Szene
"Österreich hat auf Pandemie hysterisch reagiert"
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder besuchte die "Heute"-Redaktion und sprach im Interview über Projekte im neuen Jahr.
Die Corona-Pandemie hat die Kulturbranche vor große Herausforderungen gestellt. Was Lockdowns und Corona-Maßnahmen für die Albertina bedeuten und welches Programm das neue Jahr bringt, erzählt Museumsdirektor Klaus Albrecht Schröder im Video-Interview.
"Die Lockdowns haben uns natürlich schwer getroffen. Ich nehme als Beispiel die letzte große Ausstellung "Modigliani". Diese Ausstellung hatte über 200.000 Besucher. Wenn man das jemandem sagt, findet man, das ist doch sehr sehr viel. Das ist so viel wie ganz Linz Einwohner hat. Auf der anderen Seite haben wir mit 450.000 Besuchern gerechnet. Das ist weniger als die Hälfte und das zeichnet sich im Budget auch wieder ab. Wir haben wieder 13 Millionen Euro weniger eingenommen, als in einem Vorkrisenjahr. Das Wichtigste für mich war, dass ich keinen Personalabbau machen musste."
"Das Jahr 2021 hat gezeigt, dass die Welt sich mittlerweile wirklich teilt. In Länder, die nicht so dramatisch und hysterisch auf diese Pandemie reagieren wie Österreich. Die doch viel entspannter damit umgehen. Die auch unterscheiden können zwischen einer Delta-Variante und einer Omikron-Variante. Wir glauben ja immer noch alles ist Ebola, was glaube ich nicht wirklich der Fall ist. Die Konsequenzen müssen wir im Kulturbereich tragen. Das lässt sich nicht ändern."
Für die Maßnahmen der Regierung hat Schröder persönlich oft kein Verständnis. "Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir letzten Endes das staatliche Gewaltmonopol wirklich ernst nehmen müssen. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, das in Frage zu stellen. Da bricht das Chaos aus. Ich meine, dass wir beim Wahltag darüber entscheiden können, wie eine Regierung oder wie eine Partei bestimmte Krisensituationen managt. Aber ich akzeptiere Regeln und verstoße nicht gegen sie mit dem Hinweis, dass ich sie unsinnig oder übertrieben oder hysterisch finde. Das mag mein Urteil sein, aber ich akzeptiere das Gewaltmonopol des Staates."
Die erste große Schau im Jahr 2022 ist Edvard Munch im Dialog mit 60 Hauptwerken und sieben Künstlern wie Baselitz, Tracy Emin, Miriam Cahn und Andy Warhol. "Ich glaube nicht, dass nochmal ein Lockdown kommt. Ich hoffe es jedenfalls. Aber wenn er käme, würden wir das verkraften. Parallel zu Munch zeigen wir die allergrößte Ai Weiwei-Ausstellung, die es jemals weltweit gegeben hat. Auch diese Ausstellung kostet fast zwei Millionen Euro. Sie vorzubereiten hat 2,5 Jahre gedauert. Seit über eineinhalb Jahren sind sämtliche Werke bei uns. Ich hoffe, dass wir endlich aus diesem Tal der Pandemie, aus diesem Tal der Tränen rauskommen. Ich hoffe, dass wir im Jahr 2022 über eine halbe Million Besucher in der Albertina begrüßen dürfen. 600.000 Besucher wären meine Wunschvorstellung. Das habe ich aber nicht in der Hand, da spricht noch ein ganz kleines Virus mit."
"2022 wird die Nagelprobe werden. Kommen wir endlich wieder zurück in normale Gewässer? Ich hoffe wirklich, dass im Wesentlichen jetzt aus der Pandemie eine Endemie wird und dass man zwar ein hochansteckendes Virus hat, aber die Folgen einer Ansteckung für die meisten Menschen nichts anderes ist, als ein ganz leichter Schnupfen. Ich hoffe natürlich auch, dass die Regierung weit mehr Anstrengungen unternimmt, die Menschen zur Impfung zu motivieren und sich weniger darauf konzentriert, ob die Impfpflicht vor dem Verfassungsgerichtshof hält."
"Die Albertina ist in der sehr glücklichen Lage, gewaltige Schenkungen zu bekommen. Wir haben erst kürzlich von Joel Sternfeld, einem der wichtigsten Fotografen unserer Zeit, um 4,8 Millionen Euro einige große Fotografien bekommen. Ich habe vor einigen Wochen ein neun Meter großes Gemälde von Alex Katz geschenkt bekommen. Auch im Wert von vier Millionen Euro, das wir dann diesen Sommer in der Ausstellung im Guggenheim Museum in New York zeigen werden. Kaufen können wir all diese Werke nicht. Wir müssen uns durch Forschung und die konsistente Pflege unserer Beziehungen zu Künstlern diese Schenkungen erarbeiten."
"Es ist Realität, dass wir heute die Frage der Diversität ganz anders beantworten als vor wenigen Jahren. Zurecht haben wir gesagt, es ist sehr schwer im 15. oder 16 Jahrhundert den Frauen denselben Platz einzuräumen, wie den Männern. Es gibt neben Dürer nicht 20 Frauen, die ihm ebenbürtig werden. Aber wer in der Gegenwart glaubt, der kann sich auf den weißen Mann konzentrieren, der verkennt einfach die Realität. In unserer Ankaufspolitik, auch mit meiner neuen Direktorin Angela Stief, die ich für die Albertina modern ernennen durfte, spiegelt sich das wider. Es sind heute oft die spannendsten Beiträge von Künstlerinnen und gar nicht so sehr von Künstlern. Ich glaube, was sich auch geändert hat ist, dass große Museen, selbst eines wie die Albertina, sich nicht mehr darin suhlen können, nur die alten Meister zu zeigen. Die jüngste Kunst, die wir präsentieren, wird immer jünger. Hat es früher 20, 40 Jahre gedauert, ehe man in einem Weltmuseum Eingang gefunden hat, so schauen wir heute schon, was machen die 30- und 35-Jährigen und geben ihnen auch bis zu einem gewissen Grad einen musealen Status."