Wien

Aktivisten: "Darum haben wir uns Hände einbetoniert"

Während der Räumung eines Lobau-Camps hatten zwei Aktivisten ihre Hände einbetoniert. Wie es dazu kam, erzählen sie im "Heute"-Interview.

Amra Duric
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Das Protest-Camp an der Hirschstettner Straße 44 wurde geräumt. Nun sind Annika und Jakob beim letzten Lobau-Camp an der Anfanggasse.
Das Protest-Camp an der Hirschstettner Straße 44 wurde geräumt. Nun sind Annika und Jakob beim letzten Lobau-Camp an der Anfanggasse.
Denise Auer

Monatelang harrten Jakob (21) Annika (21) im Protest-Camp gegen Lobau-Tunnel und Stadtstraße auf einem Baugrund an der Hirschstettner Straße 44 aus. Am 5. April wurde das Camp von der Polizei geräumt. Um den Einsatzbereich wurde mit Tretgittern eine Sperrzone errichtet, durch die weder Teilnehmer der angemeldeten Kundgebung von Global 2000, noch Medienvertreter durften. 400 Beamte waren im Einsatz – "Heute" berichtete.

"Mir war schon bewusst, was für ein großes Risiko das ist. Aber meine Wut, auf das was hier gerade passiert und meine Motivation etwas zu verändern ist größer als meine Angst."

Stunden nach der Räumung wurden auch Jakob und Annika entdeckt. Die beiden hatten sich in einem Erdloch ihre Hände einbetoniert. "Mir war schon bewusst, was für ein großes Risiko das ist. Aber meine Wut, auf das was hier gerade passiert und meine Motivation etwas zu verändern ist größer als meine Angst", erzählt Annika im Gespräch mit "Heute".

Protestieren statt studieren

"Nachdem man soviel Zeit dort verbracht hat und gesehen hat, wie wichtig das ist, will man nicht einfach den Ort oder die Besetzung verlassen, nur weil ein Polizist kommt und sagt: Geht's bitte. Das wäre nicht richtig", so Jakob. Die beiden 21-Jährigen halten derzeit im letzten Lobau-Camp an der Anfanggasse die Stellung. "Ich habe mich nach der Schule dazu entschieden, hierher zu kommen und nicht studieren zu gehen. Weil, wenn ich studiere, dann braucht es mindestens sechs Jahre bis ich vielleicht etwas erreichen könnte. Und in sechs Jahren ist es zu spät. Es muss jetzt etwas gemacht werden", ist Annika überzeugt.

Jakob, der studiert und nebenher arbeitet, steckt seine ganze Freizeit und Energie in den Protest. "Wenn ich mit Älteren aus der Familie rede, kommt erstmal Skepsis. Aber wenn man mit den Menschen mehr darüber redet und ihnen erklärt, warum man das macht, dann kommt das Verständnis." Auf Verständnis trifft auch Annika. "Meine Mama war auch schon hier und meinte, sie versteht, dass das wichtig ist."

"War dabei, wie jemand geschlagen wurde"

Ein Video von einem Zwischenfall am Camp an der Anfanggasse sorgte im Netz für Aufregung. Darauf zu ist zu sehen, wie Polizisten einen der Aktivisten von einem Bagger hieven wollen. Ein am Bagger stehender Beamter verpasst einem Protestierenden einen Fußtritt, anschließend fällt dieser in die Arme der unter ihm stehenden Polizisten. Nach der Räumung werfen 34 Aktivisten und Aktivistinnen der Polizei nun Sexismus, Transphobie und Gewaltbereitschaft vor.

"Mit mir waren sie äußerst sexistisch. Ich war auch dabei, wie jemand geschlagen wurde, obwohl dieser Mensch nichts gemacht hat."

"Polizist:innen schauten trans Menschen in ihre Unterhosen, um sie einordnen zu können. Das war rechtswidrig. Ein Beamter verhielt sich auffallend sexistisch, beleidigend und herablassend gegenüber uns. Er machte bei Aktivistinnen beleidigende Bemerkungen über ihren "fetten Arsch" oder ihre Körperbehaarung", heißt es in einer Aussendung von "Lobau bleibt".

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    In der Wiener Donaustadt haben Lobau-Aktivisten erneut Bagger besetzt.
    In der Wiener Donaustadt haben Lobau-Aktivisten erneut Bagger besetzt.
    Lobau bleibt

    "Mit mir waren sie äußerst sexistisch. Ich war auch dabei, wie jemand geschlagen wurde, obwohl dieser Mensch nichts gemacht hat", berichtet Annika. "Wir haben die Polizisten aufmerksam darauf gemacht, aber alle, die es gesehen haben, haben so getan, als ob nichts passiert wäre."

    Wie viele andere Aktivisten und Aktivistinnen wurde auch Jakob ins Polizeianhaltezentrum gebracht. "Mir wurde wortwörtlich von Polizeibeamten in meiner Zelle ins Gesicht gesagt: Es ist egal was du machst. Im Zweifel hauen wir dir eine rein und decken uns gegenseitig." Die Aussagen sind Anna Kontriner, einer Pressesprecherin von "Lobau bleibt", nicht neu. "Ein großes Problem bei der Sache war, dass kaum jemand hinkonnte, um das ganze zu beobachten. Die Presse wurde nicht direkt hingelassen, parlamentarische Beobachter waren nicht zugelassen. Das heißt, es gibt keine Dokumentation und es steht Aussage gegen Aussage."

    34 Aktivisten und Aktivistinnen werfen Beamten Sexismus, Transphobie und Gewaltbereitschaft vor. Die LPD Wien erklärte gegenüber "Heute": "Jede Person die das Gefühl hat in ihren Rechten beschränkt worden zu sein, hat die Möglichkeit dies anzuzeigen und eine Beschwerde einzubringen."

