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51,35 % sagen Ja, Erdogan ruft nach Todesstrafe

Präsident Erdogan kann sich ein "Ja" zu seinem Verfassungsplan sichern. Allerdings nur knapp und mit Manipulationsvorwürfen.

Heute Redaktion
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Die türkische Wahlkommission hat das Ja-Lager nach vorläufigem Abstimmungsergebnis zum Sieger des Referendums über die Einführung eines Präsidialsystems zur Machterweiterung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan in der Türkei erklärt. Nach Auszählung fast aller Stimmzettel führte das Ja-Lager in der Nacht mit einem knappen Vorsprung von 51,35 Prozent, das Nein-Lager lag bei 48,65 Prozent.

Überschattet wurde das Referendum von einem Zwischenfall vor einem Abstimmungslokal in einem Dorf in der Provinz Diyarbakir. Dort gerieten zwei Familien in einen Streit. Drei Menschen wurden getötet. Möglicherweise ging es um politische Meinungsverschiedenheiten. Aber auch von Einschüchterungsversuchen wird berichtet. Ein deutscher Europarats-Wahlbeobachter beklagte etwa Behinderungen durch die Polizei im Südosten der Türkei.

Manipulationsvorwürfe und Anfechtung

Die prokurdische HDP erklärte, sie werde eine Neuauszählung von zwei Dritteln der Urnen verlangen. Es gebe Hinweise auf eine "Manipulation der Abstimmung in Höhe von drei bis vier Prozentpunkte". Auch die Oppositionspartei CHP ortete Manipulationen und erwägt bis zu 60 Prozent der Stimmzettel anzufechten. Für Aufregung sorgten dahingehend mehrere Umstände. Als bei einem Auszählungsgrad von rund 90 Prozent die Nein-Stimmen immer zahlreicher wurden, akzeptierte die Wahlkommission plötzlich auch nicht offiziell zugelassene Stimmzettel.

Als das Nein-Lager noch weiter aufholte, erklärte die Wahlbehörde, über gänzlich andere Auszählungszahlen zu verfügen als die staatliche Nachrichtenagentur. Und als es für das Ja-Lager richtig knapp wurde, wurde die Berichterstattung über die Auszählung gestoppt. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte sich schließlich nach einer ebensolchen Rede von Ministerpräsident Binali Yildirim vor dem Vorliegen eines Ergebnisses zum Gewinner.

18 Änderungen in der Verfassung

Das "Ja" macht den Weg frei für 18 Änderungen der türkischen Verfassung. Der Präsident kann ab Inkrafttreten Minister und andere wichtige Regierungsbeamte ernennen sowie knapp die Hälfte der Mitglieder des "Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte", der wichtigsten juristischen Instanz des Landes.

Außerdem ist er jederzeit befugt, einen Ausnahmezustand auszurufen oder Dekrete zu erlassen. Das Amt des bislang eigentlich die Richtlinienkompetenz inne habenden Ministerpräsidenten wird abgeschafft.

"Die 18 Paragrafen sehen eine nur sehr schwache Trennung der Gewalten vor", sagt Ahmet Kasim Han von der Kadir-Has-Universität in Istanbul. Das würde "in übermäßiger Weise das Gewicht von Entscheidungen und die Exekutivgewalt in Richtung des Präsidenten verlagern".

Sofortiger Ruf nach Todesstrafe

Erdogan begrüßte das Abstimmungsergebnis als "historische Entscheidung". Nun werde er die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei auf die Tagesordnung setzen. Das werde seine "erste Aufgabe" sein, kündigte Erdogan in Istanbul vor begeisterten Anhängern an. Er werde umgehend Gespräche mit Yildirim und der nationalistischen Opposition aufnehmen. Wenn er für die Einführung der Todesstrafe keine Mehrheit im Parlament erhalte, wäre ein weiteres Referendum möglich.

Nach der geplanten Änderung der Verfassung kann Erdogan per Dekret regieren, den Ausnahmezustand beschließen, das Parlament auflösen und Minister ohne Grund entlassen. Der Posten des Ministerpräsidenten fällt weg. Seine islamisch-konservative Partei AKP hat argumentiert, die Änderungen seien nötig, um eine starke Führung in unruhigen Zeiten zu garantieren. Gegner wie die pro-kurdische Partei HDP und die kemalistische sozialdemokratische CHP warnten indes vor zunehmend autoritärer Führung. In kraft sollen die Änderungen mit der Präsidentenwahl am 3. November 2019 treten. Beobachter erwarten, dass Erdogan aber schon im Herbst 2017 wählen lassen wird.

Der Liveticker des Referendums zum Nachlesen:

(mle)