euro. Doch auch heute noch leidet Ayten G. unter den Folgen: "Die eine Seite meines Kiefers ist völlig gefühllos."
Rechtsanwalt vertritt 3 Opfer
Laut Rukiye B. dürften die Beschuldigten bereits seit 2018 in Österreich aktiv sein, u.a. auch in St. Pölten und Salzburg. Seit März versucht sie, weitere Betroffene zu finden, hat zudem Klage eingereicht. Sie selbst und zwei weitere Opfer werden von Rechtsanwalt Mehmet Munar vertreten.
"Meine Mandanten haben aufgrund von Behandlungsfehlern erhebliche gesundheitliche Schäden durch Dental-Tourismus erlitten. Neben der primären Fehlbehandlung ist Hauptkritikpunkt der Klienten die zugesicherte Nachbehandlung in einer Partner-Ordination in Wien im Falle von Komplikationen, die im Bereich Kieferorthopädie und Kieferchirurgie nicht eingehalten wird. Die Patienten fühlen sich unter Schmerzen im Stich gelassen", meint Munar zu "Heute".
„Es ist mein Ziel, sicherzustellen, dass derartige Fehlbehandlungen konsequent aufgeklärt werden und die geschädigten Patienten zu ihrem Recht kommen“
Laut dem Juristen gibt es gegen den türkischen Arzt aufgrund einer Fristsäumnis bereits ein nicht rechtskräftiges Versäumungsurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien. Laut diesem soll der türkische Arzt 42.000 Euro Schadenersatz an einen von Munars Mandanten zahlen: "Die Risiken von 'Medizintourismus' haben sich in diesen Fällen realisiert. Es ist mein Ziel, sicherzustellen, dass derartige Fehlbehandlungen konsequent aufgeklärt werden und die geschädigten Patienten zu ihrem Recht kommen", so Munar.
Dem Vernehmen nach sollen bei der Wiener Landeszahnärztekammer bereits mehrere Anzeigen gegen den Wiener Zahnarzt, der seine Ordination zur Verfügung stellt, vorliegen. Der betroffene Arzt antwortete auf eine entsprechende "Heute"-Anfrage nicht. Auf Nachfrage bei der Kammer meint eine Sprecherin: "Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen wir keinerlei nicht öffentliche Auskünfte zu einzelnen Kammermitgliedern erteilen."
Wiener Zahnarzt angeblich angezeigt
Weiter heißt es: "Steht gesichert fest, dass Behandlungen durch Nichtzahnärzte bzw. in Österreich nicht berufsberechtigte Zahnärzte im Inland stattgefunden haben, informiert die Landeszahnärztekammer für Wien die zuständige Verfolgungsbehörde."
Auf Nachfrage, ob das Verhalten des Wiener Zahnarztes strafbar ist, erklärt die Sprecherin: "Bestimmte Sachverhaltskonstellationen sind nach Zahnärztegesetz verboten und stehen unter Verwaltungsstrafsanktion. Die Bewertung, ob ein konkreter Verstoß vorliegt, obliegt allerdings nicht der Landeszahnärztekammer, sondern der Gesundheitsbehörde und/oder den Staatsanwaltschaften bzw. Gerichten."
Sind Sie auch von dem Zahnärzte-Pfusch betroffen? E-Mail an [email protected]