    "Heute" hat die LPD Wien mit den Vorwürfen konfrontiert. Ein Sprecher erklärte auf Anfrage: "Allen angehaltenen Personen werden während ihrer Anhaltung Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes handeln nach den Gesetzen und den dazugehörigen Aufgaben und Befugnissen. Dazu zählen unter anderem erkennungsdienstliche Behandlungen und Durchsuchungen von Personen und deren mitgeführten Gegenständen. Jede Person, die das Gefühl hat in ihren Rechten beschränkt worden zu sein, hat die Möglichkeit dies anzuzeigen und eine Beschwerde einzubringen. Ich bitte um Verständnis, dass wir nicht zu jedem Vorwurf Stellung nehmen können."

    "Egal wieviel sie von den Strukturen räumen, das was hier entstanden ist, die Zusammenschlüsse, die gemeinsame Motivation und die Ideen, die kann uns niemand wegnehmen. Die werden weiter bestehen und noch weiter wachsen."

    Auch wenn das letzte Camp geräumt werden sollte, wollen sich die Aktivisten und Aktivistinnen vom Protest nicht aufhalten lassen. "Egal wieviel sie von den Strukturen räumen, das was hier entstanden ist, die Zusammenschlüsse, die gemeinsame Motivation und die Ideen, die kann uns niemand wegnehmen. Die werden weiter bestehen und noch weiter wachsen."

    Aktivisten Jakob und Annika und "Lobau bleibt"-Sprecherin Anna Kontriner im Gespräch mit Amra Durić.
    Aktivisten Jakob und Annika und "Lobau bleibt"-Sprecherin Anna Kontriner im Gespräch mit Amra Durić.
    Denise Auer

    Klimaministerin könnte Klage drohen

    Die Wirtschaftskammer Wien forderte nun eine Rücknahme des Baustopps. Laut Verfassungsjurist Heinz Mayer ist sogar eine Ministerklage gegen Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) möglich. Auch die Argumentation Gewesslers, dass das Projekt alt und nicht mehr zeitgemäß sei, ist laut Mayer "irreführend" und "falsch aus rechtlicher Sicht". 2015 habe das Umweltministerium und 2018 das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidungen auf Basis der damals aktuellen Sachlage getroffen.

    "Wir können nicht dabei zuschauen, wie die Welt untergeht, nur weil es im Bundesstraßengesetzt von 1971 steht."

    Für Kontriner ist dies kein Argument. "Rechte ändern sich, Gesetze ändern sich. Dieses Lobau-Autobahnprojekt ist Jahrzehnte alt und damals war noch keine Rede von Klimakollaps. Wir sind jetzt in einer ganz anderen Zeit. Eine Politik, die glaubt, wir können bei dem stehen bleiben, was vor 50 Jahren war, das ist falsch. Wir können nicht dabei zuschauen, wie die Welt untergeht, nur weil es im Bundesstraßengesetzt von 1971 steht."

    "Was wir machen ist ziviler Ungehorsam"

    Dass der Protest rechtswidrig ist, ist den Demonstrierenden bewusst. "Natürlich, das was wir machen ist ziviler Ungehorsam. Das Übertreten von Gesetzen, aber man muss sich fragen, warum machen wir das. Und angesichts dieser Klimakrise darauf zu warten, dass die, die die Gesetze machen, sie ändern werden, das wird nicht passieren. Das haben sie in den letzten Jahrzehnten gezeigt. Deswegen müssen wir die Dinge in die Hand nehmen. Hätte es keinen zivilen Ungehorsam gegeben, dürften Frauen in Österreich wahrscheinlich immer noch nicht wählen. Es ist manchmal notwendig Rechte zu erkämpfen."

    Auch das Argument, dass das Aus von Lobau-Tunnel und Stadtstraße für Pendler ein Problem wäre, können die Klimaschützer nicht nachvollziehen. "Es gibt wenige Verkehrsberuhigungsprojekte in der Stadt Wien, die nachdem sie umgesetzt wurde, sich irgendwer noch vorstellen kann, dass sie nicht umgesetzt worden wären. Schauen wir uns die Mariahilfer Straße an. Das war eine voll befahrene Straße. Jetzt, ein paar Jahre später, kann sich niemand mehr vorstellen, dass da jemals eine Straße durchgegangen wäre. Da braucht es oft ein bisschen Vorstellungsvermögen."

    "Leute werden zum Autofahren manipuliert"

    Geht es nach Jakob und Annika, müsste "man das Geld in öffentliche Verkehrsmittel stecken". "Die Stadt Wien sagt ja oft sogar Sachen, die grundsätzlich gut sind. Zum Beispiel, dass sie den Autoverkehr bis 2040 um die Hälfte reduzieren wollen. Dann schaue ich mir hier, auf der anderen Seite des Zauns, an was sie bauen und frage mich, wie macht das Sinn?", so Jakob.

    "Die Leute werden zum Autofahren manipuliert. Wenn man die Infrastruktur ändert, dann hat man andere Möglichkeiten."

    Am wenigsten von der Stadtstraße werden laut Kontriner die Anrainer profitieren. "Gerade in der Donaustadt merkt man, dass die ganze Infrastruktur aufs Auto ausgelegt ist. Es werden immer noch große Einkaufszentren mit riesigem Parkplatz auf die grüne Wiese gestellt und die nächste Siedlung ist aber 700 Meter weiter und dazwischen gibts keinen richtigen Bus. Die Leute werden zum Autofahren manipuliert. Wenn man die Infrastruktur ändert, dann hat man ganz andere Möglichkeiten."

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